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  • Thomas Hitzlsperger: "Der moderne Fußball ist kein Lebensraum für Gestrige." Bild: dictum law communications

Hitzlspergers Coming-Out: Brüche in der Arena der Männlichkeit

Das Coming-Out des ehemaligen Fußballprofis Thomas Hitzlsperger schlägt hohe Wellen. Bahnt sich ein Kulturwandel an? Ein Interview mit dem Oldenburger Soziologen Thomas Alkemeyer über Homophobie auf den Ascheplätzen der Bezirksligen wie in den Erlebnisarenen des Profifußballs.

Das Coming-Out des ehemaligen Fußballprofis Thomas Hitzlsperger schlägt hohe Wellen. Bahnt sich ein Kulturwandel an? Ein Interview mit dem Oldenburger Soziologen Thomas Alkemeyer über Homophobie auf den Ascheplätzen der Bezirksligen wie in den Erlebnisarenen des Profifußballs.
FRAGE: Herr Alkemeyer, wird Hitzlspergers Coming-Out den Fußball verändern? ALKEMEYER: Es wird einen Kulturwandel, der sich sogar in dieser traditionellen Männerdomäne bereits ansatzweise angedeutet hatte, zumindest unterstützen. Der ehemalige Nationalspieler hat ein deutliches Zeichen gesetzt. Das nach wie vor selbstverständliche Bild, eine solche „Männersportart“ sei ausschließlich etwas für „richtige“, also heterosexuelle Männer, erhält einen weiteren Kratzer. FRAGE: Warum kann die private sexuelle Ausrichtung eines Fußballers eine gesellschaftliche Debatte lostreten? ALKEMEYER: Weil der Fußball zumindest in Deutschland die populärste Sportart ist und nach wie vor als eine Männerbastion wahrgenommen wird. Das gewaltige Echo auf Hitzlspergers Offenheit ist der beste Beweis dafür. Ein Künstler oder ein Musiker, der sich als schwul outet, regt niemanden mehr auf. In der Politik wird es zwar noch wahrgenommen, aber ist längst keine so große Sache mehr wie im Fußball. Die aufgeregten Reaktionen aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen, in den alten Massenmedien ebenso wie in den neuen sozialen Netzwerken, belegen die Selbstverständlichkeit, mit der allenthalben davon ausgegangen wird, der Fußball sei kein Ort für Schwule. Seine Geschichte als „Arena der Männlichkeit“ wirkt bis in die Gegenwart hinein. FRAGE: Warum können deutsche Profisportlerinnen wie die Nationaltorhüterin Nadine Angerer oder die ehemalige Nationalspielerin Steffi Jones offen homosexuell leben, ohne dass sich die Öffentlichkeit lang damit aufhalten würde, während Hitzlspergers Coming-Out-Interview den Server von Zeit.de kurzfristig zusammenbrechen lässt? ALKEMEYER: Weil bei den Frauen die Überraschung offenkundig nicht groß ist. Und dies ist nur die andere Seite der Aufregung um das Coming-Out schwuler Fußballer. Die Unaufgeregtheit angesichts der Bekenntnisse lesbischer Sportlerinnen bestätigt die These, dass der Fußballsport noch immer als ein Spielfeld der Männlichkeit wahrgenommen wird. Fußballerinnen, insgesamt Sportlerinnen, die in traditionellen Männersportarten „Karriere“ machen, wird eben deshalb gern - ob ausdrücklich oder hinter vorgehaltener Hand - zugeschrieben, lesbisch zu sein. Wenn dann eine dieser Sportlerinnen offen über ihre Homosexualität spricht, erstaunt das kaum jemanden. Es passt in klassische Wahrnehmungsmuster. Man nimmt es zur Kenntnis oder als Beleg für etwas, das man ja ohnehin schon gewusst habe. FRAGE: Männliche Härte und unbedingte Durchsetzungskraft waren bislang die Attribute im Profisport, ohne die nichts geht. Ein zu weich gespielter Pass, der im Rasen hängenbleibt, ist ein „schwuler Pass“, wie Hitzlsperger es in seiner Videobotschaft beschreibt. Doch auf dem Platz hat der Aggroleader von einst ausgedient, und die modernen Spieler haben gezupfte Augenbrauen und eine rasierte Brust. Wie passt das alles eigentlich noch miteinander zusammen? ALKEMEYER: Die Veränderungen des Spielstils sind ein Teil des sich abzeichnenden Kulturwandels. Auf dem Platz zeigt er sich in einer verkörperten, sinnlich erkennbaren Form. Christof Kneer hat in der Süddeutschen Zeitung zu Recht von einem Kulturkampf zwischen rivalisierenden Fußballfraktionen gesprochen. Der von Joachim Löw auch in die deutsche Nationalmannschaft eingeführte stilvolle Offensivfußball steht gegen den Kampf- und „Panzerknackerfußball“ der Vergangenheit. Der Gegensatz verdichtet sich in den Bildern, die beide Stiltypen liefern: auf der einen Seite die tänzerische Eleganz und Leichtigkeit der Bewegungen eines Mesut Özil, auf der anderen die angestrengt-grimmige Körpersprache der machohaften „Führungsspieler“ vergangener Tage. Eine „Retro-Fraktion“ aus Trainern, Funktionären, Spielerberaten und Fans verspottet das Neue als "schwul", weil es ihr Welt- und Selbstverständnis in seinen Grundfesten erschüttert. Für sie ist der neue Stil ein Beweis dafür, dass die Welt aus den Fugen gerät. Diese Verunsicherung ist ein Nährboden für Homophobie und entsprechende Äußerungen. FRAGE: „Der moderne Fußball ist kein Lebensraum für Gestrige und Leute mit angestaubten Vorurteilen“, sagt Hitzlsperger auf seiner Homepage hitzlsperger.de. Für wie realistisch halten Sie es tatsächlich, dass in naher Zukunft offen homosexuell lebende Menschen auf dem Platz stehen werden, ohne sich Schmähungen ausgesetzt zu sehen? ALKEMEYER: Die Homophobie auf den Ascheplätzen der Bezirksligen wie in den Erlebnisarenen des Profifußballs zeigt, dass „angestaubte Vorurteile“ hier nach wie vor einen „Lebensraum“ finden. In der Tendenz hat Hitzlsperger aber Recht - so ist zu hoffen. Dennoch muss man sehen:  Zwischen der offiziellen Unterstützung für die Offenheit Hitzlspergers durch Politiker oder Berufskollegen und dem Alltag des Fußballs bestehen Diskrepanzen. FRAGE: Inwiefern? ALKEMEYER: Noch aktive Spieler, die sich als schwul outen, müssen befürchten, nicht nur offenen Schmähungen durch einen Teil der (gegnerischen) Fans ausgesetzt zu sein, sondern auch beiläufigen Anspielungen oder verstohlenen Blicken anderer Spieler. Homophobie kann auch subtil daherkommen. Es wird dauern, bis das vorbei ist. Vermutlich entwickelt sich eine Toleranz, zumindest eine Indifferenz gegenüber Homosexualität in Profimannschaften sogar schneller als auf den Bolzplätzen in der Provinz, wo die Beziehungen zwischen Spielern und Zuschauern einen eher dörflichen Charakter haben: man kennt sich, man trifft sich nach dem Spiel zum gemeinsamen Bier, man pflegt persönliche Beziehungen. Die Beziehungen im Profisport sind unpersönlicher und in diesem Sinne großstädtischer. Das hat auch sein Gutes, wie wir seit Walter Benjamin wissen: Es gewährt Freiräume. Dafür kann man der „Geldwirtschaft“, von der Benjamin noch sprach, fast dankbar sein.

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(Stand: 10.12.2024)  | 
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