• Rebecca Diekmann mit einem Tablet, auf dem die Ernährungs-App zu sehen ist.

    Rebecca Diekmann will älteren Menschen mit Technik zu gesünderer Ernährung und mehr Unabhängigkeit verhelfen - zum Beispiel mit einer App, die dabei hilft, den Nährstoffbedarf zu decken. Foto: UOL MARKUS HIBBELER

Wie Menschen im Alter unabhängig bleiben

Ältere Menschen und neue Technik passen nicht zusammen? Das sieht Rebecca Diekmann anders. Mit ihrem Team konzipiert sie einen digitalen Assistenten, der helfen soll, gesünder zu leben und selbstständig zu bleiben.

Ältere Menschen und moderne Technik passen nicht zusammen? Das sieht Ernährungswissenschaftlerin Rebecca Diekmann anders. Mit ihrem Team konzipiert sie einen digitalen Assistenten, der dieser Zielgruppe helfen soll, gesünder zu leben und selbstständig zu bleiben.

Drei Meter. So lang ist die Distanz zwischen Stuhl und Markierung auf dem Boden. Sobald sich die Hände um die Armlehnen legen und die Arme den Körper von der Sitzfläche nach oben drücken, läuft die Zeit. Sie stoppt erst, wenn die Markierung überschritten, der Rückweg zurückgelegt und die ursprüngliche Sitzposition wieder eingenommen ist. Die benötigte Zeit gibt Aufschluss über die eigene Mobilität. Wer dafür weniger als zehn Sekunden benötigt, muss sich keine Sorgen machen. Wer länger als 20 Sekunden braucht, sollte Muskelkraft, Gelenkfunktionen und Gleichgewicht untersuchen lassen.

Ideen, die sich ergänzen

Die streng nach Leistung und Zeiten kategorisierte Struktur erinnert fast an die Bundesjugendspiele, allerdings absolvieren den sogenannten „Timed Up and Go-Test (TUG-Test)“ in der Regel keine Schulkinder, sondern ältere Menschen. Der geriatrische Mobilitätstest macht sichtbar, wie gut ein Mensch zu Fuß ist, und kann abbilden, wie sich seine Beweglichkeit im Laufe der Zeit entwickelt. „Fit zu bleiben, unabhängig in den eigenen vier Wänden zu leben, das ist das, was sich vermutlich jeder wünscht“, sagt Dr. Rebecca Diekmann.

Die Ernährungswissenschaftlerin will dazu beitragen, Seniorinnen und Senioren diese Unabhängigkeit zu bewahren. Sie leitet die achtköpfige Nachwuchsgruppe „Ernährung und Funktionalität im Alter“ am Department für Versorgungsforschung. Forschende aus Informatik, Medizintechnik, Ernährungswissenschaften, Medizin und Physiotherapie entwickeln gemeinsam Hilfsmittel, die ältere Menschen dabei unterstützen, gesund zu bleiben.

Unter anderem arbeitet das Team an einer App, die ihnen hilft, sich richtig zu ernähren und in Bewegung zu bleiben. Außerdem konzipiert die Gruppe Mess- und Trainingsstationen, die Probandinnen und Probanden aufsuchen können, um dort ohne fremde Hilfe physiotherapeutische Übungen zu absolvieren und ihren Fortschritt zu dokumentieren. Auf den sich ergänzenden Ideen einer mobilen Tablet-App einerseits und festinstallierten Trainingsstationen andererseits basiert das Assistenzsystem, das die Forschenden in den nächsten Jahren entwickeln.

Sie beginnen dabei nicht bei null, sondern haben in vorangegangenen Projekten bereits Vorarbeit geleistet. Im Rahmen der Studie „Vorhersage zum Erhalt der Selbstständigkeit im Alter“ haben die Forschenden etwa bereits moderne Technologien entwickelt und eingesetzt, um Seniorinnen und Senioren nicht nur in Bewegung zu bringen, sondern ihre Leistungen auch zu messen. Wo normalerweise bei Aufgaben wie dem TUG-Test medizinisches Personal die Einhaltung von Regeln überprüfen und Zeiten messen muss, übernahmen Sensoren, Kameras und Lichtschranken diese Aufgaben.

Weniger Appetit und sinkender Energiebedarf können zu falscher Ernährung führen

Training allein führt nicht zum Erfolg. Eine häufig wenig beachtete Voraussetzung dafür, im Alter beweglich sein zu können, ist die richtige Ernährung. „Man kann zum Beispiel keinen Muskel aufbauen, wenn die Proteinzufuhr zu gering ist“, erklärt Diekmann. Gerade für ältere Menschen kann Mangelernährung zum Problem werden. Im Alter sinkt der Appetit. Rund 20 Prozent weniger Nahrung nehmen Seniorinnen und Senioren mit fortschreitendem Alter und abnehmendem Energiebedarf zu sich. Dabei bleibt schnell die Versorgung mit benötigten Nährstoffen auf der Strecke – ohne dass die Betroffenen es sofort merken.

App gibt Überblick über Nährstoffbedarf

Mit dem App-basierten Assistenzsystem sollen sie ein Bewusstsein dafür entwickeln, sich entsprechend ihres Bedarfs zu ernähren. Die wichtigsten Daten dafür liefern sie selbst, indem sie alle Mahlzeiten und Snacks, die sie an einem Tag essen, ins Tablet eingeben. „Uns geht es dabei nicht um den Detailgrad, sondern um eine grobe Einschätzung, ob jemand genügend Nährstoffe zu sich genommen hat“, sagt Diekmann.

Die App rechnet den Anteil des Nährstoffbedarfs aus, der bereits gedeckt ist, und zeigt ihn den Nutzenden an. Diekmanns Team hat die Anwendung in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt. Inzwischen finden sich dort zum Beispiel auch Videos mit Bewegungsübungen, To-do-Listen für anstehende Sportaufgaben und allgemeine Informationen, die mit Ernährungsmythen aufräumen.

Psychologie spielt auch eine Rolle

Kürzlich fiel der Startschuss für Diekmanns Vorhaben „AS-Tra“. Die fünfjährige Förderung durch das Bundesforschungsministerium ermöglicht ihr und ihrem Team, das Assistenzsystem weiterzuentwickeln – und schließlich den Praxistest. „Das ist die große Chance für eine randomisiert-kontrollierte Studie, in der wir messen wollen, ob das Assistenzsystem einen Effekt hat“, sagt Diekmann.

Vorher will das Team das System noch an ein psychologisches Modell anpassen – mit dem Ziel, dass Nutzende besser am Ball bleiben. Das sogenannte Transtheoretische Modell beschreibt die verschiedenen Phasen einer dauerhaften Verhaltensänderung. Auf dieser Basis soll die App Angebote machen – egal ob die nutzende Person sich bisher gar nicht für Ernährung und Bewegung interessiert hat, sich langsam mit dem Gedanken beschäftigt, gesünder zu leben, oder schon erste Maßnahmen umgesetzt hat. „Es bringt nichts, jemandem Übungen vorzuschlagen, der noch gar nicht verstanden hat, warum ihm das weiterhelfen soll“, erklärt Diekmann.

Dabei lohnt sich ein gesünderes Leben gerade im Alter und kann zu messbaren Verbesserungen führen, beispielsweise beim TUG-Test. Anders als bei den Bundesjugendspielen lockt zwar keine Urkunde, aber die Aussicht auf ein unabhängiges Leben.

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