Wie Schulunterricht, nur schwieriger? Ein Studium ist mehr. Über forschungsbasiertes Lernen als Markenzeichen der Universität sowie über deren bundesweite Vorreiterrolle bei der Anrechnung mitgebrachter Kompetenzen spricht Vizepräsidentin Sabine Kyora im Interview.
FRAGE: Frau Kyora, haben Sie als Studentin schon geforscht?
KYORA: Da bin ich mir ziemlich sicher (lacht). Man hat es nicht so explizit gemacht wie heute, aber ich habe mich schon relativ früh auf Gegenwartsliteratur konzentriert im Studium. Zudem hatte ich einen Professor, der uns ermutigt hat, unsere eigene Fragestellung zu entwickeln, uns über Recherche eigene Thesen zum Text zu erarbeiten. Das literaturwissenschaftliche Forschen habe ich im Studium erlernt – und kann es mir auch kaum anders vorstellen. Wenn man Studierende dahin bringen möchte, dass sie selbstständig mit den Gegenständen ihres Fachs umgehen, geht es nur, indem man ihnen hilft, sich die Methodik selber zu erschließen. Ganz egal, wohin sie hinterher gehen, ob sie Lehrer werden oder in die Wirtschaft wollen, dieses forschende Entwickeln wird etwas sein, das ihnen im Berufsalltag hilft.
FRAGE: Nun ist ein Hauptthema der Lehrprofilentwicklung genau das – das forschungsbasierte Lehren und Lernen. Was macht das genau aus?
KYORA: Es hat etwas mit Explizitheit zu tun. Dass wir Dinge, die wir vielleicht immer schon so gemacht haben, uns noch einmal genauer anschauen. Dass wir darauf achten, ob die Studierenden einen Forschungszyklus vom Entwickeln der Fragestellung bis zum Aufschreiben der Ergebnisse tatsächlich durchlaufen haben. Unser Projekt „Forschungsbasiertes Lernen im Fokus“ – FLiF – arbeitet das heraus und macht damit Ziele der Lehre auch für die Studierenden transparenter.
FRAGE: Für FLiF stehen nun noch einmal sechs Millionen Euro bis 2020 zur Verfügung. Sie wollen das forschende Lehren und Lernen nicht nur nachhaltig hier verankern, sondern auch als – von außen wahrnehmbares – Markenzeichen der Universität Oldenburg etablieren. Wie?
KYORA: Als Beispiel möchte ich zwei Elemente von FLiF nennen. Zum einen das studentische Journal „forsch!“, das zeigt, dass man die Produkte, die die Studierenden in Seminaren entwickeln, anders ernst nehmen muss. Es reicht eben nicht: Aha, die Hausarbeit, dafür gebe ich jetzt eine 2, und dann hat sich das. Das heißt, es birgt für Studierende die Chance, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen, sich anders mit dem Forschungsprozess auseinanderzusetzen. Zum anderen braucht es Freiräume, in denen die Studierenden selbstständig arbeiten können. Das ist der zweite wichtige Aspekt für Nachhaltigkeit und das Etablieren einer Marke: dass sich neue Lehrformate an der Universität etablieren. Das wollen wir über Modulbeschreibungen verankern, in den Studienordnungen – da sind wir uns mit den Akteuren in den Fakultäten grundsätzlich einig.
FRAGE: Ist das insgesamt ein Thema, das innerhalb der Uni Begeisterung weckt, oder eines, für das Sie immer wieder begeistern müssen?
KYORA: Wir sind schon sehr weit gekommen. Zu Anfang gab es schon auch skeptische Stimmen angesichts eines befristeten Projekts für die Lehre. Tenor: Was machen wir denn nach den fünf Jahren? Es war ja nicht abzusehen, dass wir in der zweiten, vierjährigen Periode des Qualitätspakts Lehre bis 2020 noch einmal so umfangreich gefördert werden. Und natürlich kann man nicht die ganze Zeit begeistert sein (lacht), aber die Konferenz zu studentischer Forschung zum Beispiel war klasse.
FRAGE: Sie meinen „forschen@studium“ im Juni hier an der Universität.
KYORA: Genau. Das hat nochmal einen Schub gebracht und bei Studierenden wie Lehrenden Kreativität freigesetzt. Es war international, mit Keynote-Vorträgen aus Australien, Großbritannien, den USA. Für die Studierenden war es ein Erlebnis, ihre Forschung einem breiten Publikum vorstellen zu können und Feedback von den anderen zu bekommen. Nun haben wir bei FLiF gerade die neue Runde an Projekten bewilligt. Es sind 21 Projekte in den sechs Fakultäten, die im Oktober begonnen haben, mit einer inhaltlichen Bandbreite von Internetstrafrecht oder Mobiler Arbeit bis hin zu Windphysik oder Bioethik. Insofern bewegt das allerhand.
FRAGE: Sie beschrieben eben die Begeisterung, die spürbar war bei „forschen@studium“. Damit war Oldenburg in Deutschland ja Vorreiter. Wie geht es da weiter?
FRAGE: Wir vernetzen uns mit anderen Hochschulen, um regelmäßig in Deutschland solche Konferenzen auszurichten. Schon klar ist, dass die Uni Oldenburg 2019 bei der Tagung des weltweiten Netzwerks für studentische Forschung als Gastgeber fungieren wird. Natürlich hoffen wir, das Thema bis dahin in Deutschland auf noch breitere Füße zu stellen. Im angelsächsischen Raum ist es absolut etabliert. Dort kommen dann vielleicht nicht „nur“ 300 wie bei uns, sondern mehr als 3.000 Leute, und es ist integraler Bestandteil des Studierens. So weit sind wir in dieser Hinsicht hier noch nicht, aber es sieht gut aus. Und „forschen@studium“ soll die Dachmarke für unsere sämtlichen Aktivitäten der forschungsbasierten Lehre werden.
FRAGE: Die Universität sieht schon ihre Studierenden als Forscher, zugleich will sie diesen Weg möglichst vielen Menschen grundsätzlich öffnen. Warum eine offene Hochschule?
KYORA: Das hat auch etwas mit Diversität zu tun, die wir als Universität noch weiter entwickeln wollen, also der Offenheit für alle Bevölkerungsgruppen. Wir haben das Orientierungsjahr für Geflüchtete, wir haben den Bereich Gleichstellung, wir versuchen in der Internationalisierung noch besser zu werden – und es geht uns eben auch um soziale Diversität. Dass wir auch Menschen den Weg ebnen, die studieren könnten oder schon studieren, die aber vielleicht nicht den ganz traditionellen Lebenslauf haben mit dem direkten Übergang von der Schule an die Uni. Ob nach einer vorherigen Berufsausbildung oder mit der Z-Prüfung für Studieninteressierte ohne allgemeine Hochschulreife.
FRAGE: Wie viele Studierende mit beruflicher Vorbildung sind denn eingeschrieben?
KYORA: Es sind mehr als 26 Prozent – und damit gut doppelt so viele wie an anderen Universitäten. Wenn jemand nicht direkt nach dem Abitur an die Universität kommt, sondern einen anderen Weg geht, ist die Anrechnung außerhochschulischer Leistungen der Schlüssel. Wir haben dazu ein neues Projekt an der Universität, das Beratung und Unterstützung bündelt: PLARnet.
FRAGE: Was verbirgt sich genau dahinter, und was ist das Besondere?
KYORA: Die Abkürzung steht für die Erfassung und Anerkennung zuvor erworbener Lernergebnisse. Diese Stelle soll sich einen Überblick verschaffen, was neue und künftige Studierende schon an Vorbildung angesammelt haben. Jemand, der neu an die Uni kommt, kann ja nicht wissen, was er sich möglicherweise anrechnen lassen kann, um sein Studium zu verkürzen. Es ist eine Hilfestellung für Studierende – und ein Signal der Wertschätzung für das, was sie mitbringen.
FRAGE: Und ein Signal, dass das Universitätsstudium nicht abgekoppelt ist von der Berufspraxis?
KYORA: Ja, auch das ist wichtig. Wir vermitteln ja auch im sogenannten Professionalisierungsbereich Dinge, die wieder in die Berufspraxis zurückführen. Gerade an solchen Stellen können wir relativ gut sagen, wer das schon mitbringt, muss das nicht erneut belegen.
FRAGE: Wie lief das bisher? Die Universität hat ja schon sehr viele Studierende mit beruflicher Vorbildung – immerhin gut jeder Vierte.
KYORA: Es gibt im StudierendenServiceCenter SSC eine Stelle für Anrechnung. Die konzentriert sich allerdings nicht ausschließlich auf Dinge aus der beruflichen Praxis, sondern kümmert sich auch um Anrechnung von Studienleistungen aus anderen Studiengängen, auch von anderen Hochschulorten. Und bisher mussten Studierende die Initiative ergreifen. Nun können wir sie direkt zum Start ins erste Semester auf das Angebot von PLARnet verweisen, das der Kompetenzbereich Anrechnung, das Center für lebenslanges Lernen, das Referat Studium und Lehre sowie das Akademische Prüfungsamt gemeinsam auf die Beine gestellt haben.
FRAGE: Erfasst die Universität somit die mitgebrachten Kompetenzen systematischer?
KYORA: Ja. PLARnet ist von Anfang an mit dem SSC verzahnt, damit es gut funktioniert, und entlastet auch ein Stück weit die Fakultäten. Diese haben weiterhin das letzte Wort und entscheiden letztlich über die Anrechnung, aber bekommen es besser aufbereitet. Auch da nimmt die Universität Oldenburg eine Vorreiterrolle ein, das gibt es sonst an keiner deutschen Hochschule. Gefördert wird das Projekt vom Wissenschaftsministerium, das gesagt hat: Das ist im Rahmen der offenen Hochschule – die ja auch politisch ein großes Thema ist – eine wirklich gute Idee.
Interview: Deike Stolz