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Stellungnahme der Fachgruppe zum Krieg in der Ukraine

Wir stehen in Solidarität mit allen Menschen in der Ukraine, die durch Wladimir Putin und seinen Machtapparat in einen Krieg gezwungen, ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden und Gewalt und Todesgefahr ausgesetzt sind. Wir stehen in Solidarität mit denjenigen Teilen der russischen Zivilbevölkerung, die Repressionen durch ihre eigene Regierung erfahren und Leidtragende der Isolation und Sanktionen sind und sein werden. Wir stehen in Solidarität mit allen zur Flucht gezwungenen Menschen, in und aus der Ukraine und all denjenigen, die an der belarussisch-polnischen Grenze und anderswo nur allzu oft ‚vergessen‘ werden.

Wir stehen in besonderer Solidarität mit den Studierenden und Kolleg:innen unserer Universität, die von den aktuellen Ereignissen und anderen gewaltvollen und kriegerischen Auseinandersetzungen persönlich betroffen und deren Familien und Freund:innen in Gefahr und Not geraten sind.

Wir sehen Erziehungswissenschaft und Soziale Arbeit als Disziplinen und Professionen, die mit dem begründeten Selbstanspruch auftreten müssen, menschenrechtsgrundiert und kritisch gegenüber Nationalismen und Rassismen, gegenüber Paternalismen und Sexismen, gegenüber Krieg und Gewalt zu sein. Auch deshalb ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch wir den Angriffskrieg der politischen Machthaber in Russland gegenüber ihrem Nachbarstaat Ukraine scharf verurteilen.

Diskussionsbeitrag zum Krieg in der Ukraine

Der Staatspräsident Wladimir Wladimirowitsch Putin begründet diesen Krieg mit einer Mischung aus vereinnahmendem Rassismus und imperialem Nationalismus. Er sieht das nationale Volk des Staates Russland (noch) über Staatsgrenzen verteilt und beklagt dies. So können wir in einem Essay von Putin in der Wochenzeitschrift Die Zeit lesen: „Russen, Ukrainer und Weißrussen sind allesamt Nachfahren des alten Rus[1] (…). Wenn man über eine einzige große Nation redet, eine dreieinige Nation, welchen Unterschied macht es dann, als was die Menschen sich verstehen – Russen, Ukrainer oder Weißrussen?“ (Die Zeit vom 10.02.2022) Diese aus Putins Perspektive ungünstige Situation soll mit den Mitteln eines mörderischen Angriffskrieges verändert werden. Zugleich behauptet er einen Identitätswandel, den er in der Ukraine festzustellen meint, und er sieht diesen Wandel als Ergebnis einer „erzwungenen Assimilation“ durch den Westen, die „in den Konsequenzen vergleichbar“ sei „mit der Verwendung von Massenvernichtungswaffen gegen uns“ (ebd.). Putin sieht den identitären Kern von „Russen, Ukrainer[n] und Weißrussen“ als unvereinbar mit parlamentarischer Demokratie, offener Debatte und Meinungsfreiheit, mit einem politischen System, das regelmäßig auch zu einem Regierungswechsel führen kann.

Putin inszeniert sich mit solchen Begründungen gerne als kenntnisreichen Historiker und Volkskundler. Er verbindet dies mit einer öffentlichen Präsentation, die Ute Scheub als „toxische Männlichkeit“ beschreibt (Scheub 2020, Heldendämmerung; hier Frankfurter Rundschau vom 26./27.02.2022). Gerne zeigt er sich in den Medien mit nacktem Oberkörper und in kraftstrotzender Pose und gibt sexistische Sprüche von sich.

Wir wissen nicht, wie hoch in Russland die Zustimmung zu Putin und seinem Machtapparat, zu seinem völkisch-rassistischen Nationalismus und zu seiner aggressiven Männlichkeitsinszenierung tatsächlich ist. Opposition ist zweifellos schwierig in einem autoritären Regime, das keine Meinungsfreiheit zulässt und seine Kritiker:innen mit Zensur und gewaltsamer Repression, Haft und so manches Mal auch Mord verfolgt.

Im Vorgehen gegen die Stimmen der Opposition ähnelt die russische Führung der belarussischen. Russische Wissenschaftler:innen wenden sich mit dramatischen Worten an ihre Kolleg:innen in Deutschland und riskieren dabei die eigene Verhaftung und/oder Zerstörung ihrer Karrieren. Wir bewundern den Mut, mit dem diese Kritiker:innen in Russland und Belarus angesichts der ernsten Folgen, die es für sie haben kann, agieren. Und wir hoffen (und müssen daran arbeiten), dass wir selbst in ähnlichen Situationen auch einen solchen Mut aufbringen werden.

Wir solidarisieren uns mit allen in Russland und Belarus, die diesen Krieg nicht befürworten und unter den höchsten Risiken für Leib und Leben von Beginn an gegen den Krieg demonstriert haben – sehr viele sind schon verhaftet worden.

Wir erinnern uns zudem an die besondere Geschichte, die Deutschland mit Russland verbindet. Der Überfall des sog. Dritten Deutschen Reiches am 22. Juni 1941 auf die Sowjetunion brachte unendliches Leid über die Menschen und im Kriegsverlauf starben zwischen 24 und 40 Millionen Bewohner:innen der Sowjetunion. Im deutschen Vernichtungslager Auschwitz waren es zunächst russische Kriegsgefangene, an denen mit Zyklon B überaus grausame Experimente durchgeführt wurden, die tödlich endeten. Es ist aus unserer Perspektive also alternativlos, weiterhin – wie es auch der Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung (vom 27.02.2022) betont hat – an einer „Aussöhnung zwischen Deutschen und Russen nach dem Zweiten Weltkrieg“ festzuhalten und diese „Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte“ nicht zu vergessen. Ein antirussischer Rassismus oder antirussische Ressentiments wären völlig fehl am Platz: Es ist das Regime Putins und sein Machtapparat, die diesen Krieg geplant und vorbereitet haben und jetzt durchführen, es sind nicht die Russen!

Gegenüber der Bevölkerung Russlands, aber auch in internationalen Kontexten, wird eine weitere Begründung für die Notwendigkeit des militärischen Einsatzes verbreitet. Die Rede vom „Völkermord“ an der russischen Bevölkerung in der Ostukraine und die Notwendigkeit der „Entnazifizierung“ in der Ukraine werden bemüht. Dazu kann angemerkt werden: Ein beachtlicher Anteil der russischen Bevölkerung hat Verwandte in der Ukraine. Das militärische Vorgehen gegen Ukrainer:innen trifft also zugleich die Menschen in Russland. Putins Rhetorik kommentiert die Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht (DGIR) wie folgt:

„Wir halten fest, dass die Sprache des Völkerrechts von Russland missbraucht wird, um juristisch nicht haltbare Rechtsbehauptungen vorzubringen. Wir fordern alle Staaten und internationalen Akteure auf, diese Scheinargumente zu entlarven.“

Die DGIR verweist im Weiteren auf die Verpflichtung in der Charta der Vereinten Nationen:

„Die Charta der Vereinten Nationen verpflichtet alle Mitglieder, in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Anwendung von Gewalt zu unterlassen (Art. 2 Abs. 4 UN-Charta).“ [2]

Mittlerweile wissen die meisten Menschen, dass die ukrainische Regierung demokratisch gewählt ist. Präsident Wolodymyr Selenskyj ist 2019 in demokratischen Wahlen mit großer Mehrheit der abgegebenen Stimmen der wahlberechtigten Bevölkerung zum Präsidenten gewählt worden. Jegliche Regelungen des Umgangs mit ethnischen Minderheiten müssen Gegenstand politischer Verhandlungen sein.

Dementsprechend rief der Botschafter Kenias Martin Kimani im UN-Sicherheitsrat in seiner Sondersitzung am 22.02.2022 eindringlich das russische Staatsoberhaupt dazu auf, die Grenzen der Ukraine unbedingt zu respektieren, und verwies dabei auf die kolonialen Verbrechen in Afrika, samt der willkürlichen Ziehung der Staatsgrenzen, die von den afrikanischen Ländern dennoch akzeptiert und respektiert werden. In seiner viel beachteten Rede sagte Kimani:

„Kenia und fast jedes afrikanische Land wurde durch das Ende eines Empire geboren. Unsere Grenzen zogen wir nicht selbst. Sie wurden in den fernen Kolonialmetropolen London, Paris und Lissabon gezogen, ohne Rücksicht auf die alten Nationen, die sie spalteten.

Heute leben über die Grenze jedes einzelnen afrikanischen Landes hinweg unsere Landsleute, mit denen wir tiefe historische, kulturelle und sprachliche Verbindungen teilen. Hätten wir bei der Unabhängigkeit entschieden, Staaten auf der Grundlage ethnischer, rassischer oder religiöser Homogenität zu gründen, würden wir viele Jahrzehnte später immer noch blutige Kriege führen. (...)

Doch Kenia lehnt es ab, eine solche Sehnsucht mit Gewalt zu verfolgen. Wir müssen unsere Heilung von der Asche toter Empires in einer Weise abschließen, die uns nicht in neue Formen von Herrschaft und Unterdrückung zurückwirft. Wir lehnten Irredentismus und Expansionismus ab, auf jeder Basis, auch rassisch, ethnisch, religiös oder kulturell. Wir lehnen es auch heute ab.“ [3]

Das ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) verurteilt den Krieg:

„The Russian invasion of Ukrainian territory is a blatant violation of international law and is in no way justifiable. (…) Russia's war of aggression with the participation of Belarus and the massive attacks on the civilian population that accompany it violate fundamental principles of international law and meet the criteria of aggression, a fundamental crime against international criminal law.“ [4]

Eine UN-Resolution im Sicherheitsrat ist vorerst an der Blockade der Russischen Föderation gescheitert. Eindringlich verurteilte der ukrainische Botschafter im UN-Sicherheitsrat Sergiy Kyslytsya die Kriegsverbrechen der russischen Regierung, die just während der Sondersitzung (am 24.02.2022) begonnen haben. In einer dramatischen Ansprache an Botschafter:innen derjenigen Länder, die den Angriffskrieg Putins scharf verurteilten, dankte der ukrainische Botschafter den Müttern und Vätern dieser Vertreter:innen der demokratischen Staaten und spielte damit auf die Erziehung zur Demokratie an.[5]

Wir hoffen, dass weitere intensivste internationale Anstrengungen unternommen werden, um diesen Krieg und dieses Leiden zu beenden. Die Annahme der Resolution in der UN-Vollversammlung am 02.03.2022, in der 141 Staaten den Angriff Russlands auf die Ukraine auf das Schärfste verurteilten und Russland zum Abzug der Truppen aufforderten[6], lässt hoffen. Wir solidarisieren uns mit allen unter diesem Krieg leidenden Menschen in der Ukraine. Menschen in ihren Häusern, auf der Flucht und in der erzwungenen Emigration in die Nachbarstaaten. Wir gedenken den Menschen, die in diesem verbrecherischen Krieg ums Leben gekommen sind, ihren Angehörigen sprechen wir unser Mitgefühl aus. Wir begrüßen jede Hilfe, die für die Bevölkerung geleistet wird, und drücken unsere hohe Anerkennung für den unfassbar mutigen Widerstand der ukrainischen Gesellschaft aus. Wir hoffen, dass dieser Widerstand die Führung in Moskau zum Einlenken bewegt. Das allernotwendigste in dieser humanitären Katastrophe ist nun, die Fluchtwege gesichert und offen zu halten. Wir begrüßen die Bereitschaft der europäischen Staaten, Flüchtlingshilfe mit hohem Engagement zu organisieren und die Aufnahmeprozeduren zu vereinfachen. Wir appellieren an die EU-Länder, künftig diese Praxis fortzusetzen und den bisherigen restriktiven Umgang mit Menschen auf der Flucht und Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen europäischer Staaten zu beenden.

Die Verantwortlichen dieser Aggression müssen zur Rechenschaft gezogen und in internationalen Verfahren vor Gericht gestellt werden. Die Ukraine hat bereits den Internationalen Gerichtshof angerufen. ECCHR informiert, dass der Krieg auch Gegenstand eines internationalen Strafverfahrens werden wird.

Langfristig müssen dringend mehr internationale Bemühungen unternommen werden, um die Wirksamkeit politischer Instrumente zu stärken, die es ermöglichen, die Ziele der Charta der Vereinten Nationen auf Verhandlungswegen zu erreichen. Hierzu ist jedoch auch politischer Realismus und eine kompetente Einschätzung der autokratischen Herrscher und Regime notwendig. Hier muss die EU Selbstkritik üben – damit hat sie schon begonnen. 

Mit den Worten des ECCHR

„rufen wir zu globaler Solidarität und mehr zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit, zu mehr Achtung der politischen und sozialen Menschenrechte und zur Stärkung des Völkerrechts auf, um uns aus diesem schmerzlichen Tiefpunkt herauszuhelfen und eine gerechtere und friedlichere Welt zu schaffen.“ [7]

 

Verfasst am 3.3.2022 von

Rudolf Leiprecht, Lucyna Darowska, Angela Janssen, Antonia Kiel, Christian Pfeil


[1] Mit „Rus“ bezieht sich Putin auf die Erzählung eines „mittelalterlichen altostslawischen Großreiches“, der sog. Kiewer Rus: „Kiew war damals als Großfürstensitz das politische und kulturelle Zentrum (…) eines russischen Fürstengeschlechts.“ (Jan Emendörfer in der Frankfurter Rundschau vom 26./27.02.2022)

[2] dgfir.de (Zugriff: 28.02.2022).

(Stand: 19.01.2024)  | 
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