Adornos Aufsatz "Kulturkritik und Gesellschaft" wird bis heute verwendet, um den Begriff der Kritik zu bestimmen und zu schärfen. "Kritik" bedeutet in dieser Tradition nicht Nörgeln oder Aufsässigkeit oder Ähnliches, sondern eine Form von Analyse, die das erkennende Subjekt einbezieht. Wissenschaftliche Kritik ist auch nicht identisch mit moralischen Empörungen über Ungerechtigkeiten. Vielmehr geht es um die Analyse der Bedingungen der Möglichkeit einer Erscheinung. Wie leicht zu sehen ist, enthält diese Begriffsbestimmung keinerlei normative Implikationen. "Kritik" bedeutet einen Gegenstand und wie er sich gesellschaftlich und historisch "zugerichtet" darstellt, in genau der vorgefundenen Form zu verstehen. "Kritik" ist wachsam gegenüber der herrschaftlichen Konstitution aller Gegenstände. Kritik in Adornos befreiungstheoretischer Perspektive heißt daher, die Momente von Herrschaft in den Gegenständen zu identifizieren und zu analysieren. In Auseinandersetzung mit der seinerzeit vorherrschenden Kulturkritik, entwickelt Adorno im genannten Aufsatz ein reflexives Vorgehen für die Interpretation von Kultur, darunter Kunst. Er bewerkstelligt das, indem er auslotet, was mit immanenter, transzendenter, was mit Kultur- und Ideologiekritik jeweils erkennbar wird und welchen Verdinglichungen sie jeweils "aufsitzen". Mit "dialektischer Kritik" findet er ein den Gegenständen angemessenes Vorgehen.
Theodor W. Adorno (1949/1951) "Kulturkritik und Gesellschaft", in: Adorno Gesammelte Schriften, Bd. 10.1, Frankfurt: Suhrkamp, S. 11-30
Kritische Theorie heute
ist eine Workshop- und Vortragsreihe der Adorno-Forschungsstelle, die seit dem Wintersemester 2015/16 semesterweise stattfindet.
Kritische Theorie lebt von ihrer beständigen Reflexion auf die historisch gewordene soziale Gegenwart. Der Zeitkern, mit dem sie ihren Begriff von Wahrheit versieht, zwingt sie dazu, ihre zentralen Begriffe und Theoreme auf ihr Erklärungspotential hin zu überprüfen und bezüglich ihrer Gegenstände immer wieder neu auszurichten. Ziel der Workshop-Reihe Kritische Theorie heute ist es darum, klassische Texte der Kritischen Theorie und neuere Forschungsarbeiten zu diskutieren, um so bestimmen zu können, worin ihr Beitrag zur Philosophie und Gesellschaftstheorie heute besteht.
Die Reihe wird organisiert von Dr. Philip Hogh und Dr. Maxi Berger.