• Großaufnahme einer Hand, die ein Glasröhrchen in eine Art Rondell steckt. Darin stecken noch mehrere weitere Röhrchen.

    Das NMR-Spektrometer kann die Zusammensetzung komplexer Molekülmischungen ermitteln. In jedem der dünnen Glasröhrchen befindet sich ein Extrakt aus Meerwasser, in dem wenige Milligramm gelösten organischen Materials enthalten sind. Eine Messung dauert bis zu 24 Stunden. Universität Oldenburg / Marcus Windus

  • Zwei Mönner stehen vor einem großen technischen Gerät. Zahlreiche Metallschläuche und Leitungen ragen oben und unten aus einer tonnenförmigen Vorrichtung. Dabei handelt es sich um die Kühlkammern, innerhalb deren die Messung stattfindet.

    Phani Vemulapalli (r.) betreut das neue NMR-Spektrometer, das aktuell vor allem in Thorsten Dittmars Arbeitsgruppe zum Einsatz kommt. Universität Oldenburg / Marcus Windus

Das Molekülpuzzle

Am Institut für Chemie und Biologie des Meeres ist seit kurzem ein neues Großgerät in Betrieb – mit einzigartigen Möglichkeiten für die Klimaforschung. 

Am Institut für Chemie und Biologie des Meeres ist seit kurzem ein neues Großgerät in Betrieb – mit einzigartigen Möglichkeiten für die Klimaforschung. 

Wer schon mal in die „Röhre“ eines Kernspintomographen (MRT) geschoben wurde, weiß, wie eng es darin sein kann: Bei einem Durchmesser von 60 oder 70 Zentimetern entwickeln sich schnell klaustrophobische Gefühle. Auf dem Campus Wechloy ist seit Kurzem ein Gerät in Betrieb, das ähnliche Dimensionen hat wie ein MRT-Gerät und auf dem gleichen physikalischen Prinzip beruht. Allerdings beträgt der Platz im Inneren für Messungen nur wenige Zentimeter. Statt menschlichem Gewebe untersuchen Forschende der Arbeitsgruppe „Marine Geochemie“ mit ihrem neuen Kernspinresonanz-Spektroskop (NMR) den Inhalt dünner Glasröhrchen. „Uns interessieren organische Moleküle, die im Meerwasser gelöst sind“, erläutert Dr. Phani Vemulapalli, Spezialist für das Verfahren der NMR-Spektroskopie. Das Team analysiert Meerwasserproben aus aller Welt, die jeweils wenige Milligramm dieses organischen Materials enthalten.

Die rätselhafte und noch weitgehend unbekannte Stoffmischung hat vermutlich eine enorme Bedeutung für das Weltklima. Zwar ist die Konzentration organischer Substanzen im Meerwasser winzig, doch aufsummiert über alle Ozeane ergeben sich gewaltige Mengen: „Das gelöste organische Material bildet einen der größten Kohlenstoffspeicher der Erde, etwa in der gleichen Größenordnung wie das CO2 in der Atmosphäre“, berichtet Prof. Dr. Thorsten Dittmar, Leiter der Arbeitsgruppe am Institut für Chemie und Biologie des Meeres. Bislang ist jedoch unbekannt, unter welchen Bedingungen das marine Reservoir wächst oder schrumpft, somit den Gehalt des Treibhausgases CO2 in der Atmosphäre beeinflusst – und wie es insbesondere auf den Klimawandel reagiert. Der Geochemiker erforscht die Mixtur seit langem und hat mit dem NMR-Spektroskop nun ein neues, mächtiges Werkzeug dafür zur Verfügung. 

Eine weltweit einzigartige Kombination

Denn nun kann er gemeinsam mit seinem Team endlich die Struktur der organischen Moleküle aufklären – also herausfinden, wie die Atome in einem Molekül angeordnet und miteinander verbunden sind. „Das Gerät liefert uns einen vollkommen neuen Blickwinkel“, sagt Dittmar. Bereits seit 2010 verfügt das Team über eine andere besonders empfindliche Maschine, ein ultrahochauflösendes Massenspektrometer, mit dem sich die Masse der Moleküle extrem genau ermitteln lässt. Es ist weltweit das einzige seiner Art, das in der Meeresforschung eingesetzt wird. „Anhand des Gewichts können wir die Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Sauerstoffatomen sowie einigen weiteren Spurenelementen in einem Molekül bestimmen“, erläutert Dittmar. Das Massenspektrometer erlaubt es mithin, sogenannte Summenformeln zu ermitteln. 

Rund hunderttausend unterschiedliche Summenformeln haben Dittmar und sein Team in den vergangenen Jahren in Wasserproben aus aller Welt identifiziert. Die Gesamtzahl der gelösten Substanzen könnte jedoch um ein Vielfaches höher sein. Denn für jede Summenformel gibt es unzählige Möglichkeiten, die Atome anzuordnen – ähnlich wie Buchstaben in einem Wort. „Die möglichen Kombinationen gehen schnell in die Millionen, daher kommen wir mit dem Massenspektrometer allein nicht weiter“, betont Dittmar. 

Das NMR-Spektroskop soll nun Klarheit darüber bringen, aus welchen Stoffen die Mixtur im Meer genau besteht – und damit über die Prozesse, die zu ihrem Aufbau und Abbau beitragen. Das Gerät nutzt das Prinzip der magnetischen Kernresonanz: Atomkerne lassen sich in einem starken Magnetfeld durch hochfrequente elektromagnetische Wellen dazu bringen, Radiowellen einer charakteristischen Frequenz abzustrahlen. Diese Frequenz hängt zum einen von der Atomsorte ab – ob es sich beispielsweise um Kohlenstoff oder Wasserstoff handelt. Zum anderen wird sie auch davon beeinflusst, wie die Atome miteinander verbunden sind. Die Spektroskopie liefert also ein Bild davon, aus welchen Atomgruppen ein Molekül besteht. „Um die extrem komplexen NMR-Signale zu entschlüsseln, braucht man neuartige Computerprogramme. Das ist wie ein riesiges dreidimensionales Puzzle“, erklärt Phani Vemulapalli.

Extrem hohe Auflösung nötig

Das NMR-Verfahren wird in der Chemie, Lebensmittelchemie und Medizin bereits standardmäßig eingesetzt. In der Umweltchemie komme es bislang erst vereinzelt zur Anwendung, berichtet Dittmar, weil man es dort mit sehr vielfältigen Stoffgemischen zu tun hat: „Die Signale der einzelnen Moleküle überlappen sich, daher brauchen wir eine extrem hohe Auflösung.“ 

Diese lässt sich mit dem neuen NMR-Gerät erreichen: Es zählt zu den leistungsfähigsten seiner Art. 3,4 Millionen Euro hat es gekostet, gefördert zur Hälfte durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft innerhalb des Großgeräteprogramms, zur Hälfte durch das Land Niedersachsen. Im Inneren der Maschine wird mittels supraleitender Spulen ein extrem starkes Magnetfeld erzeugt, das etwa zehnmal so stark ist wie in einem durchschnittlichen medizinischen Kernspintomographen. Um die Spulen auf minus 269 Grad Celsius zu kühlen – vier Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt – sind mehrere hundert Liter flüssiges Helium nötig, deren Isolierung aufwändig ist: „Die Heliumkammer ist von einer Kammer mit flüssigem Stickstoff umgeben, und ganz außen befindet sich eine Vakuumkammer“, erklärt Vemulapalli. 

Die Kombination aus leistungsfähigem NMR-Spektroskop und ultrahochauflösendem Massenspektrometer sei weltweit einzigartig in den Umweltwissenschaften, „ein Alleinstellungsmerkmal“, betont Dittmar. „Für uns ist es ein Glücksfall, dass uns dieses Messgerät zur Verfügung steht“, ergänzt Vemulapalli, der zuvor am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen im dortigen NMR-Zentrum geforscht hatte und seine Expertise nun in Oldenburg einbringt. Der Zugang zu vergleichbaren Geräten sei begrenzt und zudem kostspielig, was die Arbeit von Dittmars Team auf diesem Gebiet bislang stark eingeschränkt hatte. 

Der Pool organischer Kohlenstoffverbindungen in der Tiefsee ist viel dynamischer als wir dachten.

 

Nun haben die Forschenden unbekanntes Terrain betreten – und in ihren ersten Untersuchungen bereits unerwartete Ergebnisse erzielt: „Der Pool organischer Kohlenstoffverbindungen in der Tiefsee ist viel dynamischer als wir dachten“, sagt Dittmar. Bisherige Untersuchungen mit dem Massenspektrometer hatten darauf hingedeutet, dass das organische Material in verschiedenen Meeresregionen mehrere tausend Jahre alt und weltweit sehr ähnlich zusammengesetzt ist. Daraus hatten die Forschenden geschlossen, dass sich der Kohlenstoff-Pool im Meer nur sehr langsam verändert. „Die NMR-Messungen haben aber gezeigt, dass in Proben aus verschiedenen Meeresgebieten sehr unterschiedliche Moleküle zu finden sind, auch wenn diese die gleiche Summenformel haben“, berichtet Dittmar. Seine Vermutung ist nun, dass Mikroben das Gemisch anders als gedacht durchaus als Nahrung nutzen, dass sich aber Zuwachs und Abbau in etwa im Gleichgewicht befinden. Die Gesamtmenge bleibt mithin gleich – „wie bei einer Badewanne, aus der unten Wasser abfließt, während oben die gleiche Menge hineinströmt.“

Für Modelle des globalen Kohlenstoffkreislaufs, wie sie die Biogeochemikerin Prof. Dr. Sinikka Lennartz vom ICBM durchführt, ist das eine wichtige Information: Denn davon, ob sich das dynamische Gleichgewicht auf der sich erwärmenden Erde verschiebt, hängt einiges ab. „Die im Meer gespeicherte Menge Kohlenstoff könnte zunehmen, aber auch abnehmen“, erläutert Dittmar. Lennartz hat das dynamische Gleichgewicht bereits in ihr Ozeanmodell eingebaut. Mit Ergebnissen ist demnächst zu rechnen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Fassade ist vor dem Himmel zu sehen, von links ragen ein paar Äste ins Bild.
Gebäude Top-Thema Meereswissenschaften

Neubau des Oldenburger Helmholtz-Instituts eingeweiht

Modernste Arbeitsbedingungen für die marine Biodiversitätsforschung: Das bietet der Neubau des Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine…

mehr
Andrea Hildebrandt und Daniel Berg vor einem Bücherregal.
Exzellenzstrategie Universitätsmedizin Top-Thema Hörforschung

„Mit gutem Beispiel voran”

Der Exzellenzcluster Hearing4all hat Studiendaten von fast 600 Probandinnen und Probanden öffentlich zugänglich gemacht. Andrea Hildebrandt und Daniel…

mehr
Satellitenbild der beiden Wirbelstürme kurz vor der Verschmelzung. Die Konturen von Australien und Indonesien sind zur Orientierung zu erkennen.
Forschung Top-Thema Meereswissenschaften

Was im Ozean passiert, wenn zwei Wirbelstürme zusammenstoßen

Im April 2021 begegneten sich die beiden tropischen Wirbelstürme Seroja und Odette im Indischen Ozean. Wie sich dieses seltene Phänomen auf das Meer…

mehr
Presse & Kommunikation (Stand: 07.02.2025)  Kurz-URL:Shortlink: https://uol.de/p82n10502
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page