• Sprachcomputer mit Symbolen und Bildern können bei der Unterstützten Kommunikation helfen. Foto: Universität Oldenburg

  • Eine Gruppe von fünf Wissenschaftlerinnen und einem Wissenschaftler sitzt um einen Tisch und diskutiert über Forschungsergebnisse.

    Lena Ansmann (2. v. l.) und ihr Team untersuchen ein neues Versorgungsmodell für Menschen ohne Lautsprache. Foto: Universität Oldenburg/Martin Remmers

  • In Kommunikationsbüchern sind die Vokabeln zu finden, die für den Benutzer wichtig sind. Foto: Universität Oldenburg

  • Welche Kommunikationshilfe ist die richtige? Eine unabhängige Beratung soll zu einer besseren Versorgung führen. Foto: Universität Oldenburg

Kommunizieren mit Unterstützung

Die Oldenburger Gesundheitswissenschaftlerin Lena Ansmann und ihr Team untersuchen, wie sich die Versorgung von Menschen ohne Lautsprache verbessern lässt.

Die Oldenburger Gesundheitswissenschaftlerin Lena Ansmann untersucht mit ihrem Team, wie sich die Versorgung von Menschen ohne Lautsprache verbessern lässt.

Für die meisten Menschen ist Sprache unverzichtbar, um durchs Leben zu kommen. Rund 16.000 Wörter braucht ein Durchschnittsbürger für die tägliche Kommunikation, so das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2007. „In Deutschland gibt es aber gar nicht so wenige Menschen, die nicht sprechen können“, sagt Prof. Dr. Lena Ansmann. Dazu gehören Schlaganfall-Patienten, Menschen mit der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose), vor allem aber Kinder, die mit Mehrfachbehinderungen zur Welt gekommen sind, berichtet die Gesundheitsforscherin. Damit diese Menschen anderen ihre Wünsche und Bedürfnisse mitteilen können, haben Heilpädagogen das Konzept der Unterstützten Kommunikation entwickelt: Die Betroffenen lernen, sich über Gebärden auszudrücken, auf Gegenstände, Symbole oder Kommunikationstafeln zu zeigen oder Sprachcomputer zu verwenden, um mit anderen in Kontakt zu treten.

Solche Hilfsmittel können die Verständigung stark erleichtern. Doch gerade bei der Versorgung mit elektronischen Kommunikationshilfen hapert es. Fachleute beklagen unter anderem, dass die Zuständigkeiten in der Versorgungskette vielfach ungeklärt seien, dass Standards fehlten und große regionale Unterschiede bestünden. „Am Ende bekommen viele Betroffene ein Gerät mit nach Hause, das nicht zu ihren Fähigkeiten passt und dann unbenutzt in der Ecke steht“, berichtet Ansmann.

Lebensqualität verbessern

Die Forscherin will das ändern: Zusammen mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Jens Boenisch von der Universität Köln leitet sie ein Projekt, in dem ein neues Versorgungsmodell für Menschen ohne Lautsprache erprobt und evaluiert wird. Es trägt den Titel MUK (Erweiterung des Selektivvertrags zu Maßnahmen der Unterstützten Kommunikation) und wird durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Dieses Gremium ist das wichtigste Organ der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern. Über den Innovationsfonds fördert es Forschungsprojekte, die darauf abzielen, die Versorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu verbessern. Genau das ist auch das Ziel von MUK: Das Projekt soll dazu beitragen, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Es ist eines von wenigen Forschungsvorhaben, die den Erfolg Unterstützter Kommunikation nicht nur anhand von Fallstudien, sondern mit einer größeren Stichprobe untersuchen.

„Bislang gehen Eltern oder Betroffene zum Arzt, bekommen ein Rezept für Unterstützte Kommunikation und werden dann von einer Hilfsmittelfirma beraten“, erläutert Ansmann. Nicht selten empfehlen die Hersteller High-Tech-Geräte, deren Bedienung die Anwender überfordert. „Dieser Prozess führt also zu einer Fehlversorgung: Weder kann die Person besser kommunizieren, noch wird das Gerät genutzt“, so die Forscherin. Das neue Versorgungsmodell sieht daher eine unabhängige Beratung vor. Zudem erhalten die Betroffenen gemeinsam mit ihren Angehörigen, Betreuern oder Partnern ein vierwöchiges Training und gegebenenfalls eine Therapie, damit sie wirklich lernen, mit dem Gerät umzugehen. In drei Beratungsstellen in Köln, Hamburg und Moers wird dieses Modell seit Juni 2018 bei Versicherten der AOK Rheinland-Hamburg praktisch umgesetzt.

Evidenzbasierte Versorgung

Ansmann, die seit 2017 in Oldenburg die deutschlandweit erste Professur für Organisationsbezogene Versorgungsforschung bekleidet, wird das neue Versorgungsmodell evaluieren – also überprüfen, ob die aufwändigere Vorgehensweise tatsächlich bessere Resultate bringt. Dafür interviewen und befragen sie und ihr Team zum einen Fachleute in den Beratungsstellen, die das neue Modell erproben, zum anderen die dort versorgten Betroffenen und deren Bezugspersonen. Als Vergleichsgruppe haben die Forscherinnen Betroffene anderer Krankenversicherungen ausgewählt, die in den drei Beratungsstellen zwar auch eine unabhängige Beratung erhalten, allerdings ohne Training oder Therapie. „Außerdem haben wir eine zweite Vergleichsgruppe, das sind die Regelversorgten ohne Beratungsstellenkontakt, die wir über die AOK Niedersachsen zur Teilnahme an der Studie einladen“, berichtet Ansmann.

Im qualitativen Teil der Studie hat das Team bereits Gruppeninterviews mit Mitarbeitern der Beratungsstellen, Eltern, Pädagogen aus Schulen und Werkstätten, Sprachtherapeuten und anderen Beteiligten geführt. So wollen die Forscherinnen herausfinden, wie es den Betroffenen geht, die noch nicht an dem neuen Modell teilnehmen. Begleitend zu Beratung, Trainingsprogramm und Therapie sollen weitere Interviews und Befragungen  im Längsschnitt ermitteln, welche Probleme aufgetreten sind und ob die Kommunikationsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen nun verbessert werden konnte – ob sie beispielsweise in der Lage sind, jemanden zu begrüßen oder auszudrücken, dass sie etwas nicht möchten.

Inzwischen haben die Forscherinnen die ersten Fragebögen versandt. Insgesamt wird die Studie bis Ende 2019 laufen und mehr als 800 Betroffene und deren Bezugspersonen einschließen. Wenn sich das neue Versorgungsmodell als vorteilhaft herausstellt, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss darüber, ob es bundesweit umgesetzt werden soll. Ansmann betont: „Mit unserem Projekt stellen wir sicher, dass die Versorgung in der Unterstützten Kommunikation künftig evidenzbasiert erfolgen kann.“

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