Wie sind Rassismus, Sexismus und Queer-Feindlichkeit verschränkt? Im Interview spricht Sylvia Pritsch, Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, über Dekolonialisierung und die Verantwortung, die Hochschulen und die Gender Studies für selbstreflexive Formen der Wissensproduktion haben.
Derzeit führen Sie gemeinsam mit Kolleg*innen des Centre for Women and Gender Studies der Nelson Mandela University eine Summer School durch, in der die Teilnehmenden über die Verantwortung der Gender und Queer Studies in Forschung und Lehre diskutieren. Worum geht es konkret?
Verantwortung für wertschätzende, inklusive und selbstreflexive Formen der Wissensproduktion ist ein genuines Anliegen der Gender und Queer Studies. Auf einer theoretischen Ebene geht es hier darum, die zugrundeliegenden Machtverhältnisse in Bezug auf Geschlecht, Sexualität, ethnische, rassistische und soziale Zuschreibungen und anderes zu analysieren. Praktisch ist damit der Anspruch verbunden, Diskriminierungen zu vermeiden und eine Vielfalt der Lebensweisen zu ermöglichen.
Ein wichtiges Thema der Summer School ist außerdem, Wissens- und Forschungspraktiken zu dekolonialisieren…
Ja, und zwar, wie dies in Südafrika und Namibia – als ehemals deutsche Kolonie – umgesetzt wird. Dabei fokussieren wir darauf, wie Rassismus, Sexismus und Queer-Feindlichkeit verschränkt sind: Welche Lehren wurden im Umgang mit dem kolonialen Erbe gezogen, welche Strategien entwickelt? Und welche Anforderungen ergeben sich daraus an die hiesigen Gender Studies? „Dekolonialisierung“ bezeichnet ja Konzepte und Forderungen, die im Zuge der Unabhängigkeit ehemaliger Kolonien erhoben wurde. So haben dekoloniale und postkoloniale Ansätze herausgearbeitet, wie koloniale Machtstrukturen bis heute weiterwirken, speziell auch an den Universitäten sowohl etwa in Afrika als auch erst recht in Europa und den USA. Zugleich legen solche Ansätze offen, wie Geschlecht und Sexualität mit Zuschreibungskategorien wie „Rasse“, Hautfarbe, ethnischer oder sozialer Herkunft verwoben sind.
Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, dass sich Universitäten hierzulande mit dem Thema auseinandersetzen?
Im deutschsprachigen Raum werden zwar seit einigen Jahren entsprechende Ansätze diskutiert, sind aber noch längst nicht im universitären Mainstream angekommen. Ganz anders in Südafrika: Dort ist die Dekolonisierung der Universitäten Staatsprogramm seit der Post-Apartheid-Ära; einflussreiche feministische Wissenschaftler*innen, wie Amina Mama, Desiree Lewis oder Pumla D. Gqola, haben dazu gearbeitet. Dabei umfasst die Dekolonialisierung mehrere Ebenen: Zum einen die institutionelle, die mit der Frage verknüpft ist, wer lehrt und wessen Wissen gelehrt wird. Dies geht über eine bloße „diverse“ Einstellungspolitik hinaus. Es geht auch darum, universitäre Strukturen zu hinterfragen und historische Wurzeln aufzuarbeiten. Rassismus war schließlich auch ein Ergebnis damaliger Wissenschaften in Europa, diente der kolonialistischen Legitimierung und ist auch heute noch präsent.
Welche anderen Ebenen gibt es?
Zum anderen geht es um die Inhalte und Kategorien: Der westlichen Frauen- und Geschlechterforschung wurde schon in den 1980er Jahren attestiert, zu weiß und zu universalistisch vorzugehen und damit unter anderem Schwarze Frauen auszuschließen. Nötig wäre hier beispielsweise, die Geschichte des Schwarzen Feminismus in Deutschland aufzunehmen. Auch die Kernkategorie „Gender“ wurde auf ihre kolonialen Implikationen befragt, ebenso Konzepte wie Homo-/ Heterosexualität und Queerness auf ihre westlich-weiße Ausrichtung. Heute geht es darum, diese kritischen Ansätze nicht von anderen zu trennen, sondern zusammenzudenken und praktische Konsequenzen daraus zu ziehen. Denn global wie lokal nehmen rechtspopulistische Angriffe gegen Geschlechtervielfalt, sexuelle Selbstbestimmung oder Sexualpädagogik, häufig rassistisch unterlegt und Minderheiten-feindlich, zu. Transnationale Allianzen zwischen verschiedenen Feldern aus Wissenschaft und Aktivismus können hier Öffentlichkeit schaffen, um dem entgegenzuwirken.
Was können wir in Deutschland von der südafrikanischen Perspektive lernen?
Wir können vor allem lernen, erst einmal zuzuhören, um besser zu begreifen, welche Nachwirkungen die Kolonialgeschichte in Südafrika und speziell auch die deutsche in Namibia hatte und heute immer noch hat. Und wie sich diese vermitteln und in das Bildungssystem integrieren lassen. In der Post-Apartheid-Ära wurden und werden vielfältige methodische, inhaltliche, didaktische und strukturelle Strategien der Dekolonalisierung von Forschung und Lehre erprobt. Hier ist es wichtig zu sehen, welche Strategien erfolgreich waren, welche Anregungen sie auch geben können für uns und die Universität Oldenburg insgesamt.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Centre for Women and Gender Studies (CWGS) an der Nelson Mandela University?
Die Zusammenarbeit wurde initiiert im Rahmen der strategischen Partnerschaft beider Hochschulen. Ein erstes Kennenlernen vor Ort fand letzten November in Gqeberha statt, wo die Summer School verabredet wurde. Sie soll jährlich im Wechsel stattfinden. Das ZFG und der BA Gender Studies arbeiten ja seit Längerem mit verschiedenen, vor allem afrikanischen und indischen, Lehrenden zusammen und wir freuen uns sehr, nun einen direkten Austausch mit dem CWGS zu haben – auch auf studentischer Ebene.
Interview: Constanze Böttcher