Arten automatisch erfassen 

Das brasilianische Team verfolgte vielfältige Ansätze, um in der knappen vorgegebenen Zeit die Biodiversität des ausgewählten Regenwaldstücks zu erfassen: Die Forschenden schickten verschiedene autonome Drohnen und Roboter in das Gebiet, um Fotos zu machen, Wärmebilder aufzunehmen, Töne und Geräusche aufzuzeichnen, Proben von Wasser, Boden und Streu zu nehmen und kleine Bodenlebewesen sowie blutsaugende Insekten einzufangen. So wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl die „sichtbare“ Biodiversität – alles, was sich anhand von Fotos identifizieren lässt – als auch die „unsichtbare“ biologische Vielfalt dokumentieren. Lebewesen, die selten vorkommen, sich verstecken oder nachtaktiv sind, konnten etwa anhand von DNA-Proben oder Geräuschen aufgespürt werden. 

Die entwickelten Technologien sollen zukünftig auch in anderen Ökosystemen anwendbar sein, um schnell und so wenig invasiv wie möglich einen Überblick über die Artenvielfalt zu gewinnen. Die Idee: Statt der in der Biodiversitätsforschung bislang üblichen mühevollen Feldarbeit sollen in Zukunft so viele Arten wie möglich automatisch erfasst werden. „Unsere Ansätze erfordern keine menschliche Präsenz im Untersuchungsgebiet. Sie beruhen auf zuvor gesammelten umfangreichen Datenbeständen aus Citizen-Science-Programmen, Universitätsdatenbanken und dem Wissen der einheimischen Bevölkerung“, heißt es auf der Webseite des Teams. 

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Arbeitsgruppe Applied Artificial Intelligence

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  • Luftbild des Regenwaldes, Bäume unterschiedlicher Höhe vor nebeligem Himmel.

    Die Artenvielfalt des brasilianischen Regenwaldes zu ermitteln, ohne dass ein Mensch vor Ort ist: Das war die Aufgabe beim XPRIZE Rainforest. Adobe stock / PREDRAG SEPELJ

  • Foto des Forschers neben einem Sensor vor sanft hügeliger Graslandschaft.

    Für seine Forschung reiste Doktorand Hannes Kath Anfang des Jahres in den brasilianischen Nationalpark Serra do Cipó. Dort nahm er Sensoren in Augenschein, die Audiosignale aus der Umgebung aufnehmen können. Hannes Kath

Der Klang des Regenwalds

Neue Technologien zu entwickeln, um die biologische Vielfalt zu erforschen – darum ging es beim XPRIZE Rainforest, einem globalen Wettbewerb mit mehr als 300 Teams. Im Finale waren auch drei Promovierende der Universität am Start.

Neue Technologien zu entwickeln, um die biologische Vielfalt zu erforschen – darum ging es beim XPRIZE Rainforest, einem globalen Wettbewerb mit mehr als 300 Teams. Im Finale waren auch drei Promovierende der Universität am Start.

Die Aufgabe, die das „Brazilian Team“ vom 17. bis 22. Juli zu lösen hatte, war anspruchsvoll: Die Gruppe aus mehr als hundert Forschenden aus acht Ländern hatte im Finale des XPRIZE Rainforest genau 24 Stunden Zeit, um die Vielfalt der Tiere und Pflanzen in einem entlegenen, hundert Hektar großen Stück des Amazonas-Regenwalds zu erkunden. Der Knackpunkt dabei: Kein Mensch durfte einen Fuß in das Gebiet setzen, dessen Fläche etwa 140 Fußballfeldern entspricht. Und anschließend blieben nur 48 Stunden Zeit, um die von Drohnen und Robotern gesammelten Proben und Daten aufzubereiten, zu interpretieren und die Erkenntnisse in einem Bericht festzuhalten. 

Für Hannes Kath, Doktorand in der Arbeitsgruppe Applied Artificial Intelligence von Prof. Dr. Daniel Sonntag am Institut für Informatik, waren diese 72 Stunden „sehr besonders“ – auch wenn er sie im heimischen Oldenburg verbrachte. Der Informatiker gehörte zu einer vierköpfigen Oldenburger Gruppe der Universität und des Deutschen Zentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), die als Teil des brasilianischen Teams ein KI-System zur Auswertung von Audiodaten aus dem Regenwald entwickelt hatte. Während des Finales waren die vier ständig mit den anderen Teammitgliedern in Kontakt, die sich auf acht Länder und drei Kontinente verteilten. „Es gab ein paar kleinere Probleme, aber insgesamt hat alles gut funktioniert“, so Kath. Neben seinem Betreuer Dr. Thiago Gouvêa vom DFKI waren die Doktorandinnen Ilira Troshani und Rida Saghir, ebenfalls aus der Gruppe von Daniel Sonntag, an dem Projekt beteiligt. 

XPRIZE Rainforest ist ein Wettbewerb, der von der 1995 gegründeten gemeinnützigen XPRIZE Stiftung ausgelobt wurde. Ziel war es, neuartige Technologien zu entwickeln, mit denen sich die tropische Biodiversität möglichst schnell und effektiv erfassen und überwachen lässt. An dem Wettbewerb, die über fünf Jahre lief, nahmen insgesamt rund 300 Teams teil. Sechs Teams erreichten das aktuell laufende Finale und treten dort nacheinander an. „Die Preisträger werden im November auf dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro bekanntgegeben“, erzählt Kath. Der erste Platz ist mit 5 Millionen Dollar dotiert.

Dauerkonzert im Dschungel

Unter den Technologien, die das brasilianische Team einsetzte, war die akustische Überwachung ein wichtiger Baustein. „Diese Methode beschränkt sich zwar auf Tiere, die Geräusche machen, aber das sind durchaus einige“, sagt Hannes Kath. Im Dschungel herrscht ein Dauerkonzert: Zahlreiche Vögel zwitschern durcheinander, Grillen zirpen, Frösche quaken, andere Tiere schnalzen, klackern, bellen oder machen dröhnende Geräusche wie ein Didgeridoo. Für das Oldenburger Akustik-Team bildete das Klangschauspiel eine umfangreiche Datenquelle, um vor allem Insekten, Vögel, Fledermäuse und Amphibien aufzuspüren. 

Ihr Verfahren beruhte darauf, jeweils drei Sekunden lange Audio-Schnipsel zu analysieren, die Drohnen oder Roboter im Regenwald aufgenommen hatten. Um die umfangreichen Daten des Tierkonzerts so aufzubereiten, dass ihr KI-Modell damit etwas anfangen konnte, mussten die Forschenden im Vorfeld einige Anstrengungen unternehmen. Eine Software wandelte die Aufnahmen zuerst in Abbildungen um, auf denen die Geräusche als Muster aus violetten, pinkfarbenen und orangefarbenen Punkten, Strichen und Linien dargestellt sind. „Darauf kann man erkennen, wie hoch die Energie des Schallsignals in einem bestimmten Frequenzbereich ist“, erläutert der Informatiker. Experten können Geräusche anhand der Muster bestimmten Tierarten zuordnen. 

„Da wir die gesamte Klanglandschaft aufgezeichnet haben, war das Ergebnis allerdings erst einmal so ähnlich wie beim berühmten Cocktailparty-Effekt – man hört alles durcheinander“, sagt Kath. Die vier Oldenburger Forschenden zerlegten die Klangschnipsel daher in acht unterschiedliche „Kanäle“, um die Lautäußerungen verschiedener Tiergruppen zu separieren. Damit ihr KI-Modell in der Lage war, etwa Zikaden oder Vögel zu erkennen, trainierte das Team es mit Daten aus einem Klangarchiv. Als Ergebnis erhielten sie Wahrscheinlichkeitswerte dafür, dass eine bestimmte Art in einer Aufnahme zu hören ist. 

Das KI-System lernt ständig weiter

Eine Einschränkung bei dieser Methode gibt es daher: „Man kann nur Arten finden, die auch in den Trainingsdaten vorkommen“, sagt Kath, der sich auch in seiner Doktorarbeit damit beschäftigt, Methoden des maschinellen Lernens zur akustischen Überwachung der Biodiversität zu entwickeln. Das Oldenburger Team setzte daher noch weitere Verfahren ein. Unter anderem entwickelten die Forschenden eine Methode, um unter den Tausenden von Klangschnipseln diejenigen zu finden, auf denen bisher nicht identifizierte Tierarten zu hören sein könnten. Diese Aufnahmen wurden dann wiederum Expertinnen und Experten aus dem Gesamtteam zur „Annotierung“ vorgelegt. Dabei handelte es sich um Spezialisten für bestimmte Tiergruppen, darunter auch Bürgerwissenschaftler, die sich die Klangproben anhörten und dann ankreuzen konnten, um welche Gattung oder welche Art es sich handeln könnte. „Durch dieses Feedback lernt unser KI-System ständig weiter“, erläutert Thiago Gouvêa, der an der Oldenburger DFKI-Zweigstelle die Arbeitsgruppe computergestützte Nachhaltigkeit und Technologie leitet. 

Wie viele Arten das Team während des 72-stündigen Finales identifizieren konnte, ist noch geheim. Kath verrät nur so viel: „Wir haben mehrere bislang unbekannte Zikadenarten entdeckt.“ Am Ende der 48-stündigen Auswertephase gab das Gesamtteam einen 200-seitigen Bericht ab, in dem neben dem wichtigsten Ergebnis, einem Überblick über die Biodiversität im Testgebiet, auch die eingesetzten Verfahren erläutert werden. 

Nun heißt es für Kath und seine Teamkolleginnen Daumen drücken – und weiter an der Software arbeiten, die nach dem Ende des Wettbewerbs frei verfügbar sein soll. Ein möglicher Gewinn soll gespendet werden, sagt Simone Dena von der brasilianischen University of Campinas, Leiterin der Bioakustik-Gruppe, stellvertretend für das gesamte „Brazilian Team“: „Wir haben uns darauf geeinigt, das Preisgeld für die Erforschung der biologischen Vielfalt in den Tropenwäldern, insbesondere im Amazonas, und im Atlantik zu verwenden.“ 

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