Ein Forscherteam um den Psychologen Christoph Herrmann will mit einer besonderen Form der elektrischen Hirnstimulation das Sprachverstehen verbessern. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt wollen die Oldenburger Forscher gemeinsam mit ihren Partnern eine neue Hörhilfe entwickeln.
„Peter gibt vier weiße Tassen“. Es sind einfache Sätze wie diese, die die Probanden hören. Leicht ist ihre Aufgabe dennoch nicht. Wer bei Prof. Dr. Christoph Herrmann im Labor auf dem Stuhl sitzt – Elektroden am Kopf, Kopfhörer auf den Ohren – muss die Worte trotz Rauschens verstehen. Denn darum geht es: Der Psychologe und seine Kollegen wollen ein Gerät entwickeln, mit dessen Hilfe sie gezielt Sprache für Menschen mit Hörschädigungen verständlicher machen können.
Die Sätze eines Gesprächspartners etwa aus dem Stimmengewirr in einem Restaurant herauszuhören ist vor allem für ältere Menschen und jene, die Hörgeräte tragen, eine Herausforderung. Wissenschaftler sprechen vom Cocktail-Party-Effekt. Das Problem: Selbst moderne Hörhilfen können diesen nicht ausgleichen, da die Geräte keine Information darüber erhalten, welchem Gesprächspartner ihr Träger gerade folgen möchte.
Warnehmung gezielt schärfen
„In diesen Situationen könnte die transkranielle elektrische Hirnstimulation Abhilfe schaffen“, sagt Herrmann. Die Idee hinter diesem Verfahren ist, mit elektrischem Strom die Wahrnehmung für eine bestimme Schallquelle im Gehirn von außen gezielt zu schärfen. Die Methode konnten andere Forscher bereits anhand mathematischer Modelle und in Versuchen mit Ratten als vielversprechend identifizieren. In einer kürzlich veröffentlichten Studie hat Herrmann gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Dr. Anna Wilsch und weiteren Kollegen aus Lübeck und Salzburg gezeigt, dass dieses Verfahren grundsätzlich auch bei Menschen funktioniert.
Um mit der transkraniellen elektrischen Hirnstimulation das Sprachverstehen zu verbessern, wertet ein eigens von den Oldenburger Forschern entwickeltes Computerprogramm zunächst ein auf die Ohren treffendes Schallsignal, beispielsweise einen gesprochenen Satz, aus und berechnet die sogenannte Hüllkurve. Das ist die grobe Struktur des Schalls. Dieses Signal wird als schwacher elektrischer Wechselstrom über zwei oder mehrere auf der Kopfhaut angebrachte Elektroden durch den Schläfenlappen geleitet – die Region, in der das Gehirn Hörinformationen verarbeitet. „Auf diese Weise bringen wir die elektrische Hirnaktivität, die beim Hören zu messen ist, mit der äußeren Stromquelle in Gleichtakt und verstärken so die Wahrnehmung“, erläutert Herrmann.
Sprachverständlichkeit verbessern
Die Stärke des Stroms, den die Testpersonen während des Experiments erhalten, ist dabei gerade so hoch, dass sie nichts spüren. In der aktuellen Studie erhielten insgesamt 19 junge gesunde Testpersonen eine solche Stimulation, während sie die aus fünf Wörtern bestehenden Sätze hörten – überlagert von unterschiedlich starkem Rauschen. Zudem führten die Wissenschaftler Kontrollmessungen durch, bei denen entweder gar kein Strom oder nur ein leichter Gleichstrom durch die Elektroden floss. Dabei wussten weder die Probanden noch die Wissenschaftler, welche experimentelle Situation gerade durchgespielt wurde.
Ein Ergebnis: Tatsächlich verstehen die Testpersonen im Vergleich zu den Kontrollmessungen die Sätze trotz Rauschens signifikant besser, wenn sie eine transkranielle Hirnstimulation erhalten. Allerdings müssen die Forscher für eine optimale Stimulation das elektrische Signal zeitverzögert zum Schallsignal einsetzen. „Bevor ein Signal vom Ohr ins Hörzentrum des Gehirns, den Hörkortex, gelangt, vergeht eine Weile. Aber erst, wenn das Signal im Kortex ist, wirkt die elektrische Stimulation“, erläutert Herrmann. Zu Beginn der Experimente kannten die Wissenschaftler die Dauer dieser Verzögerung nicht. Durch verschiedene Testläufe fanden sie heraus, dass diese Zeitverzögerung im Bereich von Zehntelsekunden liegt und dabei individuell unterschiedlich ist.
Auch mit schwerhörigen Personen haben die Wissenschaftler inzwischen Untersuchungen durchgeführt. „Bei diesen war der Zugewinn an Sprachverständlichkeit noch höher als bei den Gesunden“, sagt Herrmann. Denn letztlich gehe es nicht darum, das Gehirn eines gesunden Menschen leistungsfähiger zu machen. „Wir wollen Betroffenen helfen.“ Für das Prinzip der Hirnstimulation hat der Psychologe ein Patent angemeldet.
EEG, Hirnstimulation und Hörgerät koppeln
Um tatsächlich ein Gerät zu entwickeln, kooperiert Herrmann zudem im Verbundprojekt „Mobile EEG-basierte Hirnstimulation zur Verbesserung des Hörens“ mit einem Hersteller von Hirnstimulatoren, einem Hörgerätehersteller, dem Hörzentrum Oldenburg, dem Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie und der Universität Siegen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Vorhaben mit gut zwei Millionen Euro über drei Jahre.
Bevor die Technik alltagstauglich und kompakt genug ist, müssen Herrmann und seine Partner noch einige Hürden überwinden. Beispielsweise sei nicht klar, wie lange der Effekt durch die Hirnstimulation anhalte. Außerdem feilen die Oldenburger Wissenschaftler an realistischeren Gesprächssituationen. Im Projekt wollen die Forscher zudem während der Tests zum Sprachverstehen die Hirnaktivität mittels Elektroenzephalografie (EEG) messen. „Im EEG können wir sehen, auf welchen von mehreren Sprechern sich jemand konzentrieren möchte“, sagt Herrmann.
Diese Information wollen die Forscher an vorhandene Hörgeräte weiterleiten. Denn diese können bereits aus den Pegel- und Laufzeitunterschieden berechnen, aus welcher Richtung der Schall kommt. „Wenn das Hörgerät außerdem weiß, dass sein Träger einem Sprecher zur Linken zuhören will, obwohl er geradeaus blickt, dann könnte es diese Information entsprechend nutzen.“ Letztlich wollen die Forscher im Projekt zeigen, dass es machbar ist, EEG, Hirnstimulation und Hörgerät miteinander zu koppeln, damit Schwerhörige Sprache in komplexen Situationen tatsächlich besser verstehen können. Zwar werde am Ende kein fertiges, tragbares Produkt stehen. „Doch unser Ziel ist, zumindest einen Prototypen zu entwickeln“, sagt Herrmann.