• Probennahme mit dem Greifarm eines Tauchroboters am Meeresboden.

    Die großen Herausforderungen der Klimakrise machen fachübergreifendes Arbeiten immer wichtiger. Die Universitäten Oldenburg und Bremen bündeln ihre Kompetenzen, um an den wichtigen Zukunftsfragen zu arbeiten. Das Foto zeigt eine Probennahme mit dem Tauchroboter MARUM-Quest in 520 Meter Wassertiefe am Azoren-Plateau. MARUM − Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen

  • Personen, schmidt

    Der Biodiversitätsexperte Helmut Hillebrand ist Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) sowie seit 2008 Leiter der Arbeitsgruppe Planktologie am Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM). Universität Oldenburg / Daniel Schmidt

  • Heiko Pälike leitet am Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen - kurz MARUM - die Arbeitsgruppe Paläozeanographie. Sein Team betrachtet den Klimawandel in Zeiträumen von Jahrtausenden bis Jahrmillionen. Universität Bremen / Annemarie Popp

  • Gesine Mollenhauer fungiert am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung als stellvertretende Leiterin der Sektion "Marine Geochemie". Sie hat zudem die wissenschaftliche Leitung für das 14C-Labor "MICADAS" inne. Kerstin Rolfes

Dem Meer auf den Grund gehen

Meeresforschende aus Bremen und Oldenburg arbeiten zusammen an wichtigen Zukunftsfragen. Um die Konsequenzen der Klimaerwärmung für die Meeresumwelt weiter zu ergründen, haben sie sich gemeinsam in der Exzellenzstrategie beworben. 

An den Universitäten Bremen und Oldenburg ergründen Forschende in unterschiedlichen Disziplinen die Folgen der Klimaerwärmung für marine Ökosysteme. Der Exzellenzcluster „Der Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“ am Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) hat gemeinsam mit der Universität Oldenburg, die bislang schon Partnerin im Exzellenzcluster ist, einen Folgeantrag gestellt. Die beiden Hochschulen wollen so ihre Stärken weiter bündeln. Drei Forschende berichten im Interview über ihre Zusammenarbeit. 

Die Zusammenarbeit zwischen Bremen und Oldenburg gibt es schon länger, richtig?  

Helmut Hillebrand: Ja, genau. Im jetzigen Cluster sind bereits zwei der 25 Hauptantragstellenden aus Oldenburg dabei, Thorsten Dittmar und ich. 

Heiko Pälike: Diese Zusammenarbeit funktioniert sehr gut und beinhaltet auch die Einbindung von Wissenschaftler*innen in der frühen Karrierephase. Da gibt es eine sehr gute Vernetzung.

Gesine Mollenhauer: Auch die Zusammenarbeit zwischen Universität Bremen und dem Alfred-Wegener-Institut ist sehr gut etabliert. AWI und Uni Bremen haben bereits in verschiedenen Vorgängerprojekten zusammengearbeitet. Hier besteht eine lange und vertrauensvolle Partnerschaft. Zwischen AWI und Uni Oldenburg gibt es seit einigen Jahren ebenfalls eine enge Zusammenarbeit durch das HIFMB, das Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg, aber auch darüber hinaus.

Bei welchen Themen hat sich die Zusammenarbeit bereits bewährt? 

Pälike: Wir haben schon in der bisherigen Phase des Clusters eng im Bereich der Interaktion zwischen Paläoklima und Paläoökosystemen sowie Paläobiodiversität zusammengearbeitet. Ein sehr spannendes Thema ist die Erkenntnis, dass Lebewesen im Ozean aktiv an Stoffkreisläufen und klimarelevanten Prozessen beteiligt sind. Außerdem bieten die Sedimente des Ozeanbodens eine Möglichkeit, gleichzeitige Veränderungen der Lebensgemeinschaften und der Umweltbedingungen aufzuzeichnen, die wir daraus rekonstruieren können, und zwar über sehr lange Zeiträume. Viele gekoppelte Einflüsse und Änderungen sind erst über längere Zeiträume über die gesamte geographische Breite erkennbar und können dann in unser Prozessverständnis integriert werden. 

Mollenhauer: Im laufenden Exzellenzcluster arbeiten wir an der Altersdatierung von gelöstem organischem Kohlenstoff, wobei die Datierung mit der 14C-Methode meine Expertise ist, und die Oldenburger Kolleg*innen die molekulare Zusammensetzung des gelösten organischen Materials (englisch dissolved organic matter – DOM) untersuchen. Gemeinsam können Alter und Zusammensetzung Aufschluss über Umwandlungsprozesse im Ozean und die Rolle des DOM im globalen Kohlenstoffkreislauf liefern. Aus dieser Zusammenarbeit sind weitere Kooperationsprojekte entstanden, für die wir uns derzeit um Förderung bemühen. 

Hillebrand: Bei mir kam die Interaktion durch meine Forschung zum menschlichen Einfluss auf die biologische Vielfalt zustande. Neben dem Cluster beinhaltete dies ein gemeinsam gefördertes Postdoc-Projekt aus Mitteln der Universität Oldenburg und ein erfolgreich beim Bundesministerium für Bildung und Forschung eingeworbenes Projekt zum Schutz dieser Vielfalt mit vier Antragstellenden aus Oldenburg und zwei aus Bremen, wo AGELESS, so der Name, auch koordiniert wird. Eine weitere Zusammenarbeit ergab sich aus unserer gemeinsamen Forschung zu Tipping Points, also Kipppunkten im Klimasystem, die uns inspirierte, ein Projekt von fünf Postdocs aus Mitteln des HIFMB zu diesem Thema auszuloben. Diese Postdoc-Kohorte wird im Januar 2025 beginnen, und eine Postdoktorandin wird sowohl im MARUM als auch am HIFMB betreut werden. 

Wie ergänzen Sie einander? 

Pälike: Für mich als Geowissenschaftler ist es sehr vorteilhaft, Kolleg*innen innerhalb des Clusters als Expert*innen für detaillierte biologische Netzwerke und gekoppelte Ökosysteme ansprechen zu können. Die Methoden und theoretischen Herausforderungen der Gebiete Erdsystem- und Ökosystemforschung sind in gewisser Weise ähnlich: In beiden Fällen versuchen wir, komplexe Rückkopplungsprozesse vor dem Hintergrund von Zeitreihen und Beobachtungen einzuordnen und letztendlich die Auswirkungen auf unsere Umwelt zu verstehen. 

Mollenhauer: Wir sind Experten für sich jeweils ergänzende Methoden, deren gemeinsame Anwendung beispielsweise an denselben Proben neue Erkenntnisse zum Umsatz von DOM im Ozean erlauben. Unsere jeweiligen Arbeitsgruppen betreiben aufwändige analytische Labore, die mit hochempfindlichen Geräten ausgestattet sind. Daher ist eine Kooperation für beide Seiten enorm gewinnbringend, da kein Institut allein alle Methoden vorhalten kann. 

Hillebrand: Innerhalb des Clusters arbeite ich vor allem mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen, die sich mit Mikrofossilien beschäftigen, also den Ablagerungen von Planktonorganismen im Sediment des Ozeanbodens. Das größte Problem bei der Analyse und Bewertung der derzeitigen Biodiversitätsveränderung ist, dass wir die Basislinie nicht kennen. Wie sah die biologische Vielfalt vor der Industrialisierung aus? Bis auf wenige Ausnahmen haben wir kaum Datensätze, die mehr als eine Handvoll Jahrzehnte zurückreichen. Indem wir nun die paläobiologische Information aus dem Blickwinkel der Biodiversitätsforschung analysieren, halten wir – zumindest für einige Gruppen des marinen Lebens – eine Zeitmaschine zum Betrachten dieser Baseline in den Händen.

Was haben Sie schon herausgefunden? 

Pälike: Clusterwissenschaftler*innen haben es mit Forschungspartnern geschafft, die Klimahistorie des Weltozeans über die vergangenen 66 Millionen Jahre im Detail und mit sehr guter Datierung zu erstellen. Dies ist ein Grundbaustein, in der nächsten Phase dieses einzigartige Archiv daraufhin zu untersuchen, inwieweit biologische und chemisch/physikalische Prozesse im Erdsystem interagieren und insbesondere, inwieweit frühere Phasen der Erderwärmung zu Veränderungen führen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass es immer wieder Schwellenwerte an bestimmten Übergängen in der Vergangenheit gegeben hat. Können wir aus unserem Datenschatz die Extreme, Variabilität und nicht-lineare Übergänge identifizieren und global erkennen? Hierzu haben wir im Cluster auch neue Modellierungsmethoden entwickelt, die zum ersten Mal sehr langsame Prozesse in der Erdkruste mit viel schnelleren Prozessen im Ozeanboden und Ozean selber zusammenbringen. Diese Erkenntnisse und Methoden gab es vor sieben Jahren nicht, sind aber extrem wichtige Voraussetzungen, um in der nächsten Clusterphase ein vollständiges Prozessverständnis zu entwickeln. Das könnte nicht nur das heutige System Erde wiedergeben, sondern auch Aussagen über wärmere Zukunftsszenarien zulassen.

Mollenhauer: Wir haben uns zunächst darauf konzentriert, die Empfindlichkeit der Methodik gut zu beschreiben. Bei der 14C-Datierung ist vor allem eine sehr gute Bestimmung des Hintergrundwertes wichtig, da nur so Messwerte gut interpretiert werden können. Wir konnten zudem durch Messungen großer Probensätze zeigen, dass sich DOM weitgehend konservativ im Ozean verhält, das heißt, dass in größeren Wassertiefen vor allem die Ozeanströmungen die Konzentration, das Alter und die Zusammensetzung des DOM bestimmen. Allerdings konnten wir auch bislang wenig bekannte Prozesse identifizieren. Beispielsweise haben wir herausgefunden, dass im Nordostatlantik frisches DOM schnell den Kontinentalhang herab in die Tiefsee exportiert wird. 

Hillebrand: Wir konnten anhand der Mikrofossilien zeigen, dass sich Lebensgemeinschaften bereits mit dem sich ändernden Klima hin zu vormals kälteren Regionen verschoben haben. Die aktuelle Veränderungsrate der Lebensgemeinschaften ist deutlich höher, als wir aufgrund der vergangenen Jahrtausende ableiten würden. Dies ist einer der deutlichsten menschlichen Fingerabdrücke auf das Leben im Meer, die bisher wissenschaftlich gezeigt wurden. Wir haben aber auch gezeigt, dass diese Veränderung der Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften nicht parallel zur Erwärmung verläuft, was die Vorhersage künftiger Klimafolgen deutlich schwieriger macht.

Was wird sich künftig am Fokus des bisherigen Clusters ändern? 

Pälike: Aufgrund unserer wissenschaftlichen Ergebnisse und den in der ersten Phase neu entwickelten Methoden und Daten haben wir jetzt die Möglichkeit, neue Fragestellungen anzugehen. Dies betrifft zum Beispiel das Thema der Speicherung von Kohlenstoff in den Ozeanboden und damit die Frage, wieviel und wie schnell Kohlendioxid aus der Atmosphäre über den Ozean entfernt wird, und inwieweit biologische Prozesse diese sogenannte biologische Kohlenstoffpumpe unter sich ändernden Umweltbedingungen beeinflussen. Wenn sich der Ozean weiter erwärmt, verändern sich dann Stärke und Effizienz der biologischen Pumpe? Wie schnell können sich Organismen an Temperatur und Ozeanzirkulationsmuster anpassen, und welchen Effekt haben diese Anpassungen auf das Klima, und was können wir daraus für Zukunftsszenarien ableiten? Wir haben auch einen verstärkten Fokus auf Variabilität und Extreme von marinen Umweltbedingungen sowie mögliche Kipppunkte und Schwellenwerte im Erdsystem. 

Warum wird es immer wichtiger, über Universitäts- und Fachgrenzen hinaus zusammenzuarbeiten? 

Hillebrand: Die Frage, wie sich Temperaturveränderung auf die Eigenschaften von Lebensgemeinschaften auswirken, kann ich nicht mehr allein aus biologischer Sicht beantworten. Allein um realistische Abschätzungen der Temperaturvariabilitäten zu bekommen, brauche ich geochemische, physikalische und ozeanographische Informationen, an die ich mit meiner ökologischen Fragestellung andocken kann, am besten inklusive weiterer Zusammenarbeit mit Datenanalyse und Modellierung. Die gesellschaftlichen Fragen an die Wissenschaft sind so groß geworden, dass eine Zusammenarbeit unabdingbar ist. 

Mollenhauer: Die großen Herausforderungen, die die Klima- und Biodiversitätskrise an die Menschheit stellen, machen fachübergreifendes Arbeiten immer wichtiger, denn die anthropogenen Effekte beeinflussen sowohl biologische Prozesse als auch biogeochemische Interaktionen und physikalische Vorgänge wie die Ozeanzirkulation. Alle diese Veränderungen haben wiederum Wechselwirkungen. Daher kann nur eine gemeinsame Betrachtung zu einem Verständnis unseres Klimasystems führen, das wirksames Handeln zur Abmilderung der globalen Krisen ermöglicht.

Interview: Christina Selzer, Universität Bremen

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