Hürden überwinden, die Migrantinnen und Migranten den Einstieg in pädagogische Berufe erschweren – das ist das Ziel des neuen Pädagogik-Kollegs. Welche Unterstützung hilft, haben die Projektverantwortlichen bereits erfahren.
Mit dem Kontaktstudium „Pädagogische Kompetenz in der Migrationsgesellschaft“ begleitet die Universität Oldenburg bereits seit 20 Jahren angehende und ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland dabei, auch in Deutschland Fuß in pädagogischen Berufen zu fassen. Ihr Engagement auf diesem Gebiet weitet die Universität jetzt aus und bündelt es unter dem Dach eines vom Deutschen Akademischen Austauschdienst geförderten Pädagogik-Kollegs. Ayça Polat, Professorin für Sozialpädagogik in der Migrationsgesellschaft, und die Pädagogin Iris Gereke leiten das neue Kolleg. Im Interview berichten sie, welche neuen Angebote in Vorbereitung sind.
Das „Pädagogik-Kolleg“ wird die zentrale Koordinierungs- und Anlaufstelle für die Qualifizierungsangebote sein. Was versprechen Sie sich davon?
Ayça Polat: Im „Pädagogik-Kolleg“ wird es eine Stelle geben, die extra dafür ausgewiesen ist, ein Netzwerk aus Ministerien, Trägereinrichtungen, Beratungsstellen und Akteurinnen und Akteuren aus der Praxis aufzubauen und zu pflegen. Das ist ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit.
Iris Gereke: Oldenburg ist der naheliegende und ideale Standort dafür. Die Universität ist seit mindestens 30 Jahren eine der führenden Einrichtungen für Migrationspädagogik in Deutschland – und das stets mit starkem Praxisbezug. Hinzu kommen die lange Tradition der Lehrkräftebildung und der pädagogische Schwerpunkt. Zu guter Letzt haben wir mit dem Center for Migration, Education and Cultural Studies, dem C3L – Center für lebenslanges Lernen und dem Didaktischen Zentrum eine hervorragende Infrastruktur für unsere Angebote.
Wie viele Menschen leben in Deutschland, die einen ausländischen und von der Bundesrepublik nicht anerkannten Studienabschluss oder eine Ausbildung im pädagogischen Bereich haben?
Polat: Genaue Zahlen gibt es dazu leider nicht. Das BAMF schätzte im Jahr 2021 indes, dass bei einer großen Anzahl der Erzieherinnen und Erzieher (79 Prozent), Lehrerkräfte (85 Prozent) und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter (58 Prozent) der ausländische Abschluss nicht als gleichwertig anerkannt worden ist. Das ist besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass im vergangenen Jahr nach Zahlen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung in Deutschland mehr als fünf von zehn Stellen im Bereich „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“ nicht besetzt werden konnten.
Menschen, die im pädagogischen Feld arbeiten und selbst eine Migrationsgeschichte haben, genießen bei anderen Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund oft einen Vertrauensvorschuss durch die geteilten Erfahrungen.
Welches Potenzial sehen Sie für unser Bildungswesen?
Polat: Menschen, die im pädagogischen Feld arbeiten und selbst eine Migrationsgeschichte haben, genießen bei anderen Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund oft einen Vertrauensvorschuss durch die geteilten Erfahrungen. Hinzu kommen ihre Sprachkenntnisse, etwa Arabisch oder Türkisch, die sehr hilfreich sind. Zudem sind beispielsweise Lehrkräfte, die aus einem anderen Land nach Deutschland eingewandert sind, oft Rollenvorbilder für Jugendliche aus migrantischen Familien.
Das bereits etablierte Kontaktstudium „Pädagogische Kompetenz in der Migrationsgesellschaft“ bleibt erhalten und wird künftig an das Pädagogik-Kolleg angedockt sein. An welche Menschen richtet sich diese Weiterbildung?
Gereke: Nahezu alle Teilnehmenden der Weiterbildung haben in ihrem Herkunftsland ein Studium abgeschlossen oder zumindest aufgenommen, bevor sie nach Deutschland gekommen sind. Viele verfügen zudem über Berufserfahrung im pädagogischen Bereich. Wir haben aber auch einige Teilnehmende, die sich auf einem für sie völlig neuen Terrain bewegen. Von Orchesterdirigentinnen über Anwälte bis hin zu Universitätsdozenten sind diverse Berufe vertreten. Alle eint, in einem pädagogischen Beruf (weiter-)arbeiten zu wollen.
Polat: Nach Abschluss des Kontaktstudiums gehen einige direkt in den Beruf. Andere – und das sind die meisten – absolvieren ein Studium der Pädagogik oder in einem verwandten Fachgebiet. Das ist zum Beispiel oft der Studiengang „Pädagogisches Handeln in der Migrationsgesellschaft“ bei uns an der Uni. Die Weiterbildung bietet also eindeutige Chancen und Wege für Migrantinnen und Migranten, die Qualifikationen mitbringen und in Deutschland gerne im pädagogischen Bereich arbeiten möchten.
Was ist das Besondere am Kontaktstudium?
Gereke: Das Angebot ist bundesweit beinahe einmalig – und die Nachfrage groß. Bemerkenswert ist auch die sehr niedrige Abbruchquote von unter zehn Prozent. Wir führen dies nicht nur auf die Inhalte der Weiterbildung und eine konsequent anerkennende Haltung zurück, sondern auch darauf, dass hier Menschen mit ähnlichen Erfahrungen und aus vergleichbaren Lebensrealitäten zusammenkommen und sich gegenseitig auffangen, wenn es mal nicht so gut läuft. Von dem besonderen Netzwerk, das dabei entsteht, profitieren die Teilnehmenden oft noch Jahre später im Berufsleben.
Unter dem Dach des Pädagogik-Kollegs startet ab 2025 ein weiteres Angebot – das Ergänzungsprogramm „Grundlagen des Sozialstaats, Sozial- und Familienrechts“. Was hat es damit auf sich?
Polat: Es geht hier um die Vermittlung juristischer Grundlagen für die pädagogische Arbeit in Deutschland. Das spielt vor allem im Bereich Soziale Arbeit eine wichtige Rolle. Wir haben beobachtet, dass entsprechende Studienmodule mit ihren komplexen juristischen Sachverhalten und der bürokratischen Sprache – die ja schon für viele Deutsche kaum verständlich ist – für Migrantinnen und Migranten mitunter eine große Hürde darstellen. Nicht wenige scheitern in Anpassungslehrgängen zur Anerkennung eines pädagogischen Berufs und in Studiengängen der Sozialen Arbeit sogar daran. Mit dem Ergänzungsprogramm wollen wir den Einstieg erleichtern.
Gereke: Denn nicht selten fehlt ausländischen Studierenden für einen bei uns anerkannten Abschluss nur noch ein Rechtsmodul. An dem Punkt setzen wir an. Dazu sprechen wir mit den Hochschulen der Region die Inhalte unseres Angebots ab. Unser Ziel ist es, dass das Programm schließlich auch als Rechtsmodul für internationale Pädagogik-Studierende anerkannt wird.
Wir richten daher den Fokus nicht nur auf Akademikerinnen und Akademiker aus dem Ausland […], sondern auch auf Akteurinnen und Akteure in der Verwaltung, in Jobcentern sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Geplant ist auch eine zentrale fachspezifische Beratungsstelle für Niedersachsen und Bremen unter dem organisatorischen Dach des Pädagogik-Kollegs.
Polat: Aus der Forschung ist bekannt, dass die ersten drei Jahre für den beruflichen Einstieg von Migranten und Migrantinnen von hoher Relevanz sind. Je länger die Anerkennungsprozesse bzw. die Qualifizierung dauert, desto schwieriger gestaltet sich der Einstieg in den qualifizierten Arbeitsmarkt. Durch eine bessere und frühzeitige Beratung erhoffen wir uns, Prozesse abzukürzen und unnötige Wartezeiten zu ersparen. Alle Beteiligten ächzen unter der großen bürokratischen Last, die mit solchen Anerkennungsprozessen einhergeht. Viele Migrantinnen und Migranten machen mit der deutschen Verwaltung schlechte Erfahrungen, etwa wenn sie im Jobcenter vorsprechen und ihnen kaum geholfen werden kann oder man sie dort in Jobs vermittelt, für die sie überqualifiziert sind.
Gereke: Wir richten daher den Fokus nicht nur auf Akademikerinnen und Akademiker aus dem Ausland, die sich bei uns in Deutschland für einen Job im pädagogischen Umfeld interessieren, sondern auch auf Akteurinnen und Akteure in der Verwaltung, in Jobcentern sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Hier besteht oft großer Beratungsbedarf, wenn es um die Anerkennung ausländischer Qualifikationen geht. Damit sind Fragen verbunden wie „Welche Qualifikationen bringen Migrantinnen und Migranten mit?“, „Wie können wir diese einschätzen?“ oder „Wie können wir ihnen helfen, einen qualifikationsgerechten Arbeitsplatz zu finden?“. Negative Erlebnisse können zu einem Gefühl der Unsicherheit oder Minderwertigkeit beitragen und entmutigend wirken. Dem möchten wir mit der fachspezifischen Beratungsstelle und den weiteren Elementen des Pädagogik-Kollegs entgegenwirken und können dabei auf langjährige Erfahrungen zurückgreifen.
Interview: Henning Kulbarsch