Den Stoffwechsel eines weit verbreiteten Umweltbakteriums hat ein Team unter Leitung des Mikrobiologen Ralf Rabus im Detail aufgeklärt. Mit einem entsprechenden Modell können die Forschenden nun Wachstum und Vermehrung der Mikroben zuverlässig berechnen.
Einen tiefen Einblick in die Zellmaschinerie eines weit verbreiteten Umweltbakteriums hat ein Team um den Mikrobiologen Prof. Dr. Ralf Rabus vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM)und seinen Doktoranden Patrick Becker gewonnen. Die Forschenden durchleuchteten den gesamten Stoffwechsel des Bakterienstamms Aromatoleum aromaticum EbN1T. Auf dieser Grundlage entwickelten sie anschließend ein Stoffwechselmodell, mit dem sich das Wachstum der Mikroben bei verschiedenen Umweltbedingungen berechnen lässt.
Wie die Forschenden in der Fachzeitschrift mSystems berichten, stießen sie bei ihrer Analyse auf einige unerwartete Mechanismen, die es den Bakterien offenbar erlauben, mit rasch wechselnden Umweltbedingungen zurechtzukommen. Die Ergebnisse sind zum einen für die Ökosystemforschung von Bedeutung, wo der Aromatoleum-Stamm als Vertreter einer wichtigen Gruppe von Umweltbakterien künftig als Modellorganismus dienen kann. Zum anderen könnten die Resultate auch interessant für die Altlastensanierung und für biotechnologische Anwendungen sein.
Der untersuchte Bakterienstamm ist auf die Verwertung schwer abbaubarer organischer Substanzen spezialisiert und kommt vor allem im Boden und in Gewässersedimenten vor. Die Mikroben gedeihen unter verschiedensten Bedingungen – wenn Sauerstoff vorhanden ist, aber auch in sauerstoffarmen oder -freien Schichten. Bei der Nahrungsaufnahme sind sie ebenfalls erstaunlich vielseitig: Sie verwerten mehr als 40 organische Verbindungen, darunter sehr stabile, natürlich vorkommende Stoffe wie Bestandteile des Lignins, des Hauptinhaltsstoffs von Holz, aber auch langlebige Umweltgifte und Bestandteile von Erdöl. Insbesondere Substanzen mit einem Benzolring aus sechs Kohlenstoff-Atomen, so genannte Aromaten, können die Mikroben mit und ohne Zuhilfenahme von Sauerstoff knacken. Aufgrund dieser Fähigkeiten spielt Aromatoleum in der Umwelt eine wichtige Rolle dabei, organische Stoffe im Boden und in Sedimenten vollständig zu Kohlendioxid abzubauen – was auch bei der biologischen Bodensanierung nützlich ist.
Insgesamt 250 Kulturen untersucht
Ziel der aktuellen Studie war es, ein ganzheitliches und vollständiges Bild der Funktionsweise des einzelligen Organismus zu erhalten. Dafür kultivierten die Forschenden die Mikroben sowohl unter oxischen als auch unter anoxischen Bedingungen – also mit und ohne Sauerstoff – und stellten ihnen fünf verschiedene Nährstoffe zur Verfügung. Für jede dieser zehn Wachstumsbedingungen legten sie jeweils 25 Kulturen an.
Anschließend untersuchten sie die verschiedenen Proben mit molekularbiologischen Methoden (in der Fachsprache: (multiOMICS), die es erlauben, beispielsweise alle in der Zelle abgelesenen Gene, alle hergestellten Proteine oder alle Stoffwechselprodukte gleichzeitig zu analysieren. „Durch diesen systembiologischen Ansatz gewinnt man ein tiefes, sozusagen ingenieurwissenschaftliches Verständnis eines Organismus“, erläutert Rabus, der die Arbeitsgruppe Allgemeine und Molekulare Mikrobiologie leitet. „Man zerlegt das Bakterium in seine Einzelteile und kann diese dann wieder zusammensetzen – zu einem Modell, das voraussagt, wie schnell eine Kultur wächst und wie viel Biomasse entsteht.“
Durch ihre akribische Arbeit gewannen die Forschenden ein umfassendes Bild aller Stoffwechselreaktionen des Bakterienstamms: Sie stellten fest, dass rund 200 Gene an den Abbauprozessen beteiligt sind, fanden heraus, welche Enzyme die als Nahrung zugegebenen Substanzen zerlegen und über welche Zwischenprodukte diese verschiedenen Nährstoffe abgebaut werden. Ihre Erkenntnisse über dieses Stoffwechselnetzwerk bauten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ein Wachstumsmodell ein.
Ein ganzheitliche Bild des zellulären Innenlebens
Sie wiesen nach, dass die Vorhersagen des Modells gut mit den tatsächlich gemessenen Werten übereinstimmten. „Wir können den Organismus jetzt so genau beschreiben, wie es bislang nur für wenige andere Bakterien möglich ist“, sagt Rabus. Dieses ganzheitliche Bild des zellulären Innenlebens bilde die Grundlage dafür, die Wechselbeziehungen des untersuchten Stamms und verwandter Bakterien mit der belebten und unbelebten Umwelt besser verstehen zu können. Zudem sei es hilfreich, um etwa die Aktivität der Einzeller in verschmutzten Böden besser vorhersagen und so optimale Bedingungen für die Sanierung einer Altlast herausfinden zu können.
Durch das Zusammenspiel der verschiedenen Methoden deckte das Team unerwartete Mechanismen innerhalb des Stoffwechsels auf: Zur Überraschung der Forschenden zeigte sich, dass die Mikroben teilweise Enzyme herstellen, die sie unter den gegebenen Wachstumsbedingungen gar nicht verwenden können – auf den ersten Blick ein überflüssiger Energieaufwand. „Gewöhnlich nehmen die Bakterienzellen wahr, ob in der Umwelt beispielsweise Sauerstoff vorhanden ist und aktivieren über die entsprechenden Gene nur den nährstoffspezifischen Stoffwechselweg mit den dazugehörigen Enzymen“, erläutert Rabus. Doch in manchen Proben produzierten die Mikroben unabhängig vom Sauerstoffgehalt sämtliche Enzyme für den aeroben und den anaeroben Abbauweg – obwohl ein Teil also gar nicht gebraucht wurde.
Rabus vermutet hinter dieser scheinbaren Verschwendung eine Strategie der Mikroben, um in einer unbeständigen Umwelt überleben zu können: „Auch wenn der Sauerstoffgehalt kurzfristig schwankt – was im natürlichen Lebensraum häufig der Fall ist – bleibt Aromatoleum flexibel, kann diesen Nährstoff verwerten und auf jeden Fall Energie gewinnen“, so der Mikrobiologe. Ein vergleichbarer Mechanismus sei bei anderen Bakterien bislang nicht bekannt.
An der Studie war ein großes interdisziplinäres Team beteiligt, zu dem neben Forschenden der Universität Oldenburg auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Braunschweig um Prof. Dr. Dietmar Schomburg und vom Leibniz-Institut DSMZ in Braunschweig um PD Dr. Meina Neumann-Schaal gehörten. Hauptautoren waren Patrick Becker und Dr. Daniel Wünsch von der Universität Oldenburg sowie Dr. Sarah Kirstein von der TU Braunschweig.