Der US-Fußballprofi Robbi Rogers hat sich jüngst zu seiner Homosexualität bekannt – ein Outing, das anderen Spielern Mut macht? Soziologe und Sportsoziologe Thomas Alkemeyer erläutert im Interview, warum das Bild vom Fußball als Arena echter Männlichkeit brüchig wird.
FRAGE: Der US-amerikanische Fußballer Robbi Rogers hat sich jüngst geoutet. Ist das Eis im Profifußball nun gebrochen und werden weitere Outings folgen?
ALKEMEYER: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sein Outing weitere homosexuelle Fußballer ermutigt.
FRAGE: Ein Befreiungsschlag ist es aber wohl nicht. So hat Rogers nach seinem Outing seine Profikarriere gleich an den Nagel gehängt.
ALKEMEYER: Zwar mag ein derartiges Outing kein Befreiungsschlag sein, aber es trägt doch dazu bei, das Bild des Fußballsports als einer Arena „echter”, hegemonialer Männlichkeit brüchig werden zu lassen. Aber in der Tat ist es zweifelhaft, dass auch Spieler diesen Schritt wagen, die ihre Karriere fortsetzen möchten.
Konstruktionen von Männlichkeit, die sich über Körperkraft definierten und die Bereitschaft zur Investition des eigenen Leibes.
FRAGE: Homosexualität ist weitgehend in die Bilderwelt des westlichen Europas eingedrungen und längst kein Tabu mehr. Im Gegensatz dazu wirkt der Profifußball noch wie eine homophobe Gladiatoren-Enklave. Warum?
ALKEMEYER: Ein Blick in die Geschichte kann hier zur Klärung beitragen. Der Wettkampfsport hat sich im Europa des 19. Jahrhunderts auch als ein Refugium für kulturelle Konstruktionen von Männlichkeit ausdifferenziert – die sich über Körperkraft definierten, über die Bereitschaft zur Investition des eigenen Leibes in der Auseinandersetzung mit Gegnern und Gefahren, über pure Willenskraft etc. Ein solches männliches Subjektideal ist in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens obsolet geworden, zum Beispiel in der sich industrialisierenden Arbeitswelt. Physische Kraft verlor aufgrund der maschinisierten Produktion und sich ausdehnenden Büroarbeit tendenziell an Bedeutung.
FRAGE: Während deren Bedeutung im Wettkampfsport zunahm?
ALKEMEYER: Ganz genau. Hier konnte das Ideal weiterhin aufgeführt, überhöht und in körperlichen Handlungsvollzügen beglaubigt werden. Aus diesem Grund haben die männlichen Repräsentanten des Sports bis weit ins 20. Jahrhundert hinein vor allem mit biologisch-medizinischen Argumenten gegen die Teilnahme von Frauen am Wettkampfsport gekämpft, auch und gerade im Fußballsport.
FRAGE: Inwiefern gerade dort?
Der Fußballsport hat eine eigene männliche Mythologie entwickelt.
ALKEMEYER: Der Fußballsport hat über viele Jahrzehnte hinweg eine eigene männliche Mythologie entwickelt, zu der die Namen großer Spieler ebenso gehören wie Spielstätten – Camp Nou, Cordoba, Wembley. Auch Spielzüge und Gesten, die sich in ein kollektives männliches Gedächtnis eingebrannt haben. Lange Zeit sind kulturelle Konstrukte von Männlichkeit und Weiblichkeit durch die körperlichen Aufführungen des Sports naturalisiert worden; sie haben hier geradezu performative Evidenz erlangt.
FRAGE: Zeichnen sich hier gar keine Veränderungen ab?
ALKEMEYER: Doch, es gibt einige, die tradierte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit herausfordern: Frauenkörper werden muskulöser, das Fernsehen zeigt Boxerinnen, deren Nasen bluten – und die sich freilich komplementär dazu auch immer wieder als weiblich und „sexy“ in Szene setzen lassen. Umgekehrt wird zum Beispiel im gegenwärtigen Systemfußball jene traditionelle Männlichkeit immer störender, die sich primär durch Dominanz, Führungsanspruch und Potenzgehabe auszeichnete.
FRAGE: Was rückt denn an die Stelle?
Der neue Fußball hat eine – wenn auch zarte – Neigung zur Geschlechtsneutralität.
ALKEMEYER: Fähigkeiten wie Spielintelligenz, die Artistik und Eleganz der Bewegungen, Erfindungsreichtum und ein Sinn für soziale Interaktionen. Womöglich ist die gegenwärtig zu beobachtende Homophobie einiger Fans auch ein reaktiver Ausdruck ihres Gespürs dafür, dass der neue Fußball eine – wenn auch zarte – Neigung zur Geschlechtsneutralität hat.
FRAGE: Ist aus Ihrer Sicht eine Atmosphäre im Stadion denkbar, in der die sexuelle Orientierung einfach keine Rolle spielt?
ALKEMEYER: Bislang ist das schwer vorstellbar, aber immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass es dereinst so kommen könnte. Wie die Veränderungen des Spielstils weg vom Kampf hin zu Technik, Taktik und Systemdenken und die allmähliche Normalisierung des Frauenfußballs. Oder auch die Tatsache, dass die großen Spieler des gegenwärtigen Männerfußballs – Iniesta, Xavi, Messi, Özil – zwar Stars sind, aber längst nicht mehr das machohafte Auftreten jener Spieler haben, die in früheren Zeiten eine Führungsrolle für sich beanspruchten.
FRAGE: Messi als Vorbote einer neuen Fußballkultur?
ALKEMEYER: Wenn schließlich die individuelle Tauglichkeit für ein Spielsystem stärker über den Einsatz entscheidet als die sogenannten Führungsqualitäten, dann könnte mit der Frage nach der ethnischen Herkunft auch die Frage nach dem Geschlecht und der sexuellen Orientierung in den Hintergrund treten. Wir werden sehen.