In den Ozeanen sammelt sich immer mehr Plastikmüll an. Der Fernerkundungsspezialist Shungudzemwoyo Garaba vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres entwickelt Verfahren, um den langlebigen Müll aufzuspüren, zu identifizieren und zu überwachen.
Herr Dr. Garaba, warum ist Plastikmüll im Meer ein Problem?
Kunststoffe sind wichtig für unser tägliches Leben, aber sie sind auch gefährlich. Einige Materialien können sehr lange in der Umwelt bleiben. Eine Plastikflasche braucht 450 Jahre, um sich zu zersetzen, ein Styroporbecher 50 Jahre. Abfälle im Meer landen oft im Nahrungsnetz, sie können für Meeresorganismen giftig sein oder das Hormonsystem stören. Die Verbrennung von Plastik trägt außerdem zur Versauerung der Meere und zur Überdüngung bei und verschlechtert die Wasserqualität. Im Jahr 2019 wurden die jährlichen Kosten für die Plastikverschmutzung der Ozeane auf rund 1,5 Billionen Dollar geschätzt.
Wie kommen Plastikteile überhaupt ins Meer – und was passiert dort mit ihnen?
Kleinere Partikel gelangen mit den Flüssen ins Meer, wo sie von Tieren mit Nahrung verwechselt werden können. Größere Teile stammen oft von Stränden oder von Schiffen. Durch Bewuchs mit Algen, Mikroben oder Tieren werden einige Teile schwerer und sinken. So landen die Kunststoffe entweder auf dem Meeresboden, im Magen von Fischen, Meeressäugern oder anderen Organismen, oder sie sammeln sich in ozeanischen Wirbeln an.
Warum geschieht das?
Die Meeresströmungen bilden in allen Ozeanbecken große, kreisförmige Systeme. Der Plastikmüll sammelt sich in relativ ruhigen Regionen im Zentrum dieser Wirbel. Solche Gebiete gibt es in der Mitte des Nordpazifiks, des Südpazifiks, des Nordatlantiks oder des Mittelmeers. Erhebungen zufolge scheint die Plastikkonzentration im Nordpazifik am größten zu sein. Dieses Gebiet zwischen Hawaii und Kalifornien ist auch als Großer Pazifischer Müllstrudel oder Great Pacific Garbage Patch bekannt. Er ist dreimal so groß wie Frankreich.
Wie viel Plastik findet man in dieser Region?
Meist bildet der Müll keine großen, schwimmenden Inseln. Es ist tatsächlich gar nicht so einfach, große Plastikansammlungen zu finden. Meistens entdeckt man nur verstreute Einzelteile. Viele davon sind verlorene Fischernetze, so genannte Geisternetze, in denen im Laufe der Zeit andere Gegenstände hängenbleiben. Manchmal verfangen sich auch große Säugetiere wie Robben in diesen Netzen.
Wie groß ist das Problem in unserer Nachbarschaft, insbesondere in der Nord- und Ostsee?
In diesen Gewässern wird der Plastikmüll bislang kaum überwacht. Ich vermute, dass vor allem kleinere Plastikteile ins Meer gelangen, vielleicht von der Größe eines Fingernagels oder kleiner. Die einzige Möglichkeit, um herauszufinden, wie groß das Problem ist, wäre eine koordinierte Säuberungsaktion in der Ost- und Nordsee, bei der die Plastikmengen bestimmt werden. Das wäre ein erster Schritt.
Wie kann die Überwachung des Mülls mit Drohnen, Flugzeugen oder Satelliten dazu beitragen, das Problem zu lösen?
Anhand der Fernerkundungsdaten kann man feststellen, wo sich große Mengen an Müll befinden. Ich arbeite mit The Ocean Cleanup zusammen, einer Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Plastikmüll mit innovativen Technologien zu sammeln. Meine Partner dort stellen mir Fernerkundungsdaten zur Verfügung, die ich auswerte. Mein Ziel ist es, bessere Verfahren zu entwickeln, um große Plastikansammlungen zu lokalisieren. Sobald solche Fernerkundungsmethoden einsatzbereit sind, sollten Schiffe wie die von The Ocean Cleanup wesentlich schneller zum Einsatzort gelangen.
Wie funktionieren diese Verfahren?
Plastik lässt sich anhand seiner optischen Eigenschaften identifizieren. Im ersten Schritt verwenden wir normale Kameras. Damit können wir sehen: Sind Kunststoffteile im Meer vorhanden oder nicht? Welche Form haben sie, wie groß sind sie? Man kann Plastik aber auch sehr gut mit Licht im nahen Infrarotbereich aufspüren. Das liegt daran, dass infrarotes Licht, das auf die Meeresoberfläche trifft, fast vollständig vom Wasser absorbiert wird. Schaumkronen oder Meeresschaum reflektieren zwar etwas Infrarotstrahlung, aber im Allgemeinen geht das Signal gegen Null. Kunststoffe hingegen haben eine sehr ausgeprägte Charakteristik im Infraroten. Wir können von der Meeresoberfläche reflektierte Signale mit speziellen Geräten auf Satelliten oder Drohnen auffangen und sie anschließend nutzen, um Müll von Meerwasser zu unterscheiden. Es ist auch möglich, verschiedene Arten von Kunststoffen zu erkennen. Ein ähnlicher Ansatz wird bereits in Recyclingzentren verwendet, aber für Messungen auf dem offenen Meer müssen wir diese Methoden etwas abwandeln.
Woran arbeiten Sie derzeit?
Das Hauptziel meiner Arbeit ist es, die Methoden zur Erkennung, Identifizierung, Quantifizierung und Überwachung von Meeresmüll zu verbessern. Ich bin an mehreren Projekten beteiligt, die untersuchen, inwieweit sich dafür Technologien nutzen lassen, die es bereits gibt – etwa Satelliten, die bereits um die Erde kreisen. Die Raumfahrtbehörden ESA und NASA fördern Arbeiten, die das Potential dieser Umweltsatelliten untersuchen. Zusammen mit Kollegen habe ich vor kurzem eine Studie veröffentlicht, die das Potenzial von Satellitendaten zur Beobachtung von Kunststoffen im offenen Meer untersucht. Es ist die erste Arbeit dieser Art. Wir untersuchen Anomalien des Signals, das von der Meeresoberfläche zu Satelliten reflektiert wird. Ziel ist es, den europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-2 künftig für die Kartierung der Müllteppiche im nordpazifischen Müllstrudel zu verwenden. Seit 2021 liefert dieser Satellit regelmäßig Bilder aus dieser Region.
Sie leiten auch eine Task Force zur Fernerkundung von Meeresmüll, die 2020 eingerichtet wurde. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Die Idee hinter der Task Force war, die Forschungsaktivitäten zu koordinieren und einen standardisierten Ansatz zur Überwachung von Plastikmüll zu entwickeln. Wir bringen alle Expertinnen und Experten, die verschiedenen Raumfahrtagenturen und Unternehmen zusammen, damit alle an einem Strang ziehen. Am Ende wollen wir Empfehlungen aussprechen, wie die verschiedenen Methoden am besten eingesetzt werden können oder wie die Daten zu erfassen sind. Meine Aufgabe als wissenschaftlicher Koordinator besteht zudem darin, die Wissenschaft voranzutreiben, Wissenslücken zu ermitteln und zu prüfen, wie wir neue wissenschaftliche Ansätze umsetzen können. Indem wir die Daten für jedermann zugänglich machen, wollen wir die Beteiligten motivieren, Ideen auszutauschen und Fortschritte zu erzielen.
Was meinen Sie: Tragen all diese Aktivitäten dazu bei, die Einstellung gegenüber Plastikmüll im Meer zu verändern?
Ich glaube schon. Die beteiligten Akteure, etwa Raumfahrtbehörden oder Politiker, investieren inzwischen mehr Geld in Studien über Plastikmüll. Noch 2016 waren die finanziellen Mittel für Projekte zur Identifikation von Meeresmüll per Fernerkundung sehr begrenzt. Mittlerweile weiß ich von etwa 30 Projekten. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Einige Staaten haben Drohnenbilder von uns genutzt, um Aktionspläne zu erarbeiten. Die Ergebnisse der Fernerkundung werden immer häufiger verwendet, um zu entscheiden, wo und wann gereinigt werden soll. Es gibt Startup-Initiativen, die sich an Reinigungsaktionen beteiligen. Einige Leute bauen sogar spezielle Boote, um Meere und Seen vom Müll zu befreien. Es gibt immer mehr Berichte über Menschen, die sich freiwillig engagieren, zum Beispiel beim Säubern von Stränden. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.
Interview: Ute Kehse