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Carl von Ossietzky: Namensgeber der Universität

Chronologie der Namensgebung

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Der Namensstreit

Heute erscheint es kaum verständlich, warum es der Universität fast 20 Jahre lang verwehrt blieb, sich nach dem Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky zu benennen. Wie der Namensstreit zum Politikum wurde und wie die Auseinandersetzung zu neuer Aufmerksamkeit für das Werk des Publizisten beitrug, beschreibt der Oldenburger Journalist Rainer Rheude in seinem Buch „Kalter Krieg um Ossietzky“.

Die Geschichte beginnt am 6. Juni 1972: Der Jurastudent Hans-Henning Adler, Mitglied des Gründungsausschusses, schlägt Ossietzky als Namenspatron für die neue Universität vor. Man war auf der Suche nach einer Person mit Verbindung zur Region, die für „den antifaschistischen Kampf und den Reformanspruch der Neugründung stehen sollte,“ schreibt Rheude. Auch wenn Adler DKP-Mitglied war, nahm der Gründungsausschuss den Vorschlag ohne Gegenstimmen an. „Als Anknüpfung an eine freiheitlich-demokratische politische Tradition in Deutschland schien der Name kaum problematisch“, zitiert Rheude den ehemaligen Kanzler Jürgen Lüthje.

Die Auseinandersetzung begann im Februar 1974. Die SPD-geführte Landesregierung lehnte die Namensgebung ab. Sie sei nicht mehr zeitgemäß, hieß es offiziell. Es war aber wohl komplizierter: Da der Vorschlag von der DKP gekommen war, befürchtete die SPD, durch eine Zustimmung in die Nähe der Kommunisten gerückt zu werden. Das bürgerliche Lager wiederum betrachtete Ossietzky kritisch, etwa aufgrund seiner Kritik an der Rüstung der Weimarer Republik, und lehnte ihn als Namenspatron ab. Über Ossietzkys Person oder sein Werk wussten die meisten indessen wenig.

Die Lage spitzte sich zu, als Studenten am 16. Oktober 1974 am Turm des Allgemeinen Verfügungszentrums (heute A1-4) den Namenszug „Carl von Ossietzky Universität“ anbrachten. Ein Dreivierteljahr später kommt es zum Eklat: Die Landesregierung ordnet einen größeren Polizeieinsatz an, um die Lettern entfernen zu lassen. Nur fünf Tage später hängen die Styroporbuchstaben wieder – und werden fortan geduldet. Die Polizeiaktion führt zu internationaler Berichterstattung und bestärkt viele Uni-Angehörige, sich weiter für die Namensgebung einzusetzen. Die Landesregierung, ab 1976 CDU-geführt, lenkt jedoch nicht ein.

Derweil beginnt die Universität, sich genauer mit Ossietzky und seinem Werk zu befassen: Die AStA-Kulturreferentin Elke Suhr nimmt Kontakt zu Ossietzkys Tochter Rosalinde von Ossietzky-Palm auf, die im November 1975 zum ersten Mal in Oldenburg spricht und 1981 der Universität den Nachlass ihrer Eltern übergibt. Ab 1978 finden mehrfach „Ossietzky-Tage“ statt, eine Veranstaltung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen mit prominenten Gästen, darunter 1988 auch der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt. Oldenburger Forschende beginnen zudem Mitte der 1980er Jahre, an einer Ossietzky-Gesamtausgabe zu arbeiten, die 1994 erscheint.

Schließlich endet der Namensstreit: 1991, nach einem weiteren Regierungswechsel in Hannover, wird es Hochschulen erlaubt, ihren Namen selbst zu wählen. Im Oktober feiert die Universität die Namensgebung mit einem Festakt. Ministerpräsident Gerhard Schröder entschuldigte sich im Namen der Landesregierung bei Rosalinde von Ossietzky-Palm dafür entschuldigt, „was das Land Niedersachsen dem Namen Ihres Vaters angetan hat.“

Die fast 20 Jahre dauernde Auseinandersetzung habe für ungeahnte Aufmerksamkeit gesorgt, schreibt Journalist Rheude: „Mit keinem anderen Thema hätte die Universität in den Anfangsjahren mehr an internationaler Anerkennung und Wertschätzung gewinnen können“, so sein Fazit.

Rainer Rheude: „Kalter Krieg um Ossietzky – Ein Namensstreit in Oldenburg“, Edition Temmen, 2009

  • Das Bild zeigt Carl von Ossietzky in einer schwarz-weißen Aufnahme. Er schaut versonnen in die Ferne und hat seinen Kopf auf den linken Arm gestützt.

    Carl von Ossietzky (1889-1938) war Autor, Journalist und Pazifist. Er setzte sich in der Weimarer Republik für Demokratie und Frieden sowie gegen den Nationalsozialismus ein. Nach der Machtübernahme Hitlers wurde Ossietzky verhaftet, in verschiedene Konzentrationslager gebracht und gefoltert. 1936 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. 1938 starb er an den Folgen der Misshandlungen. Universität Oldenburg

  • Das sepiafarbene Bild zeigt Ossietzky in seinen jungen Jahren. Er trägt einen Anzug und hat die Hände in die Hüften gestemmt. Er schaut zur Seite.

    Carl von Ossietzky als junger Mann (um 1913). Universität Oldenburg

  • Das Bild zeigt Carl von Ossietzky neben anderen Männern. Er trägt einen Anzug, Krawatte und Mantel.

    Carl von Ossietzky im Mai 1932, kurz vor Antritt seiner Haft infolge des Weltbühne-Prozesses. Universität Oldenburg

„Einsatz für den Frieden“

Wer war Carl von Ossietzky? Über den Namenspatron der Universität wurde lange gestritten. Ein Gespräch mit Alexandra Otten und Werner Boldt über den überzeugten Demokraten Ossietzky, der für Frieden und Menschenrechte eintrat.

Wer war Carl von Ossietzky? Über den Namenspatron der Universität wurde lange gestritten. Ein Gespräch mit Alexandra Otten und Werner Boldt über den überzeugten Demokraten Ossietzky, der für Frieden und Menschenrechte eintrat.

Mussten Sie in letzter Zeit häufiger an Carl von Ossietzky denken?

Otten: Aufgrund des Uni-Jubiläums gab es mehr Anfragen zu Carl von Ossietzky als üblich. Auch deswegen habe ich öfter über ihn nachgedacht als sonst. Ich glaube, dass ihm die derzeitigen Proteste gegen Rechtsextremismus gefallen hätten. Er hätte sich bestimmt ähnliche Proteste gegen die Nationalsozialisten gewünscht.

Carl von Ossietzky wird oft als „Pazifist und Demokrat“ bezeichnet, aber welche Werte vertrat er genau?

Boldt: „Ich war Pazifist und werde Pazifist bleiben!“, sagte Ossietzky nach der Verleihung des Friedensnobelpreises in einem Interview, das unter Aufsicht der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) geführt wurde. „Dieser Ausspruch“, so ein Gestapo-Beamter in einem an Hermann Göring gerichteten Schreiben, „besagt, dass er auch in einem nationalsozialistischen Deutschland seine bisherige politische Stellung nicht aufgeben werde und könne, das heißt, dass er im bewussten Gegensatz zum nationalsozialistischen Gedankengut der Wiederertüchtigung und Wehrhaftmachung des deutschen Volkes steht.“ Sein politisches Denken war aber breiter angelegt. Seine politische Heimat waren die Deutsche Friedensgesellschaft und später die Deutsche Liga für Menschenrechte, die sich für die Rechte der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, für Gerechtigkeit in zwischenstaatlichen Beziehungen und für die Einführung internationaler Organisationen engagierte.

Welche Werte vertrat er neben dem Pazifismus?

Boldt: Er trat ein für die „Grundrechte und Grundpflichten des deutschen Volkes“, die in der Weimarer Verfassung festgeschrieben waren. Ossietzky sah in diesen Grundrechten „ein Programm politischer Pädagogik für Jahrzehnte.“ Überhaupt sah er in der ganzen Verfassung „die besten sozialsittlichen Tendenzen der modernen Gesellschaft“ enthalten. Er meinte damit die Überwindung des Klassengegensatzes von „Bürgern“ und „Arbeitern“. Er schrieb nie „Bourgeoise“ und „Proletariat“.

Wie wurde er zu einer Art Symbolfigur für den Widerstand gegen den Faschismus?

Otten: In der alten Bundesrepublik war er lange Zeit eher keine Symbolfigur, weil so wenig über ihn und sein Werk bekannt war. Es gab verschiedene und häufig ungenaue Interpretationen über ihn. Er wurde wahlweise als Opfer, Märtyrer, Pazifist, Kommunist oder sogar als Landesverräter gesehen. Es ist das Verdienst der Forschungsstelle Carl von Ossietzky an der Universität, von 1988 bis 1996 die Biografie und die Arbeiten Ossietzkys erforscht und veröffentlicht zu haben, sodass er überhaupt zu einer Symbolfigur werden konnte. In der DDR sah es anders aus: Hier wurde die Erinnerungskultur staatlich gelenkt und Ossietzky zum antifaschistischen Kämpfer stilisiert.

Lange Zeit war er eher keine Symbolfigur

 

War Ossietzky ein unbedingter Pazifist, der auch die Rüstung anderer Staaten offen kritisierte?

Boldt: Ossietzky kritisierte des Öfteren, dass überall mehr aufgerüstet werde als vor 1914. Ausführlicher äußerte er sich nach dem berühmten „Weltbühne-Prozess“, in den er persönlich involviert war. Wegen eines Artikels, der eine Andeutung über die – durch den Versailler Vertrag verbotene – Rüstungszusammenarbeit der Reichswehr mit der Sowjetunion enthielt, wurden Ossietzky als verantwortlicher Redakteur und der Verfasser des Artikels, Walter Kreiser, 1931 vom Reichsgericht wegen Landesverrats zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Kreiser floh nach Frankreich und veröffentlichte die Begründung des Urteils in einer französischen Zeitung. Diese war jedoch, wie Ossietzky urteilte, ein „hochkapitalistisches, der Rüstungsindustrie nahestehendes Organ“. Über Kreiser äußerte sich Ossietzky danach in einer Weise, die seine Abneigung gegen Aufrüstung erkennen lässt, egal von wem sie betrieben wurde: „Er [Kreiser] hat geglaubt, der Befreiung Deutschlands vom Geiste des Militarismus zu dienen, und in Wirklichkeit ist seine Hand geführt worden von journalistischen Werkzeugen französischer Kanonenfabrikanten, deren unsichtbarer und unfreiwilliger Auftraggeber doch der deutsche Nationalismus ist. Das entspricht den Bewegungsgesetzen der Blutigen Internationale.“ Damit spielte er auf die internationale Verflechtung der Rüstungsindustrie an.

Was waren die Gründe dafür, dass er 1936 den Friedensnobelpreis (rückwirkend für 1935) erhielt?

Otten: Es gingen 86 Vorschläge für Ossietzky beim Nobelpreiskomitee ein, so viele wie für keine andere Einzelperson. Dieser Erfolg beruhte auf der unermüdlichen Nominierungskampagne des Freundeskreises
Ossietzkys. In zwei Monaten hatte die Gruppe um zwei Journalisten nur durch Briefe und persönliche Kontakte diese hohe Zahl erreicht. Ossietzky erhielt den Preis nicht nur für seinen Einsatz für die Demokratie und den Frieden. Er war der erste, der den Friedensnobelpreis auch für das Leid zugesprochen bekam, dass er aufgrund seiner Überzeugungen erfahren hatte.

Welche Bedeutung hatte diese Auszeichnung?

Otten: Carl von Ossietzky empfand die Verleihung als Ehre. Er schrieb: „Nach längerer Überlegung bin ich zu dem Entschluß gekommen, den mir zugefallenen Friedensnobelpreis anzunehmen. Die mir von dem Vertreter des Geheimen Staatspolizeiamtes vorgetragene Anschauung, daß ich mich damit aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließe, vermag ich nicht zu teilen. Der Nobelpreis für den Frieden ist kein Zeichen des innern politischen Kampfes, sondern der Verständigung zwischen den Völkern.“

Welche Bedeutung messen Sie Ossietzkys Werk heute zu?

Boldt: Ossietzkys Schriften sind nach wie vor hilfreich, um auch den „sozialsittlichen“ Ursachen politischer Entwicklungen auf den Grund zu gehen – auch wenn sich die heutigen politischen Verhältnisse nicht mit denen der Weimarer Republik gleichsetzen lassen. Eine breite, tief in bürgerliche Schichten gehende Massenbewegung gegen rechts hat es damals beispielsweise nicht gegeben. Dennoch könnte die – meiner Meinung nach ausbaufähige – Beschäftigung mit Ossietzky auch heute förderlich sein, um das Engagement für die Demokratie zu stärken.

Gibt es Aspekte, die aus heutiger Sicht kritisch gesehen werden können?

Otten: Ich bin unsicher, was für ein Frauenbild Ossietzky hatte. Einerseits befürwortete er die Gleichberechtigung in vielen Artikeln, in denen er über emanzipierte, berufstätige Frauen schrieb. So verehrte er etwa die Arbeiten von Annette Kolb und Käthe Kollwitz. Allerdings achtete er auch auf Äußerlichkeiten. So spottete er einmal über die fehlenden körperlichen Vorzüge der „Damen des Reichstags“. In seinem Privatleben zog er es vor, der Alleinverdiener zu sein, der für die Familie sorgte und die Geschicke bestimmte – ungeachtet der Tatsache, dass seine Frau Maud zu Beginn der Ehe ebenfalls arbeitete. Ich glaube, dass er in dieser Hinsicht altmodisch war.

„Ossietzky war ein sehr zurückhaltender Mensch“

 

Wie würden Sie den Menschen Ossietzky beschreiben?

Boldt: Ossietzky war ein sehr zurückhaltender Mensch. Er hielt sich selber für unbequem. Ich bin der Meinung, dass er sich nicht verbog. Er war nicht starrsinnig, aber er passte sich nicht an, er hatte keine Schere im Kopf. Dreimal gab er eine sichere Stelle auf. Insgesamt imponiert mir sein fester, wenn auch etwas knorriger Charakter.

Otten: Ich würde Ossietzky als einen ruhigen Menschen beschreiben. Dies änderte sich allerdings, sobald er anfing, vor anderen Menschen Reden zu halten. Er hielt sogar eine Rede bei der „Nie-wieder-Krieg-Bewegung“ vor rund 200.000 Zuhörerinnen und Zuhörern. Ähnlich verhielt er sich in seinen Artikeln. Hier wurde er zum scharfen Kritiker und Analysten mit einem feinen Sinn für Ironie.

Interview: Ute Kehse und Henning Kulbarsch

 

Prof. Dr. Werner Boldt, Historiker und einer der Herausgeber der Ossietzky-Gesamtausgabe, lehrte und forschte bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 fast 30 Jahre an der Universität Oldenburg.

Alexandra Otten ist Historikerin in der Universitätsbibliothek und Kuratorin der Dauerausstellung zu Carl von Ossietzky.

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