Ende November hat der Bundestag mit einer Gesetzesänderung den Weg frei gemacht für den „Digitalpakt Schule“. Sollte auch der Bundesrat zustimmen, kann der Bund künftig den digitalen Ausbau der Schulen direkt fördern. Fünf Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahren investiert werden. Doch wie steht es eigentlich um die Digitalisierung in unseren Bildungsstätten? Ein Gespräch mit der Informatik-Didaktikerin Ira Diethelm.
FRAGE: Frau Diethelm, die Digitalisierung durchzieht alle Lebensbereiche. Was bedeutet dies für die schulische Bildung?
ANTWORT: Wir müssen den Bildungsauftrag der Schulen auch in Bezug auf die digitalisierte Welt ernst nehmen. Schule hat laut Niedersächsischem Schulgesetz die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, damit die Schülerinnen und Schüler ihr privates und berufliches Leben meistern können. Sie sollen als mündige Bürger die Schule verlassen und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen und ihre Persönlichkeit entfalten können. Das bedeutet: Neben einer hoffentlich immer selbstverständlicheren aber gut durchdachten Nutzung digitaler Geräte muss Schule vor allem die Phänomene der digitalen Welt erklären und hinterfragen. Ohne gut ausgebildete Informatiklehrkräfte und Informatikunterricht wird dies nicht gelingen.
FRAGE: Sind die heutigen Schülerinnen und Schüler als „Digital Natives“ nicht ohnehin gut darin, digitale Werkzeuge zu bedienen?
ANTWORT: Das denken viele. Studien zeigen aber, dass das nicht stimmt. Es ist in etwa so, wie Kinder schon bei Eintritt in die Schule sprechen und etwas zählen können. Aber um diese ersten Fähigkeiten im Sprechen und Zählen weiter auszubauen und auf einen Stand zu bringen, der einer modernen, demokratischen Gesellschaft dient, gibt es die Schulpflicht. Mit Deutsch- und Mathematikunterricht und vielen anderen Fächern sorgt diese für eine solide Allgemeinbildung. Ähnlich wie in diesen Fächern müssen wir Kinder nicht nur mit Handlungsanweisungen auf die Digitalisierung vorbereiten, sondern auch Grundprinzipien wie die Regeln des Internets vermitteln, auf denen die sich schnell wandelnde digitale Welt aufbaut.
Bildungsauftrag erfüllen
FRAGE: Heißt das, wir brauchen bundesweit ein Leitfach Informatik?
ANTWORT: Ja. Sie möchten sicher auch lieber von einem Arzt behandelt werden, der Medizin studiert hat. Wenn wir den Bildungsauftrag erfüllen wollen, brauchen wir Qualität und Qualitätssicherung. Daher sollte das Schulfach Informatik ein Leitfach sein, das den anderen Fächern zur Seite steht und an dem wir beispielsweise mit Noten verdeutlichen, dass dieser Unterricht wichtig ist. Seit 30 Jahren gibt es eine Vereinbarung, quer über alle Fächer die informationstechnische Grundbildung zu sichern. Dies ist gescheitert, auch, weil niemand die Verantwortung übernommen hat, weder in der Schule noch in der Lehrerbildung.
FRAGE: Was bedeutet dies für die Lehrerbildung?
ANTWORT: Bisher ist Oldenburg der einzige Standort in Niedersachsen, an dem Informatiklehrer für alle derzeit möglichen Schulformen ausgebildet werden. Das ist aber nur ein Anfang. Daher ermöglichen wir auch den Studierenden anderer Fächer, die Grundlagen der digitalen Welt zu lernen und fachfremd zu lehren. Dies wird hoffentlich in ein Pflichtmodul „Medienbildung und Digitalisierung" für alle Lehramtsstudierenden einfließen. Entsprechend den neuen Anforderungen an die Lehrerbildung müssen nämlich alle Lehrkräfte dazu in der Lage sein, zur Digitalisierung zu unterrichten. Dazu müssen sie entsprechende Grundkenntnisse haben.
Zusammenarbeit zwischen Forschung und Schulen fördern
FRAGE: Ziel des Digitalpakts Schule ist unter anderem, bis 2021 allen Schülerinnen und Schülern zu jeder Zeit, eine digitale Lernumgebung Zugang zum Internet zu bieten – sofern pädagogisch sinnvoll. Ist das realistisch?
ANTWORT: Ja. Um diese Aufgaben zu bewältigen, sind jedoch dauerhafte Investitionen nötig – und weniger Zuständigkeitsgerangel. Wir brauchen neue Strukturen und mehr IT-Kenntnisse bei den Entscheiderinnen und Entscheidern – und ein anderes Selbstverständnis in der Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Gerade letztere müssen ins 21. Jahrhundert fortschreiten. Es darf nicht sein, dass Kommunen beispielsweise künstlich den Internetzugang von Schulen auf etwa 20 MBit für 1.000 Schülerinnen und Schüler beschränken. Viele Haushalte für zwei bis zehn Personen haben das Zehnfache zur Verfügung. Hier brauchen wir Gesetze, die die Macht zwischen Schulen, Kommunen und IT-Dienstleistern besser verteilen, eine sog. digitale Gewaltenteilung.
FRAGE: In einer Stellungnahme für den Bundestag schreiben Sie, dass in Bezug auf Digitalisierung der Schulen wichtige Forschungsergebnisse fehlten. Welchen Aufgaben sollte sich die Forschung künftig widmen?
ANTWORT: Durch das Kooperationsverbot, also die Regelung, dass der Bund die Schulpolitik der Länder nicht beeinflussen darf, hat der Bund die praxisnahe Forschung in und mit Schulen nie gefördert – anders als bei außerschulischen oder berufsbildenden Aktivitäten. Daher wissen wir beispielsweise nicht, welche Konzepte zur Digitalisierung in der Schule gute Ergebnisse liefern würden. Der Bund sollte daher die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Schulen fördern – beispielsweise zu dem Thema, wie Kinder auf die Ablösung des Leitmediums Buch durch das Leitmedium Computer/Internet vorbereitet werden können. Und wir müssen entsprechende Konzepte und Unterrichtsmaterialien entwickeln und verbreiten.
ZUR PERSON: Prof. Dr. Ira Diethelm hat seit 2011 die Professur für Didaktik der Informatik an der Universität inne. In mehreren Forschungsprojekten entwickelt und erforscht sie Unterrichtsmaterialien und -methoden für das Schulfach Informatik, zudem konzipiert und erforscht sie Lehrerfortbildungen. Als Sachverständige für den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags hat sie eine Stellungnahme zum Thema „Digitalisierung in Schule, Ausbildung und Hochschule“ verfasst.
Interview: Constanze Böttcher