Dissertationsprojekt:
Tanz-Manie(r). Die literarische Darstellung von Tanz zwischen Kontrolle und Kontrollverlust (Arbeitstitel)
Ausgehend von der These, dass Tanz und dessen literarische Darstellung im 18. und 19. Jahrhundert in einen Gesundheitsdiskurs eingebunden sind und darüber als Regulativ aktiv an der Konstitution gesellschaftlicher Ordnungen beteiligt sind, werden verschiedene Textzeugen auf ihre diskursive Funktion überprüft. Tanz- und Manierbücher, medizinische Artikel in einschlägigen Familienzeitschriften und wissenschaftliche Fachartikel, die Tanz zum Inhalt haben, bilden den ersten Untersuchungsgegenstand. Diese Texte formulieren ein erzieherisches und/oder aufklärerisches Interesse, das auf seine normative Funktion untersucht wird. Wenn Tanz als Regulativ sowohl konstituierend als auch selektierend vorgeht, muss sich in seiner literarischen Repräsentation niederschlagen, welches Wissen Gültigkeit besitzt und welche Praktiken bedient werden. Im zweiten Teil des Projekts werden Tanzszenen fiktionaler Texte des 18. und 19. Jahrhunderts zur Analyse herangezogen. Hier ist zu fragen, auf welches Wissen zurückgegriffen und wie damit umgegangen wird. Findet in der fiktionalen Literatur eine Reproduktion oder Ästhetisierung von Wissen statt oder wird der diskursbildende Anteil fiktionaler Literatur über Protest herausgebildet?
Es gilt zu untersuchen, ob und in welcher Weise das Spannungsverhältnis von Kontrolle (Disziplinierung) und Kontrollverlust (Rausch, Wahnsinn), das dem Tanz inhärent ist, in den literarischen Texten des 18. und 19. Jahrhunderts diskursbildend ist. Es soll gezeigt werden, wie die literarische Darstellung von Tanz den Normierungs- und Disziplinierungsprozess von (‚Sozial‘-)körpern reflektiert. Mit der These, dass es vor allem die Medizin ist, die mit einem „Public Health“-Interesse medizinische Kategorien an moralisches Verhalten koppelt, wird analysiert, inwiefern Tanz in seiner Ambiguität funktionalisiert wird, um bestimmte Verhaltensweisen zu evozieren. Dabei wird Tanz, der als Regulativ den Unterschied zwischen Normalität (gesund) und Anomalität (krank/pathologisch) aufzeigt, zu einem Dokument eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses, der die Anomalie in ‚andere Räume‘, wie die Anstalt und die Bühne, auslagert.
Betreuerin: Prof. Dr. Urte Helduser