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Prof. Dr. A. Murat Eren

Vita

Prof. Dr. A. Murat Eren leitet am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) die Forschungsgruppe Ecosystem Data Science. Zuvor war der Bioinformatiker Assistant Professor an der University of Chicago (USA), wo er die Evolution und Ökologie von Mikroben mit bioinformatischen Methoden erforschte. Gemeinsam mit Kollegen entwickelte er die frei verfügbare Software anvi’o, die von Forschenden weltweit für datengetriebene mikrobiologische Untersuchungen genutzt wird. 

 

  • Mikroskopische Aufnahme einer Mikrobengemeinschaft.

    Mikroben sind die heimlichen Herrscher der Welt: Sie produzieren Sauerstoff, machen Nährstoffe verfügbar, sind unverzichtbar für alle Ökosysteme. Adobe Stock / Turgay Koca / Wirestock

  • Portraitbild

    Der Bioinformatiker A. Murat Eren kombiniert in seiner Forschung die Werkzeuge der Molekularbiologie mit den Methoden der Datenwissenschaften, um die Ökologie und Evolution natürlicher Mikrobengemeinschaften zu verstehen. Universität Oldenburg / Daniel Schmidt

„Völlig neue Welten“

Die Mikrobiologie kann zur Lösung vieler globaler Herausforderungen beitragen, ist der Bioinformatiker A. Murat Eren, genannt Meren, überzeugt. Im Interview erzählt er, welche erstaunlichen Fortschritte seine Disziplin zuletzt gemacht hat.

Die Mikrobiologie kann zur Lösung vieler globaler Herausforderungen beitragen, ist der Bioinformatiker A. Murat Eren, genannt Meren, überzeugt. Im Interview erzählt er, welche erstaunlichen Fortschritte seine Disziplin zuletzt gemacht hat.

Mikroben haben ein schlechtes Image. Sie gelten als unhygienisch und werden vor allem als Verursacher von Krankheiten wahrgenommen. Ist das Bild von ihnen als Übeltäter gerechtfertigt?

Nein, im Gegenteil! Tatsächlich sind sie die Architekten des Lebens: Mikroben produzieren einen Großteil des Sauerstoffs, den wir atmen, helfen Pflanzen beim Wachsen, setzen chemische Verbindungen zusammen, die wir selbst nicht herstellen können und bauen sie anschließend wieder ab, um dem Kreislauf des Lebens diese limitierten Ressourcen wieder zuzuführen. Und sie bewahren unsere Ökosysteme vor dem Zusammenbruch – dem oft zerstörerischen Handeln der Menschen zum Trotz. Man könnte sie als Wächter der planetarischen Gesundheit bezeichnen.

Sie haben gerade einen Übersichtsartikel für die renommierte Zeitschrift Cell geschrieben, die mit der aktuellen Ausgabe ihren 50. Geburtstag feiert. Wie hat sich das Bild mikrobieller Gemeinschaften in den vergangenen Jahrzehnten verändert? 

Dank technologischer Fortschritte konnte die Mikrobiologie ihren Fokus von individuellen Organismen in einer Kultur auf Mikrobengemeinschaften in komplexen Umgebungen erweitern. Dabei ist eine vorher unvorstellbare Vielfalt und Dynamik zum Vorschein gekommen. Mikrobielle Gemeinschaften bevölkern alle Ökosysteme der Erde, auf dem Land und im Meer und in lebenden Wirten. Die Arbeit, die ich gemeinsam mit meiner Kollegin Jillian Banfield von der University of California in Berkeley verfasst habe, argumentiert, dass die Mikrobiologie dabei ist, sich zu einem der wichtigsten Zweige der Wissenschaft zu entwickeln. In dieser neuen Ära der Mikrobiologie hat sich unserer Meinung nach bereits gezeigt, dass wir auf Mikroben setzen sollten, um unsere drängendsten Probleme zu lösen, etwa mit Hilfe neuer biotechnologischer und biomedizinischer Methoden.

Welchen Beitrag kann die Mikrobiologie denn dabei leisten?

Es gibt einige Ansätze, die rasche Erfolge versprechen. Bei neueren Arbeiten an Umweltmikroben und ihren Genen wurden beispielsweise Enzymen entdeckt, mit denen wir menschliche oder pflanzliche Genome effizient modifizieren können. Das lässt sich nutzen, um Organismen widerstandsfähiger zu machen oder Erbkrankheiten zu behandeln, um wirksamere Antibiotika und Antipilzmittel zu entwickeln oder Methoden zum Abbau von Plastik zu erforschen. Aber es gibt noch viel mehr zu entdecken. Um das wahre genetische Potenzial der Mikroben zu erschließen, die unseren Planeten regieren, müssen wir unsere Geisteshaltung ändern – von den Lehrmethoden bis zur Wissenschaftsfinanzierung.

Was schlagen Sie vor?

In unserem Artikel plädieren wir beispielsweise dafür, die neuen, datengetriebenen Methoden der Mikrobiologie auf ganze Ökosysteme anzuwenden, die Komplexität der Natur einzubeziehen und offen für unerwartete Entdeckungen zu sein. Dann können wir wichtige Fragen angehen, etwa: Wie können wir mehr Kohlenstoff im Boden speichern? Wie können wir die Methanemissionen von Reisfeldern oder Rindern verringern? Wie können wir den Abbau von Plastik im Meer beschleunigen, die Versalzung von Ackerböden verringern und den Untergrund der Erde zur Speicherung von Kohlendioxid nutzen? Dabei können natürliche Ereignisse womöglich mehr zum Verständnis von Prozessen beitragen als kontrollierte Experimente. Wie wir in unserem Artikel schreiben: Manchmal ist es besser, die Natur selbst experimentieren zu lassen.

Was zeichnet die neue Ära der Mikrobiologie aus?

Unser Wissenschaftszweig ist heute stark datengetrieben. Um die Komplexität natürlicher Ökosysteme zu verstehen, brauchen wir interdisziplinäre Ansätze. Ich selbst bin beispielsweise Informatiker und untersuche die Ökologie und Evolution von Mikroben mit bioinformatischen Methoden. Unser Verständnis der Vielfalt des Lebens hat sich durch die zunehmende Interdisziplinarität in der Mikrobiologie und den Einsatz zahlreicher neuer molekularer und analytischer Werkzeuge enorm erweitert. Das ist ein Anlass, unsere Stellung auf diesem Planeten in aller Bescheidenheit zu überdenken. Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz haben uns geholfen, die dreidimensionale Struktur von Proteinen vorherzusagen. Das gibt nicht nur Aufschluss über die evolutionären Prozesse, die Proteine formen, sondern erleichtert es auch, neue Medikamente und biotechnologischer Werkzeuge zu entwickeln. Die neue Ära der Mikrobiologie lebt von der Vielfalt der beteiligten Menschen und Werkzeuge, um die unvorstellbare Diversität der Mikroben zu aufzuklären.

Was waren für Sie die spannendsten Entdeckungen in jüngerer Zeit?

Besonders interessant finde ich, wie stark sich unsere Sicht auf Viren verändert hat. Viren haben zwar keinen Platz im Stammbaum des Lebens, aber inzwischen verstehen wir, dass sie dank ihrer astronomisch hohen Anzahl und großen Komplexität einen immensen Einfluss auf das Leben haben: Nach einer Infektion programmieren Viren den Stoffwechsel ihrer Wirte um. Sie beeinflussen wichtige ökologische Prozesse, indem sie etwa verhindern, dass andere Organismen miteinander konkurrieren. Oder sie tragen dazu bei, dass ein Lebewesen ein Ökosystem besiedeln kann. Sie beschleunigen die Evolution, indem sie an den Genomen von Organismen in allen Domänen des Lebens herumdoktern, und in manchen Fällen können sie sogar das Fortpflanzungsverhalten von Tieren verändern. Sie zwingen uns darüber nachzudenken, was ein Lebewesen ist: Vor nur 30 Jahren wurden riesige Viren entdeckt, deren Genom größer ist als das mancher Bakterien. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass diese Viren überall vorkommen und fast so etwas wie einen Stoffwechsel haben. Die Forschung an Viren floriert also gerade in der Mikrobiologie – mit gutem Grund.

Gibt es noch andere biologische Strukturen, die nicht im Stammbaum des Lebens enthalten sind?

Ja, Plasmide zum Beispiel. Sie repräsentieren einen weiteren aufregenden Zweig der Mikrobiologie. Plasmide sind genetische Elemente, die außerhalb der Chromosomen liegen. Sie bilden sozusagen kleine, zusätzliche Genome. Sie können zwischen verschiedenen Bakterienzellen und sogar zwischen unterschiedlichen Bakterienarten ausgetauscht werden. Um sich zu vermehren, sind Plasmide auf ihre Wirtszellen angewiesen, die manchmal davon profitieren – etwa, wenn die Plasmide Gene für Antibiotikaresistenzen enthalten. Die Vielfalt von Plasmiden in der natürlichen Umwelt ist bislang jedoch kaum verstanden. Darüber hinaus gibt es noch weitere genetische Elemente, die außerhalb der Chromosomen liegen. Im vergangenen Jahr wurde eine Gruppe dieser Elemente entdeckt, die „Borg“ genannt wird, nach einer Spezies aus der Serie StarTrek. Erst in diesem Jahr wurden weitere virusähnliche Elemente entdeckt, deren Beziehung zu anderen Organismen noch völlig unklar ist. Wegen ihrer zylindrischen Form hat man sie Obelisken genannt. Hier tun sich völlig neue Welten auf. Als Mikrobiologe fühlt man sich heutzutage etwa so wie ein Kind in einem Süßwarenladen.

Interview: Ute Kehse

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