Der Physiker Christian Schneider erhält einen der begehrten Consolidator Grants des Europäischen Forschungsrats. Im Mittelpunkt seines Vorhabens stehen eine besondere Gruppe sogenannter zweidimensionaler Materialien und ihre optischen Eigenschaften.
Eine neuartige Klasse extrem dünner Materialien und ihre ungewöhnlichen Eigenschaften steht im Mittelpunkt eines jetzt bewilligten Forschungsvorhabens an der Universität Oldenburg. Der Physiker Prof. Dr. Christian Schneider erhält über fünf Jahre eine hochkarätige Förderung des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC) in Höhe von insgesamt rund zwei Millionen Euro für sein Projekt „Dual Twist“. Gemeinsam mit seinem Team will er spezielle Versuchsanordnungen entwickeln, um die besonderen Eigenschaften der untersuchten Materialien mit Hilfe von Licht aufzuklären und so ihre Anwendung in neuartigen Quantentechnologien vorzubereiten. Der ERC Consolidator Grant soll exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Europa bei innovativer Forschung unterstützen und ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit festigen. Von 2313 Anträgen wählte der ERC jetzt 328 Projekte zur Förderung aus, davon 67 in Deutschland.
„Christian Schneider ist ein herausragender Forscher, den der Europäische Forschungsrat bereits zuvor mit einem Starting Grant ausgezeichnet hat. Dass er nun erneut eine hochkarätige europäische Förderung erhält, ist eine hohe Anerkennung seiner Leistungen und gleichzeitig auch ein Beleg dafür, dass das Oldenburger Institut für Physik mit seinen Möglichkeiten zur Untersuchung komplexer Quantenphänomenen hervorragend aufgestellt ist“, erklärt Universitätspräsident Prof. Dr. Ralph Bruder.
Im Mittelpunkt des neuen Vorhabens stehen sogenannte zweidimensionale Materialien (2D-Materialien). Dabei handelt es sich um Festkörper, die oft weniger als einen Milliardstel Meter (Nanometer) dick sind und nur aus wenigen Atomlagen bestehen. „In diesen Materialien ändern sich grundlegende physikalische Eigenschaften wie etwa die elektrische Leitfähigkeit gegenüber massiven Festkörpern, gleichzeitig lassen sich interessante Quantenphänomene beobachten“, erklärt Schneider, der an der Universität Oldenburg die Arbeitsgruppe „Quantenmaterialien“ leitet. 2021 war es seinem Team gelungen, 2D-Materialien sowohl bei extrem niedrigen Temperaturen als auch bei Raumtemperatur dazu zu bringen, kohärentes Laserlicht auszusenden – ein Durchbruch, der als Basis für die Entwicklung zukünftiger vielfältig einsetzbarer Nanolaser dienen könnte. Im Projekt „Dual Twist“ will Schneider mit seinem Team nun Doppelschichten solcher 2D-Materialien untersuchen, die noch deutlich mehr Möglichkeiten bieten als einlagige Kristalle.
In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass sich die optischen, mechanischen und elektronischen Eigenschaften der zweilagigen Strukturen sehr stark dadurch verändern lassen, dass man deren Kristallgitter gegeneinander verdreht. Ein bereits gut untersuchtes Beispiel dafür ist Graphen, eine besondere Form des Kohlenstoffs. Graphen besteht aus einer einzigen Lage von Atomen, die in Sechsecken angeordnet sind. Legt man zwei dieser Wabenmuster übereinander und verdreht diese leicht gegeneinander, entstehen interessante Muster, sogenannte Moiré-Strukturen. Diese Muster wiederum beeinflussen das Verhalten der Elektronen im Graphen tiefgreifend: Das eigentlich elektrisch leitfähige Material lässt sich durch gezieltes Verdrehen der Schichten in einen elektrischen Isolator verwandeln, in dem sich Elektronen nicht mehr bewegen können, oder auch in einen Supraleiter, in dem die Elektronen ohne Widerstand fließen. Das noch relativ junge Forschungsgebiet ist als „Twistronik“ bekannt.
Schneider interessiert sich vor allem für die optischen Eigenschaften der verdrehten Doppelschichten. Für die Untersuchungen im neuen Projekt wollen er und sein Team spezielle Halbleitermaterialien präparieren, mit denen sie bereits in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt haben. Die Proben platzieren die Forschenden zwischen zwei eng beieinanderliegenden Schichten aus anderen Materialien, die Lichtteilchen wie ein Spiegel reflektieren. „Diese Struktur ist so etwas wie ein Käfig für Licht“, erläutert Schneider. Fachleute sprechen von einer „Mikrokavität“. In dieser speziellen Anordnung wollen die Forschenden die 2D-Materialien zum Beispiel bei extrem niedrigen Temperaturen oder hohen Magnetfeldern so anregen, dass besondere Quantenzustände entstehen, die beispielsweise in neuartigen Anwendungen wie Quantencomputern oder der Quantenkommunikation zum Einsatz kommen könnten.
Ein weiterer Plan des Teams besteht darin, die Eigenschaften der untersuchten Materialien mit Hilfe einer speziellen Simulationstechnik zu untersuchen. „In der Festkörperphysik kann man oft nur indirekte Belege dafür finden, wie sich beispielsweise die Elektronen in einem Material unter bestimmten Bedingungen verhalten“, erläutert Schneider eine Schwierigkeit seines Fachgebiets. Die untersuchten 2D-Materialien seien außerdem zu komplex, um ihre Eigenschaften mit modernen Modellierungsmethoden zu bestimmen. Die Forschenden wollen daher einen sogenannten Quantensimulator bauen. Dabei bilden sie die untersuchten Materialien mit Hilfe von Lichtteilchen nach, die sie in Mikrokavitäten einsperren. „Weil die physikalischen Gleichungen, die das Verhalten von Atomen beschreiben, jenen ähneln, die das Verhalten von Licht beschreiben, ist es möglich, analoge Strukturen zu erzeugen“, berichtet Schneider. Der Trick dabei: In diesen aus Lichtteilchen simulierten Systemen ist es möglich, direkt unter dem Mikroskop zu sehen, welche Quantenzustände entstehen und wie verschiedene Teilchen miteinander wechselwirken. Dies soll es ermöglichen, in den echten Materialien gezielt die interessantesten Konstellationen zu finden – und bislang schwer zu kontrollierende Quantenzustände zu zähmen und schlussendlich einen Einsatz in den Quantentechnologien zu ermöglichen.
Christian Schneider ist seit 2020 Professor für Quantenmaterialien am Oldenburger Institut für Physik. Zuvor leitete er eine Arbeitsgruppe an der Universität Würzburg, wo er 2016 für sein Projekt „unlimit2D“ einen Starting Grant des ERC in Höhe von 1,5 Millionen Euro erhielt. Im Exzellenzclustervorhaben „NaviSense”, mit dem sich die Universität Oldenburg in der Exzellenzstrategie bewirbt, zählt er zu den maßgeblich beteiligten Forscher*innen (PI).