Wissenschaftler aus Oldenburg und Frankfurt haben modelliert, wie der globale Frachtschiffverkehr zur Ausbreitung invasiver Arten führt. Sie kommen in ihrer kürzlich im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Science“ (PNAS) veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass zukünftig besonders in Regionen mit hohem Schiffsaufkommen und gemäßigtem Klima wie in der Nordsee mit vermehrten Invasionen, also dem „Einwandern“ fremder Pflanzen und Tiere, zu rechnen ist.
Die Eindringlinge können ganze Ökosysteme verändern und verursachen Schäden in Milliardenhöhe. Die neuartige Modellierungsmethode, die unter Federführung des Oldenburger Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) entstanden ist, kann auch zur Prognose von Einwanderungen weiterer Tier- und Pflanzengruppen dienen.
Frachtschiffe transportieren Güter aller Art quer über den Globus und verbinden Länder und Städte über riesige Distanzen – ein Großteil des Welthandels läuft über den internationalen Schiffsverkehr. „Dieser intensive Handelsverkehr hat zur Folge, dass nicht nur Waren sondern auch Pflanzen und Tiere als blinde Passagiere an Bord gelangen und über die Welt verbreitet werden“, erklärt Dr. Hanno Seebens, der Hauptautor der Studie. An Schiffsrümpfen und im Ballastwasser großer Schiffe finde man eine Vielzahl von Arten, die den langen Transport überleben und in kurzer Zeit zum Beispiel von Singapur nach Hamburg verfrachtet würden. „Die Tiere und Pflanzen gelangen in Gebiete, die sie ohne die Hilfe des Menschen nie erreicht hätten“, erklärt Seebens.
Gemeinsam mit Kollegen am ICBM der Universität Oldenburg und am „Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum“ in Frankfurt hat er eine neuartige Methode zur Modellierung dieser Invasionen in den Weltmeeren entwickelt. „Es ist wichtig zu wissen, wann und wo Tierarten in unsere Ozeane einwandern, um negative Auswirkungen zu vermeiden beziehungsweise zu verringern“, begründet der Ökologe. Schäden durch invasive Arten verursachen demnach allein in der Europäischen Union Kosten in Höhe von mehreren Milliarden Euro pro Jahr.
„Für unsere Simulationen benutzen wir ein mathematisches Modell, welches Daten über Schiffsbewegungen und Schiffsgrößen mit Wassertemperaturen und Salzgehalt des Wassers verbindet, um die Wahrscheinlichkeit einer Invasion zu bestimmen“, erläutert Prof. Dr. Bernd Blasius, Hochschullehrer für Mathematische Modellierung am ICBM. Ähnliche Modelle wurden schon früher angewandt; sie konnten aber nicht vorhersagen, welche Arten man zu erwarten hat. „Wir haben nun eine solche Modellierung angepasst und mit Verbreitungskarten von potenziell invasiven Arten gekoppelt. Dadurch können wir die Arten vorhersagen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine bestimmte Meeresregion einwandern werden“, fügt Seebens hinzu.
Die Studie zeigt, dass besonders in der Nordsee und an der Westküste der USA mit vermehrten Invasionen zu rechnen ist. Als Grund für die vielen potenziellen einwandernden Arten in der Nordsee nennt das Forscherteam die ähnlichen Bedingungen in den Meeresregionen rund um Japan und China und der Nordsee. Zudem sind diese Areale durch intensiven Schiffsverkehr gut miteinander verbunden. „In der Nordsee konnten sich bereits zwei neue Algen-Arten – Prorocentrum minimum und Polysiphonia harveyi – ansiedeln, die wir als ‚Hochrisiko-Arten‘ eingestuft haben. Hier haben sich unsere Vorhersagen schon bestätigt“, ergänzt Seebens.
In den USA werden der globale Klimawandel und die damit verbundene Erhöhung der Wassertemperatur voraussichtlich zu vermehrten Invasionen von Meerestieren an der Westküste führen. Diese Region wird viel von Schiffen aus dem asiatischen Raum angefahren, wobei die meisten Arten die vergleichsweise niedrigen Wassertemperaturen bisher nicht überleben. Seebens hierzu: „Der Klimawandel erhöht die Gefahr einer Invasion – dort beobachten wir heute schon erste Einwanderungen aus Asien als Folge der erhöhten Wassertemperatur.“
Zusätzlich zu den Computersimulationen untersuchen die Forscher auch die biologischen Zusammenhänge, die eine Ansiedlung invasiver Arten begünstigen. Am Ende sollen alle Informationen zusammenfließen, um möglichst effizient weitere Invasionen zu verhindern. „Auch wenn sich unsere Studie derzeit auf die Ausbreitung im Meer lebender Algen beschränkt, kann das Modell leicht auf andere Tiergruppen – nicht nur im marinen Bereich – ausgeweitet werden“, resümiert Seebens.