Selbstfahrende und emissionsfreie Schiffe könnten Städte entlasten, die über ein Netz aus kleinen Wasserstraßen verfügen. Mit dieser umweltfreundlichen Art des Gütertransports befassen sich Oldenburger Informatiker im EU-Projekt AVATAR.
Kanäle und Grachten prägen das Bild vieler Städte der Nordsee-Region, etwa Hamburg, Emden, Delft oder Amsterdam. Früher wurden die kleinen Wasserstraßen für den Gütertransport und den öffentlichen Nahverkehr genutzt, heute schippern dort meist nur noch Ausflugsdampfer und Kanufahrer herum. Obwohl die Binnenschifffahrt weniger Lärm und Abgase verursacht als der Straßenverkehr und außerdem die Straßen entlastet, lohnt es sich derzeit nicht, Güter innerhalb von Städten auf dem Wasserweg zu transportieren. In den letzten Jahren wurden daher viele kleinere Schiffe verschrottet.
„Um Waren von zentralen Umschlagplätzen aus in die Innenstädte zu bringen oder Abfall abzutransportieren, könnte man jedoch auch autonome Schiffe nutzen“, sagt der Oldenburger Informatiker Prof. Dr.-Ing. Axel Hahn. Die Automatisierung des Verkehrs liegt derzeit nicht nur auf der Straße, sondern auch auf dem Wasser im Trend: In der Handelsschifffahrt setzen viele Unternehmen immer stärker auf Digitalisierung und Assistenzsysteme, damit langfristig der Computer das Steuer übernehmen kann. In Norwegen etwa ist demnächst ein autonomer, elektrisch betriebener Frachter auf festen Strecken in einem Testgebiet nahe der Küste unterwegs.
Roboterschiffe im Einsatz
Auch Binnenwasserstraßen sind ein interessantes Einsatzgebiet für Roboterschiffe, zumal viele kleinere Kanäle kaum genutzt werden. „Dort ist zum Beispiel die Kommunikation einfacher als auf See, weil man für die Datenübertragung das bestehende Handynetz nutzen kann – in Zukunft dann mit der hohen Übertragungsrate der 5G-Technologie“, erläutert Hahn. Im Projekt AVATAR („Sustainable urban transport with autonomous zero-emission vessels“), an dem die Universität Oldenburg beteiligt ist, will der Informatiker gemeinsam mit Partnern aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden untersuchen, ob der Einsatz selbstfahrender Kähne innerhalb von Städten rentabel ist. Das Oldenburger Team entwickelt ein Kontrollzentrum, um den robotischen Schiffsverkehr zu überwachen. Das Budget des Gesamtprojekts beträgt in den kommenden drei Jahren rund 1,9 Millionen Euro, etwa die Hälfte trägt das Europäische Interreg-Programm „Nordsee“. Die Leitung liegt bei der Regionalen Entwicklungsagentur Ostflandern in Gent (Belgien), Pilotstädte sind Hamburg, Delft (Niederlande), Gent und Leuven (Belgien).
Den Beteiligten von AVATAR geht es vor allem um die sogenannte „letzte Meile“, also das letzte Wegstück beim Transport von Gütern. Müssten LKW nicht mehr in die Innenstädte hineinfahren, ließen sich viele Straßen stark entlasten. Das Forschungsprojekt untersucht das wirtschaftliche Potential von Stadtschiffen, die mit regenerativen Energien betrieben werden. Im Oldenburger Projektteil geht es vor allem um Sicherheitskonzepte und die Kommunikation mit Roboter-Schiffen, die von Partnern der Universität Leuven in Belgien entwickelt werden. Ein Team an der Universität Delft befasst sich mit der Vernetzung der autonomen Frachter.
Kontrolle über die autonome Flotte
Die Oldenburger Forscherinnen und Forscher arbeiten an sogenannten Rückfall-Lösungen. „In kritischen Situationen soll es möglich sein, dass ein Mitarbeiter von einem Leitstand an Land die Kontrolle über die Schiffe übernimmt“, erläutert Projektleiter Arne Lamm. Das Team untersucht beispielsweise, welche Daten ein solcher Leitstand benötigt, um ein Schiff fernsteuern zu können und auf welche Schnittstellen er zugreifen können muss. Diese virtuelle Schiffsbrücke soll in einem Container untergebracht werden, der sich für Tests in den Pilotstädten am Ufer aufbauen lässt. Für die Kommunikation könnte die „Maritime Connectivity Platform“ zum Einsatz kommen, ein Kommunikationssystem für die Seeschifffahrt, das derzeit in der Entwicklung ist. Es erlaubt den elektronischen Austausch von Daten zwischen Schiffen, Häfen, Behörden und Dienstleistern.
In den Binnenwasserstraßen treten allerdings zum Teil andere Herausforderungen auf als auf See: „Damit die Stadtschiffe sicher durch die engen Kanäle navigieren können, muss ihre Position wesentlich genauer bekannt sein als bei Hochsee-Frachtern“, berichtet Lamm. Gewöhnliches GPS reiche nicht aus. Auch mit Hindernissen wie beispielsweise Kanus, Schwimmern oder Wasservögeln ist häufiger zu rechnen – vor allem dann, wenn sich die autonomen Boote als ökonomisch sinnvolle Alternative zum LKW-Verkehr erweisen und in größeren Zahlen durch die Grachten gleiten.