Die Oberfläche von Kieselalgen stellt einen erstaunlich vielfältigen Lebensraum für Bakterien dar. Ein Team um den Biologen Meinhard Simon hat die Vorlieben verschiedener Arten nun erstmals sichtbar gemacht.
Aus der Perspektive von Meeresbakterien sind einzellige Algen ein attraktiver und erstaunlich abwechslungsreicher Lebensraum. Dass verschiedene Bakterienarten bevorzugt auf unterschiedlichen Teilen einer weit verbreiteten, mikroskopisch kleinen Kieselalge aus der Nordsee siedeln, hat ein Forschungsteam um den Mikrobiologen Prof. Dr. Meinhard Simon von der Universität Oldenburg nun erstmals sichtbar gemacht. Das Team stellt die Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Journal of Phycology“ vor und bringt damit Licht in die komplexe Wechselbeziehung zwischen Algen und Bakterien, die für Stoffkreisläufe und Nahrungsnetze im Meer eine fundamentale Bedeutung hat.
Kieselalgen sind ein wichtiger Teil des sogenannten Phytoplanktons, meist mikroskopisch kleiner, einzelliger Algen in den Weltmeeren. Die von einer festen Silikathülle umgebenen Kieselalgen produzieren etwa ein Fünftel des Sauerstoffs in der Atmosphäre und wandeln bei der Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft in Biomasse um. Dabei binden sie insgesamt mehr CO2 als die tropischen Regenwälder, weshalb sie eine große Bedeutung für den Kohlenstoffkreislauf und das Klima haben. „Kieselalgen leben eng vergesellschaftet mit Bakterien, aber über viele Aspekte dieser Wechselbeziehung ist bislang wenig bekannt“, berichtet Simon. Er und sein Team haben diese für die Ökologie und Biochemie der Ozeane enorm wichtigen mikroskopischen Interaktionen nun genauer untersucht.
Kieselalge aus der Nordsee
Das Oldenburger Team um Simon, Dr. Sara Billerbeck und den Doktoranden Tran Quoc Den wählte eine weltweit verbreitete Kieselalge namens Thalassiosira rotula aus und untersuchte deren Besiedlung durch Bakterien detailliert mit verschiedenen mikroskopischen Methoden. An der Untersuchung war auch Dr. Thomas Neu vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg beteiligt.
Mit Hilfe von fluoreszierenden Farbstoffen wiesen die Forschenden nach, dass die Oberfläche der Alge kleinräumige biochemische Unterschiede aufweist. Sie verwendeten sogenannte Lektine – komplexe biochemische Verbindungen, die sich sehr spezifisch mit bestimmten Protein-Kohlenhydratkomplexen an der Oberfläche der Algen verbinden – um die unterschiedlichen Bereiche zu markieren, anzufärben und mit einem speziellen Mikroskop wie in einem dreidimensionalen Bild sichtbar zu machen. Zudem fanden sie heraus, dass jeweils unterschiedliche Bakterienarten darauf spezialisiert sind, die verschiedenen Bereiche zu besiedeln. Die entdeckten Bakterien gehörten insbesondere zur Roseobacter-Gruppe und zu den Flavobakterien.
„Die Zelloberfläche von Kieselalgen ist überraschend abwechslungsreich strukturiert. Wir hätten nicht erwartet, wie fein die Nutzung durch verschiedene Bakterienarten auf diese Struktur abgestimmt ist“, erklärt Simon. Das Team fand zudem heraus, dass bestimmte Bakterienarten bevorzugt an feinen Härchen an der Oberfläche der Algen zu finden sind. „In den Besiedlungsmustern spiegeln sich die sehr unterschiedlichen Stoffwechseleigenschaften verschiedener Bakterienarten und ihre Fähigkeiten zur Oberflächenbesiedlung wider“, fasst Simon die Befunde zusammen.
Wie Bienen und Blumen
Die Ergebnisse sind auch deswegen interessant, weil sie einen Einblick in die direkte Umgebung der Kieselalgen ermöglichen. Dieser als „Phycosphäre“ bezeichnete Mikrokosmos ist reich an organischen Substanzen, die die Algenzellen ausscheiden. „Frühere Studien haben gezeigt, dass die Algen damit bestimmte Bakterien anlocken, die für sie lebenswichtige Stoffe wie etwa Vitamine herstellen – ganz ähnlich, wie Pflanzen mit ihren Blüten Bienen anlocken“, erläutert Simon. Aufbauend auf den neuen Ergebnissen könnten zukünftige Untersuchungen die Funktion der verschiedenen Bakterienarten in der Phycosphäre nun genauer untersuchen.
Die aktuelle Studie ist im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Transregio-Sonderforschungsbereichs (SFB) „Roseobacter“ entstanden. Darin haben mehr als 60 Forschende aus Oldenburg, Braunschweig, Göttingen und Bonn in den vergangenen 13 Jahren die Bakterien der Roseobacter-Gruppe unter die Lupe genommen. Diese kommen in allen Lebensräumen der Meere vor – von den Tropen bis in die Polarmeere, von der Wasseroberfläche bis in die Tiefsee. Die Forschenden entdeckten unter anderem viele neue Stämme, beschrieben die Wechselbeziehungen von Vertretern dieser Gruppe zu anderen Mikroorganismen, deren Verbreitung und funktionelle Biogeografie in den Weltmeeren erstmals. Insgesamt basieren mehr als 250 veröffentlichte wissenschaftliche Artikel auf der Forschung im Kontext des SFB.