Rund hundert Fachleute aus aller Welt tauschten sich Ende August auf dem Symposium „Marine Microbiota“ über die Bakterien der Roseobacter-Gruppe aus. Meinhard Simon, Sprecher des Transregio-Sonderforschungsbereichs Roseobacter und Uni-Vizepräsident für Forschung und Transfer, ist ihr Gastgeber. Im Gespräch erläutert er, warum diese Meeresbakterien so wichtig sind und dass Forscher auch unerwartete Erkenntnisse aus dem Meer ans Licht bringen.
Prof. Dr. Meinhard Simon, Sie leiten seit fast zehn Jahren den Sonderforschungsbereich „Roseobacter“, haben auf verschiedenen Expeditionen mit Forschungsschiffen etliche Wochen auf den Weltmeeren verbracht, um die winzigen Meeresbewohner und ihre Eigenschaften besser zu verstehen. Was ist eigentlich das Besondere an diesen Mikroben?
Roseobacter kommen, als Teil der Bakteriengemeinschaft, in allen Regionen und Tiefen der Weltmeere vor: von den Tropen bis in die Polarmeere, von der Oberfläche bis in die Meeresböden, in Ansammlungen von einzelligen Algen, sogenannten Phytoplankton-Blüten, oder auf Tang. Sie vergesellschaften sich mit verschiedenen wirbellosen Tieren wie Muscheln, Zooplanktonkrebsen oder Fischlarven. Auch im Wattenmeer sind Roseobakterien häufig zu finden. Wir und andere Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Vertreter der Gruppe mancherorts bis zu einem Drittel der gesamten Bakterienzahl ausmachen – dabei sind es viele unterschiedliche Arten, die wir finden.
Warum sind diese Bakterien in den Weltmeeren so verbreitet und erfolgreich?
Sie haben einen sehr vielseitigen Stoffwechsel und können sich dadurch gut an verschiedene Umweltbedingungen anpassen. Wir wollen herausfinden: Was sind die genetischen Grundlagen hierfür? Wie funktioniert der Stoffwechsel? Um dies zu erreichen, ist es wichtig, die jeweiligen Genome, also die Gesamtheit aller Gene eines Organismus, zu entschlüsseln. Vor allem durch unsere Untersuchungen sind etwa 600 Roseobacter-Genome bereits bekannt – mit täglich steigenden Zahlen. Das ist mehr als von anderen Meeresbakterien. Rund 200 Arten gibt es zudem in mikrobiologischen Stammsammlungen. Der Name Roseobacter stammt übrigens von den beiden ersten Bakterien dieser Gruppe, die 1991 isoliert wurden. Er weist auf die rosa Färbung der Kolonien dieser Bakterien auf den Agarplatten hin.
Welche Rolle spielen die Mikroben denn global gesehen?
Bakterien der Roseobacter-Gruppe sind beispielsweise entscheidend am Schwefelkreislauf beteiligt: Sie produzieren viele unterschiedliche organische Schwefelverbindungen, die mit regulieren, wie sich Wolken bilden. Dies wiederum beeinflusst das Wetter und Klima. Wir haben auch herausgefunden, dass Bakterien dieser Gruppe andere Bakterien und Phytoplankton sowie Tang mit verschiedenen Vitaminen versorgen, vor allem Vitamin B12. Andere produzieren sehr effektive, antibiotisch wirksame Substanzen.
Welche Entdeckung der vergangenen Jahre hat Sie besonders überrascht?
Wir wussten, dass bestimmte Vertreter der Roseobacter-Gruppe während des Wachstums Vitamine und andere chemische Verbindungen wie Zucker und Aminosäuren ausscheiden. Was wir jetzt herausgefunden haben: Sie sondern auch Zwischenprodukte ab, die bei der Biosynthese von Vitaminen und anderen chemischen Verbindungen entstehen. Diese Stoffe nehmen andere Bakterien auf. Es besteht also eine intensive chemische Kommunikation zwischen den verschiedenen Bakterien und mit Algen. Das war für uns neu und unerwartet – und zeigt: Das Zusammenleben von verschiedenen Bakterien im Meer ist sehr viel komplizierter, als wir noch vor wenigen Jahren angenommen haben. Das Meerwasser verbindet die Bakterien stärker als gedacht miteinander. Die Mikroben haben einen ausgeprägten gemeinsamen Stoffwechsel. Das frühere Bild von den vielen, um Nährstoffe konkurrierenden Bakterien hat sich gewandelt. Heute sehen wir die Bakteriengemeinschaften als ein synergistisches und kooperatives Miteinander.
Welchen Herausforderungen begegnen Sie bei der praktischen Arbeit?
Wir versuchen, interessante und repräsentative Bakterien der Roseobacter-Gruppe aus dem Meer zu isolieren und im Labor zum Wachsen zu bringen. Durch Versuche mit diesen Modellbakterien lernen wir viel über die Gruppe, wenn sie unter kontrollierten Bedingungen wachsen, bestimmte Nährstoffe abbauen und andere bilden. Allerdings war es für eine Reihe dieser Bakterien extrem schwierig oder bisher unmöglich, diese zu isolieren und im Labor zu kultivieren. Bei einigen waren wir dennoch erfolgreich. Offensichtlich leben die Bakterien in den Meeren aber unter ganz anderen Bedingungen als die, die wir im Labor herstellen können. Daher wissen wir von einigen Vertretern immer noch zu wenig über deren Stoffwechsel. Antworten auf diese Fragen zu finden, bleibt eine große Herausforderung.
Welche Forschungsfragen wollen Sie künftig noch beantworten?
Die Förderung des Sonderforschungsbereichs läuft noch bis Ende 2021. Wir wollen den Geheimnissen der chemischen Kommunikation zwischen Roseobakterien und Phytoplankton weiter auf die Spur kommen. Außerdem analysieren wir Daten, die wir zur Verbreitung, Biodiversität und zu den genetischen Eigenschaften der Roseobacter-Gruppe auf zwei Forschungsexpeditionen im Pazifik – zwischen Neuseeland und der Beringsee – gewonnen haben. Auch hier erwarten wir, viel Neues zu lernen und die Ökologie und Biogeografie der Roseobacter-Gruppe und der gesamten Bakteriengemeinschaften im großen Pazifischen Ozean besser zu verstehen.
Interview: Constanze Böttcher