Popmusik kann Populismus normalisieren, sagt Musikwissenschaftler Mario Dunkel. Woran er dies festmacht und was daraus folgt – für den Musikunterricht in den Schulen und für die kommende Europawahl – erläutert er im Interview.
Sie haben mehrere Jahre lang zu populistischen Tendenzen in der Popmusik geforscht. In Ihrem Projekt sind Sie von der These ausgegangen, dass Musik mit populistischen oder nationalistischen Botschaften in Europa jüngst populärer geworden ist. Wie weit verbreitet sind also populistische Inhalte in der Musik, und sind diese in den vergangenen Jahren gar „Mainstream“ geworden?
Zunächst haben wir uns mit dem Konzept „Populismus“ beschäftigt und festgestellt, dass in allen von uns untersuchten Ländern – also Ungarn, Italien, Österreich, Deutschland und Schweden – Populismus zumeist als Rechtspopulismus und in Verbindung mit Nationalismus auftritt. Daher lag darauf unser Schwerpunkt, und nicht etwa auf linkem Populismus. Wir folgen der Definition, dass Populismus keine Ideologie im engeren Sinne ist, sondern eine Diskursform: Ein populistischer Diskurs trennt die Gesellschaft in ein „normales Volk“ und eine vermeintlich abgehobene, korrupte „Elite“. Die beiden Gruppen stehen dabei in einem gegensätzlichen Verhältnis zueinander. Zudem spielen insbesondere in rechtem Populismus Krisenerzählungen und eine nostalgische „Früher war alles besser“-Haltung eine wichtige Rolle.
Und wie wird dieser Diskurs mit Musik geführt?
Wir nähern uns dem Feld auf zwei Wegen: Zum einen schauen wir, wie populistische Parteien Musik einsetzen. Dabei müssen Musikstücke, die Parteien sich zu eigen machen, nicht zwingend von einer der Partei nahestehenden Musikerin oder Musiker stammen. So wurde zum Beispiel Reinhard Meys Lied „Sei wachsam!“ auf Demos der AfD gespielt. Der Text ist populistisch, wendet sich etwa gegen „auf jugendlich gemachte Greise“ als Politiker, die im Volk nur „Untertanen“ sähen und „emsig mit dem Säbel rasseln“. Aber das Stück ist nicht rechts oder rechtsextrem, sondern es entstand in den 1990er Jahren im Kontext der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan.
Und zum anderen?
Zum anderen analysieren wir Musikstücke sowie Äußerungen von Musikerinnen und Musikern und ihren Fans. Speziell für die Popmusik stellten wir fest, dass populistische Inhalte in den vergangenen Jahren sehr präsent waren. In vielen Ländern arbeiten Sängerinnen und Sänger oder Bands mit populistischen und nationalistischen Bezügen. Zwar hat Musik mit populistischen und nationalistischen Inhalten keine Hegemonie erlangt, aber sie ist im Mainstream in den unterschiedlichsten Genres angekommen. Ein bekanntes Beispiel ist der österreichische Schlagersänger Andreas Gabalier, der sich in seinem Song „A Meinung haben“ als Rebell inszeniert, der sich mutig gegen die scheinbare Unterdrückung der Meinungsfreiheit zur Wehr setzt. Damit ist Gabalier auch vor 60.000 Menschen im Münchener Olympiastadium aufgetreten. Ein anderes Beispiel ist die Band „Dorfrocker“ aus Franken. Sie macht sich regelmäßig lustig über Menschen, die in der Klimabewegung aktiv sind oder sich vegan ernähren und hat sich auch in populistischer Weise mit den Bauernprotesten zu Jahresbeginn solidarisiert.
Musik hat immer eine politische Ebene
Wann wird Musik eigentlich politisch?
Strenggenommen hat Musik immer eine politische Ebene. Dies gilt selbst für scheinbar Unpolitisches wie Liebeslieder. So ist schon die Frage, wer über wen singt, ob ein Mann für eine Frau schwärmt oder umgekehrt, ob es eine gleichgeschlechtliche Konstellation ist, eine politische Frage. Denn damit werden immer auch gesellschaftliche Verhältnisse mitverhandelt. Welche Erwartungen hat die Persona der Sängerin oder des Sängers an das Gegenüber? Welche Eigenschaften besingen sie? All das hat eine politisch-gesellschaftliche Ebene, weil es Auskunft gibt über Geschlechterbilder oder die Akzeptanz bestimmter Paarkonstellationen. Eine politische Ebene ist in Musik also vorhanden. Die Frage ist dann eher, in welchem Zusammenhang sie signifikant wird.
In Ihrem Projekt haben Sie Popmusik und Populismus in verschiedenen europäischen Ländern untersucht. Gibt es bestimmte Muster oder Themen, die sich in mehreren Ländern wiederfinden?
Der Krisendiskurs, die Nostalgie und das vermeintliche Gegeneinander von „Volk“ und „Elite“ finden sich in der populären Musik in allen untersuchten Kontexten. Über Beispiele aus Deutschland und Österreich habe ich bereits gesprochen. Ein Beispiel aus Ungarn ist die Band Ismerős Arcok. In ihrem Lied „Nélküled“ sucht das lyrische Ich seine Heimat, empfindet die Trennung von Ungarn als Tod. Als einziger Weg zum Glück empfindet es die Aussicht auf eine Wiedervereinigung mit Ungarn. Dieses nationalistische Lied, das auf das Großungarn vor dem Ersten Weltkrieg anspielt, läuft heute vor Fußballspielen der ungarischen Nationalmannschaft und hat hunderttausende Fans.
Welche Rolle sollte Popmusik mit populistischen Inhalten in der Ausbildung von Musiklehrkräften und im Musikunterricht spielen?
Der Musikunterricht ist genau der richtige Ort, um die politischen Inhalte in der Musik und deren emotionale Wirkung zu thematisieren. „Was macht diese Musik mit mir?“, „Welche Emotionen ruft sie hervor?“ – Solche Fragen, die einen konkreten Bezug zum Alltag der Schülerinnen und Schüler haben, sollten Lehrkräfte unbedingt ansprechen. Wo, wenn nicht im Musikunterricht, können junge Menschen darüber sprechen? Zudem bietet dies die Chance, die musikalischen Strategien und Strukturen solcher Musik zu hinterfragen und besser zu verstehen. Dabei geht es nicht darum, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, sie sollten oder dürften eine bestimmte Musik nicht mehr hören. Im Gegenteil: Sie sollen gerne alles Mögliche hören, aber sich ihre eigenen Gedanken machen und Musik gemeinsam mit anderen Menschen kritisch reflektieren.
Musik ist ein Feld, auf dem die Gesellschaft ihre Konflikte austrägt
In Ihrem Buch zum Projekt schreiben Sie, dass Popmusik populistischen Ideen geholfen habe, im Mainstream anzukommen. Ist also populäre Musik mit schuld daran, dass sich der Populismus weiter ausgebreitet hat?
Natürlich kann man Popmusik keine „Schuld“ geben. Sie ist aber – wie andere Formen der Musik auch – ein Feld, auf dem die Gesellschaft ihre Konflikte austrägt. In jüngerer Zeit hat sie dazu beigetragen, dass sich Populismus normalisiert. Auf der anderen Seite gibt es Popmusik, die sich gegen Rechtspopulismus, Nationalismus und Autoritarismus wendet, etwa durch Parodien von Andreas Gabalier oder des Rappers Kollegah. Weitere Beispiele sind die Sängerin Jennifer Rostock und die Rock-Band „Die Ärzte“, die sich in ihrem Song „Demokratie“ klar für selbige ausspricht und dazu aufruft, wählen zu gehen.
Was bedeutet all dies mit Blick auf die anstehende Europawahl?
Rechtspopulistische Parteien dürften quer durch die EU mit erheblichen Stimmengewinnen rechnen. Ich hoffe, dass die Ergebnisse unserer Forschung dazu beitragen, das Zusammenspiel von Populismus und Nationalismus – speziell auf der kulturellen Ebene – besser zu verstehen. Und ich hoffe, dass sie deutlich machen, dass Musik gesellschaftlich wichtige Fragen auf einzigartige Weise verhandelt. Die Antwort auf die Frage danach, was wir kulturell und politisch für „normal“ halten, wird durch Musik spür- und erlebbar. Gleichzeitig gibt es in der EU keinen Sänger und keine Sängerin, der oder die die Europawahlen so entscheidend beeinflussen kann, wie das etwa in den USA für die dortigen Präsidentschaftswahlen möglich scheint. Dafür ist die EU zu divers und sprachlich zu vielfältig. Eine Figur wie beispielsweise Taylor Swift, der man ein erhebliches Potenzial nachsagt, die US-Wahlen zu beeinflussen, gibt es in Europa schlicht nicht. Wenn man mich ansonsten danach fragt, was man tun sollte, schließe ich mich den „Ärzten“ an: Wählen gehen!
Interview: Henning Kulbarsch