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Prof. Dr. Doreen Brandt

Institut für Germanistik

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Haben Regionalsprachen eine Zukunft?

Wie lebendige Wesen können sich auch Sprachen verändern und sich den kommunikativen Bedürfnissen anpassen, sagt Germanistin Doreen Brandt. Sie ist überzeugt: Niederdeutsch hat eine Zukunft!

„Wenngleich die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher sinkt und die durchschnittliche Sprachkompetenz abnimmt: Niederdeutsch hat eine Zukunft! Die Sprache wird sich allerdings wandeln. Wie sie erlernt und verwendet wird, verändert sich, ebenso die Niederdeutsch-Forschung.

Ein Wandel des Niederdeutschen lässt sich auf mehreren Ebenen erwarten. Ein wichtiger Punkt: Immer weniger Menschen lernen das Niederdeutsche von Eltern oder Großeltern. Das geschieht nicht mehr zuvorderst in der Familie, sondern in der Schule. Der Erwerb der niederdeutschen Sprache verändert sich von einer vor allem ungesteuerten Sprachvermittlung und -anwendung im Alltag hin zu einer gesteuerten und institutionell gerahmten Vermittlung.

Dass da gerade entsprechende Strukturen aufgebaut werden – etwa Niederdeutsch als künftiges Unterrichtsfach in der niedersächsischen Sekundarstufe – hat etwas mit sehr günstigen politischen Rahmenbedingungen zu tun. Dazu gehört die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die 1999 in Deutschland in Kraft getreten ist und die Sprachfördermaßnahmen begünstigt.

Seither ist viel passiert. So hat etwa Niedersachsen 2019 Sprachbegegnungen mit dem Niederdeutschen im Deutschunterricht und Möglichkeiten des Spracherwerbs zum Beispiel in schulischen Arbeitsgemeinschaften per Erlass für Primar- und Sekundarstufe festgeschrieben; übrigens auch für die Minderheitensprache Saterfriesisch. Sprachbegegnung, das kann heißen, dass Kinder mit Plattdeutschsprechenden in Kontakt kommen, plattdeutsche Lieder oder Literatur kennen lernen oder dass Lehrkräfte bei Schulausflügen gezielt etwa plattdeutsche Inschriften oder Schilder thematisieren.

Zur künftigen Sprachvermittlung an Schulen und im Rahmen neuer Niederdeutsch-Studiengänge an Universitäten sollte eine Begleitforschung gehören, die schaut, wie sich dadurch die Vitalität der Sprache entwickelt, ob zusätzliche Lernorte hinzukommen – ob und wie der Transfer in die Gesellschaft gelingt. So ist nicht auszuschließen, dass das Niederdeutsche dank des Schulunterrichts wieder stärker Eingang in die Familien finden könnte. Jedenfalls gibt es einen wichtigen Unterschied zum Unterricht in Fremdsprachen: Schülerinnen und Schüler lernen Niederdeutsch in Regionen, in denen die Sprache beheimatet ist – das ist das Schöne!

All das bringt eine Dynamik in die Niederdeutsch-Forschung, die bisher sprachwissenschaftlich geprägt war und in der nun die Literaturwissenschaft und Didaktik an Bedeutung gewinnen. Darauf aufbauen dürfte ein weiterer Wandel: Wird die Sprache, die vor 200 Jahren übrigens fast vollkommen aus der Schriftlichkeit verschwunden war, akademisch vermittelt und betrachtet, stärkt das die sogenannte Literacy. Gemeint ist eine auf Niederdeutsch bezogene Schriftkultur, das Wahrnehmen und Wertschätzen als Schriftsprache, als Literatursprache. Die Schriftkultur – auch die Lesekultur – bekommt noch einen anderen Stellenwert. Neue Textarten kommen hinzu, die wachsende Zahl Schreibender und Lesender dürfte dem niederdeutschen Literaturbetrieb zugutekommen und auf den Kulturbetrieb insgesamt positiv ausstrahlen.

Beim Blick in die Zukunft des Niederdeutschen dürfen wir eines nicht vergessen: den Wandel der Sprache selbst. Das Niederdeutsche wird sich verändern. Sprachen sind quasi lebendige Wesen und verändern sich mit den kommunikativen Bedürfnissen. Das Besondere ist die große Vielfalt an niederdeutschen Varietäten, an Dialekten. Im Schulunterricht etwa wird sich nicht jeder kleinräumige Dialekt vermitteln lassen, sondern es dürften sich großräumigere Lehrvarietäten herausbilden. Zumindest in der Schriftsprache wird die Varianz abnehmen, wobei die Orthografie weniger verbindlich festgelegt ist als beim Hochdeutschen. Auch Aussprache und Wortschatz sind regional sehr verschieden. Unter Vereinheitlichungen könnte das Identifikationspotenzial niederdeutscher Dialekte leiden, während die Sprache womöglich leichter zu lernen und allgemeinverständlicher wird.

Das Niederdeutsche bleibt lebendig. Womöglich spricht man Niederdeutsch in 50 Jahren weniger im Schützenverein und geht dafür eher mal ins plattdeutsche Theater. Aber auch wenn sich die Sprache selbst, ihre Verwendungsorte und -kontexte gewandelt haben werden, wird es weiter Niederdeutsch geben: Das wird man sprechen, das wird man hören, das wird man schreiben, das wird man lesen.”

(Stand: 01.07.2024)  | 
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