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Über das Projekt REENEA

„Ein Anschub genügt nicht” – Energiewende als sozialer Prozess

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Prof. Dr. Jannika Mattes

Institut für Sozialwissenschaften

  • Das Bild zeigt eine Gruppe von Windrädern. Im Vordergrund befindet sich ein Dorf. Die Windräder sind groß und überragen die Szenerie. Der Himmel ist blau.

    An vielen Stellen in Deutschland entstanden in den vergangenen Jahren Windparks, zum Teil auch in der Nähe von Siedlungen. Der hier abgebildete Ort Mörsdorf in Rheinland-Pfalz wurde durch die Windmühlen sehr wohlhabend. AdobeStock / leesle

  • Das Bild zeigt Jannika Mattes. Sie lächelt in die Kamera. Im Hintergrund sind einige Bücher zu erkennen.

    Die Sozialwissenschaftlerin Jannika Mattes forscht zu den gesellschaftlichen und politischen Aspekten der Energiewende. Daniel Clören / Universität Oldenburg

Fragile Energiewende

Ohne Akzeptanz vor Ort kann die Energiewende nicht gelingen. Die Sozialwissenschaftlerin Jannika Mattes hat in verschiedenen Regionen erforscht, welche Bedingungen zum Erfolg von Windenergieprojekten führen.

Wo ein Windpark in Planung ist, regt sich oft Protest. Dabei kann ohne Akzeptanz vor Ort die Energiewende nicht gelingen. Die Sozialwissenschaftlerin Jannika Mattes hat in verschiedenen Regionen erforscht, welche Bedingungen zum Erfolg von Windenergieprojekten führen.

 

Gerade auf lokaler Ebene entscheide sich, wie gut die Energiewende tatsächlich gelingt, ist Prof. Dr. Jannika Mattes überzeugt. Fünf Jahre lang hat die Sozialwissenschaftlerin mit einer interdisziplinären Emmy Noether-Forschungsgruppe im Projekt „Regionaler Energiewandel: Die sozialen Aushandlungs-, Normierungs- und Lernprozesse im Windenergiesektor“ (REENEA) zum regionalen Umgang mit der Energiewende gearbeitet und kürzlich der DFG ihren Abschlussbericht vorgelegt. „Die Energiewende erfordert es, dass heute in viel mehr Regionen als früher Strom produziert wird“, sagt Mattes. Denn wo früher in nur wenigen Kommunen Kraftwerke standen, erzeugen heute neben Solaranlagen und Biogaskraftwerken insbesondere Windparks Strom dezentral in Gemeinden quer durch Deutschland. Mattes und ihr Team haben daher in sechs Regionen – Oldenburg, Hamburg, Magdeburg, Nordhessen, Nordfriesland und in der Uckermark – jeweils 25 bis 30 Interviews mit Menschen geführt, die an Windkraft-Projekten beteiligt sind. Dazu gehören etwa Unternehmerinnen, Kommunalpolitiker und Mitglieder von Bürgerinitiativen. Außerdem haben die Forschenden vor Ort Beobachtungen gemacht, Dokumente analysiert und auf überregionaler Ebene mit Akteurinnen und Akteuren in Berlin, Brüssel und Hannover gesprochen. Die sechs qualitativen Einzelfallstudien wurden schließlich miteinander verglichen: Wie prägen normative Erwartungen, regionale Debatten und lokale Akteursnetzwerke die Umsetzung von Windenergieprojekten in der jeweiligen Region?

Veränderte Rahmenbedingungen haben Folgen

„Der Prozess der Energiewende bleibt fragil“, resümiert Mattes und veranschaulicht die Probleme anhand von drei Beispielen. So könne erstens jede Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene die regionalen Planungen massiv beeinflussen. Als etwa 2017 feste Einspeisevergütungen für Windenergie den Ausschreibungen weichen mussten, konnten viele kleine regionale Windkraft-Projektierer nicht mehr mithalten – sie mussten den großen überregionalen Anbietern Platz machen. Der zweite Aspekt betrifft die Wasserstoffwirtschaft. Von Entscheidungsträgern in der Politik gepriesen, leiden viele Unternehmen in Deutschland jedoch unter unklaren Rahmenbedingungen. Hersteller, die für die Beschleunigung der Energiewende eigentlich in die Kopplung der bisher noch überwiegend getrennten Sektoren Wärme, Mobilität und Elektrizität investieren müssten, wandern stattdessen ins Ausland ab oder orientieren anderweitig um, heißt es in der Studie weiter. Drittens kann der Ausbau erneuerbarer Energien ins Stocken geraten, wenn leicht plan- und nutzbare Flächen wie große Wiesenlandschaften fehlen. „In vielen Regionen rücken neue Windparks näher an Städte heran oder werden in Wäldern errichtet. Doch diese Flächen sind umstritten“, sagt Mattes. Dies führe unweigerlich zu sozialen Konflikten vor Ort und zur Frage, wie Akzeptanz für solche Projekte entstehen kann.

Die Frage, inwieweit Menschen Windkraftanlagen in ihrer Gemeinde akzeptieren, spielte in den Untersuchungen immer wieder eine große Rolle. Zur Legitimierung der Anlagen sollen eigentlich Naturschutz-, Lärm-, Schattenwurf- und andere Gutachten beitragen. Doch immer mehr Menschen genügen diese Gutachten nicht als Basis, um die Anlagen zu akzeptieren. Wie aber lassen sich Kritiker überzeugen?

Bürgerwindparks, Gewerbesteuern und Tansparenz sind zentral

Die Ergebnisse der Studie geben auch hierüber Aufschluss, auch wenn Mattes betont, „kein Patentrezept“ zu haben. So sei lokale Wertschöpfung etwa durch vergünstigte Bürgerstromtarife, Bürgerwindparks und Ähnliches fundamental. Auch die Gewerbesteuer habe großen Einfluss auf die Akzeptanz: In Bundesländern, in denen die Standortkommunen einen höheren Steueranteil am mit Windkraftanlagen erwirtschafteten Gewinn erhalten, akzeptierten die Leute die Anlagen eher als in Ländern, wo nur ein kleiner Teil der Steuer vor Ort bleibt. Zudem vertrauten viele Menschen lokalen Betreiberfirmen und Projektentwicklungsbüros mehr als Unternehmen von auswärts. „Wenn die Leute sagen, ‚das ist einer von uns‘, ist die Chance höher, dass ein Windkraftprojekt erfolgreich umgesetzt wird“, so Mattes. Zu guter Letzt seien transparente Prozesse und echte Dialogbereitschaft bei der Planung vorteilhaft, weil die Bürgerinnen und Bürger sich und ihre Interessen dann eher wahrgenommen fühlen. Diese Grundsätze gelten laut Studie regionsübergreifend, auch wenn sich Akzeptanz nicht mechanisch „herstellen“ lässt – sie speist sich aus einer Vielzahl an Faktoren, und jede Region weist dabei eigene Dynamiken auf.

Ihre Arbeit zu diesem Schwerpunkt setzt Mattes fort. Im Folgeprojekt WindGISKI etwa erforscht sie soziale Dynamiken und Konflikte, die entstehen, wenn Menschen um die Legitimität von Windenergiestandorten ringen. Auch an Projekten des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen (EFZN) wird Mattes beteiligt sein. Hier widmet sie sich unter anderem sozialwissenschaftlichen Fragen rund um den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft – und damit einer weiteren Herkules-Aufgabe, vor der die Gesellschaft bei der Umsetzung der Energiewende steht.

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