Wie können wir die Erinnerung an historische Ereignisse wachhalten? Und welche Rolle könnten dabei Orte wie das von einer Bürgerinitiative geforderte "Polendenkmal" spielen? Darüber spricht der Historiker Stephan Scholz anlässlich des Jahrestags des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs.
Vor 80 Jahren, am 1. September 1939, begann der Zweite Weltkrieg mit dem Angriff Deutschlands auf Polen. Nur wenige Zeugen dieser Zeit leben heute noch. Was bedeutet dies für die Kultur des Erinnerns hierzulande?
Der generationsbedingte Verlust von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen markiert immer einen entscheidenden Wandel in einer Erinnerungskultur. Das muss aber nicht nur von Nachteil sein. Der gesellschaftliche Blick auf die Vergangenheit kann dadurch auch an Nüchternheit und perspektivischer Breite gewinnen. Die Existenz von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in den vergangenen Jahrzehnten hat auf der deutschen Seite zumindest eher dazu geführt, dass der Krieg gegen Polen und die deutsche Besatzung verharmlost oder sogar beschwiegen wurden. Das Bewusstsein dafür, dass bereits am 1. September 1939 gegen Polen ein Vernichtungskrieg mit zahlreichen Massakern an Zivilisten und Kriegsgefangenen oder auch Flächenbombardements von Großstädten aus der Luft mit ihren schrecklichen Folgen für die Zivilbevölkerung begannen, ist in Deutschland bislang jedenfalls nicht sehr stark ausgeprägt.
Welche Rolle können Denkmäler in der Erinnerungskultur spielen?
Denkmälern wird immer wieder zugetraut, dass sie die Erinnerung an historische Ereignisse wachhalten können. Momentan gibt es zum Beispiel die Initiative für ein zentrales Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung in Berlin. Zahlreiche Historiker, Intellektuelle und Politiker unterstützen diese Initiative. Denkmäler entfalten ihre Wirkung aber nicht aus sich selbst heraus, sondern sind meist nur Anknüpfungspunkte oder im besten Fall Impulsgeber in einer Erinnerungskultur. Sie erinnern an etwas, das man schon weiß – und das ist im Hinblick auf den Krieg und die deutsche Besatzung in Polen bei den meisten leider nicht allzu viel. Eine Alternative oder Ergänzung könnte auch ein Okkupationsmuseum sein, das besser geeignet wäre, überhaupt erst einmal grundlegende Kenntnisse zu vermitteln. Ein solches Museum könnte zudem den Blick über Polen hinaus auch auf das übrige Osteuropa ausweiten.
Warum es ist so wichtig, dass wir Orte haben, die uns zum Erinnern anregen?
Erinnerung bindet sich oft an konkrete Orte. Häufig sind dies Orte des tatsächlichen Geschehens, wie zum Beispiel Auschwitz oder Verdun. Dann gibt es Gedenkorte, deren Standort selbst nicht historisch aufgeladen ist. Aber auch sie haben einen Platz in der Erinnerungstopographie eines Landes oder einer Stadt. Berlin als Standort hat auf nationaler Ebene zum Beispiel eine andere Qualität als Oldenburg; der zentrale Platz in einer Stadt hat eine andere Wertigkeit als eine Verkehrsinsel an der Peripherie. Auch die Nähe und Distanz zu anderen Gedenkorten spielt eine wichtige Rolle. Das „Polendenkmal“ in Berlin zum Beispiel soll am Askanischen Platz gegenüber der künftigen Dauerausstellung zu Flucht und Vertreibung aufgestellt werden. Es soll damit auch eine Aussage zum Verhältnis von historischen Ursachen und Wirkungen treffen. Und schließlich gibt es noch die sogenannten „Erinnerungsorte“, die nicht notwendig örtlich gebunden sind, etwa im Bereich der Medien, der Bildung und der (Alltags-)Kultur. Dazu gehören als „Denkmäler in der Zeit“, wie die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann sie einmal genannt hat, auch Jahrestage wie der 1. September.
Interview: Constanze Böttcher