AP02

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Ältere Salzwiesen- und Watthorizonte als natürliche Pegelmarken von Meeresspiegeländerungen

Förderung durch die DFG in den Jahren 1997 – 2001
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Salzwiesenhorizonte am seeseitigen Strand von Juist (Foto Freund)


Einleitung

Zyklische Klimaschwankungen des Quartär haben in der südlichen Nordsee und den angrenzenden Festlandsgebieten eine Schichtenfolge hinterlassen, die durch eine größere Zahl von Meerestransgressionen und –regressionen gegliedert ist. Phasen sinkender Temperaturen und extreme Kaltzeiten sind dabei durch Regressionen, also Meeresrückzug bzw. Meeresspiegel-Tiefstände gekennzeichnet, Phasen steigender Temperaturen und Warmzeiten durch ein Vorrücken des Meeres bzw. Meeresspiegel-Hochstände. So lag zum Beispiel zwischen 22.000 bis 18.000 Jahren vor heute, zum Höchststand der letzten Kaltzeit in Europa, der Weichsel-Kaltzeit, der Nordseespiegel ca. 110 – 130 m tiefer als heute, und die Küstenlinie hatte sich weit nach Norden bis ca. 350 km nördlich der Doggerbank zurückgezogen. Mit der Wiedererwärmung stieg der Meeresspiegel an, und die Küstenlinie verschob sich rasch über ehemalige eiszeitliche Landschaften hinweg landwärts und höher. Zunächst drangen die Überflutungen von Norden in das heutige Nordseebecken; erst gegen 7000 v. Chr. öffnete sich der Ärmelkanal als weitere Verbindung zum Atlantik und machte Großbritannien zur Insel.

Der holozäne Meeresspiegelanstieg verlief zunächst relativ rasch und kontinuierlich mit einer durchschnittlichen Anstiegsrate von ca. 2,1 m pro 100 14C-Jahre. Erst ab 5000 v. Chr. verlangsamte sich der Anstieg deutlich und es wechselten sich Vorstoß- und Rückzugsphasen ab. Diese Phasen zeichnen sich im geologischen Aufbau des Küstenholozän durch eine Wechselfolge organogener und klastischer Ablagerungen ab, wobei Torfe bzw. Bodenbildungen Regressionsphasen und die klastischen Sedimente Transgressionsphasen entsprechen. Über die älteren trans- und regressiven Phasen im Holozän ist man durch zahlreiche Untersuchungen gut unterrichtet, für die Zeit nach der Zeitenwende bis zum Beginn historischer Pegelmessungen Mitte des 19. Jahrhunderts existiert jedoch eine Informationslücke mit wenigen Einzelinformationen. Mit der Untersuchung älterer Salzwiesen- und Watthorizonte, die sich im Bereich der Ostfriesischen Inseln gebildet haben, besteht die Möglichkeit diese Lücke zu schließen. Da im Untergrund der Inseln hauptsächlich sandige Sedimente lagern sind Setzungen, wie sie im festländischen Bereich z.B. durch eingeschaltete Torfe auftreten, hier zu vernachlässigen.

Ältere Salzwiesen- und Watthorizonte auf den Ostfriesischen Inseln als natürliche Pegelmarken

Dass die Ostfriesischen Inseln nicht lagestabil sind, ist durch geologische Untersuchungen und aktuelle Beobachtungen hinlänglich bekannt. Bedingt durch marine Morphodynamik hat sich die Position und Form sowie der Verlauf der Inselkette in den letzten Jahrhunderten stetig verändert. Durch eine Nord-Süd gerichtete Verlagerung schob sich zum Beispiel die Dünenfront der Inseln in den letzten 2000 Jahren um mindestens 500 m auf die jeweiligen Salzwiesen der Inseln vor. Dies hat zur Folge, dass diese von den Inseldünen überdeckt und der ursprüngliche Entwicklungszustand konserviert wurde. Heute werden solche älteren Salzwiesen bzw. Wattablagerungen erosiv am Strand freigelegt. Stellenweise treten dort mehrere solcher treppenartig gegeneinander abgesetzte Horizonte am Strand zu Tage (Abb. 1).

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Abb 1: Salzwiesenhorizonte auf Juist

Durch naturwissenschaftliche Untersuchungen lassen sich die Ablagerungsbedingungen dieser älteren Horizonte rekonstruieren. Hierzu nutzt man neben geologischen Methoden (Geochemie, Sedimentologie) vor allem paläoökologische Untersuchungen, wie zum Beispiel die Pollenanalyse, sowie die Bestimmung von Kieselalgen (Abb. 2) und pflanzlicher Makroreste (Früchte, Samen, Blätter, Blüten etc.).

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Abb. 2: Nitzschia sigma

Die Vegetation bzw. die Kieselalgenvergesellschaftungen der Salzwiesen und Watten verändern sich in typischerweise entlang eines Transektes vom Eulitoral in das Supralitoral. Sie zeigen also eine relativ enge Beziehung zur Lage des Mittleren Tidehochwassers (MThw) an. Rekonstruiert man also die Fazies der konservierten älteren Ablagerungen mittels paläoökologischer Untersuchungen, so erhält man einen relativen Bezug der Ablagerungen zum damaligen MThw-Stand. Die Höhenlage der Untersuchungspunkte wird mittels GPS bestimmt, das Alter der untersuchten Proben erhält man durch die Bestimmung des 14C-Gehaltes. Die gewonnenen Datensätze zu MThw-Ständen, die an Profilen auf verschiedenen Inseln erarbeitet worden sind, fließen letztendlich in ein Zeit-/Tiefendiagramm, an dem sich die Entwicklung des MThw während der letzten 2000 Jahre für den Bereich der Ostfriesischen Inseln ablesen lässt (Abb. 3).

Meeresspiegelanstieg
Abb. 3: Kurve der Meeresspiegeländerungen für den Bereich der Inseln Borkum, Juist und Mellum in den letzten 2000 Jahren (aus Freund et al. 2004).




Literatur:

Freund, H. & Streif, H. (1999): Natürliche Pegelmarken für Meeresspiegelschwankungen der letzten 2000 Jahre am Beispiel der Insel Juist. – Petermanns Geographische Mitteilungen, 143, 34-45.

Freund, H. & Streif, H. (2000): Natural sea-level indicators recording the fluctuations of the mean high tide level of the Southern North Sea. – Wadden Sea Newsletter, 2, 16-18. (download pdf)

Freund, H. & Streif, H. (2001): Brunnen und andere Funde am Juister Strand. – Archäologie in Niedersachsen, 4, 45-48.

Freund, H. (2002): Klimawandel und Landschaftsgenese der Barriereinseln im nordwestdeutschen Küstenraum. – Oldenburger Geoökologische Studien, 5, 85-105.

Freund, H., Petersen, J. & Pott, R. (2003): Investigations on recent and subfossil salt-marsh vegetation of the East Frisian barrier islands in the southern North Sea (Germany). – Phytocoenologia, 33, 349-375.

Freund, H., Gerdes, G., Streif, H., Dellwig, O. & Watermann, F. (2004): The indicator value of diatoms, pollen and botanical macro fossils for the reconstruction of sea-level fluctuations along the coast of Lower Saxony; Germany. – Quaternary International, 112, 71-97. (download pdf)

Freund, H. (2004): Die Dünen und Salzwiesenvegetation auf Juist und deren Änderung als Indikator für die Entwicklung der Insel seit dem Frühen Mittelalter. – Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet, 28 [im Druck].

Watermann, F., Freund, H. & Gerdes, G. (2004): Distribution and palaeoecological importance of diatoms in Holocene coastal deposits of NW Germany. – Eiszeitalter und Gegenwart, 54, [im Druck].


Kontakt: holger.freund@uol.de


(Stand: 19.01.2024)  | 
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