Überfüllte Hörsäale? Bulimielernen? Möglichst viel Input und möglichst gute „Reproduktionskompetenz“? Es geht auch anders, wie ein Seminar im Projekt „Forschungsbasiertes Lernen im Fokus (FLiF)“ an der Universität Oldenburg zeigt. Von Amrei Ochner
Wer kennt das nicht: Man sitzt in einem überfüllten Seminar und hat (natürlich ausnahmsweise) die 40 Doppelseiten Vorbereitungstext nicht gelesen. Beharrliches Gemurmel erfüllt den Raum, während man immer weiter in den gerade so eben noch ergatterten Stuhl sinkt und es sich zwischen E-Mailschreibenden Sitznachbarn gemütlich macht. Es riecht nach Coffee To Go aus Pappbechern, und das akademische Viertel ist schon lange vorbei, als im Hintergrund ein Referat zu laufen beginnt.
Bulemielernen - ein bewährtes Prinzip?
Nach 20 Minuten drohen die Fragen der Referatsgruppe zum kritischen Wendepunkt des Szenarios zu werden, doch zum Glück übernimmt wie immer Kommilitone X das Wort. Der Kaffee hat inzwischen die richtige Temperatur und weil eh klar ist, dass die Inhalte für die Klausur auch innerhalb dieser zwei schlimmen Wochen zum Semesterende in den Kopf müssen, gibt es keinen Grund zur Sorge. Bulemielernen ist ein weniger beliebtes als aber doch bewährtes Prinzip der Spezies Bachelorstudent, die aus der Bologna-Reform vor allem eins gelernt hat: Nämlich Wissen möglichst angenehm zu konsumieren – man bezahlt schließlich dafür.
Unsere Studienstruktur bestätigt uns darin: Möglichst viel Input und möglichst gute Reproduktionskompetenz sind das Rezept, das uns mit auf den Weg gegeben wird, um unser Bachelorstudium zu meistern. Aber vergisst man beim Einhalten von Modulplänen nicht oft, warum man eigentlich studiert? Die bewährten Wege zu verlassen, eine neue Lehr- und Lernkultur zu installieren, genau das ist Ziel des Projekts „Forschungsbasiertes Lernen im Fokus“ (FLiF) an der Universität Oldenburg. Als „Testpersonen“ dieses neuen Konzepts haben wir, sechs angehende ReligionspädagogInnen, uns mit dem Thema „Vertrauen“ beschäftigt – angeleitet durch den Dozenten PD Dr. André Munzinger vom Institut für Evangelische Theologie, auf eine etwas andere Art.
Verzahnung von Forschung und Lehre
Genauer ging es im Seminar „Vertrauen – Was ist das?“ darum, Positionen zum Thema Vertrauen zu betrachten und eigenständig mit ihnen zu arbeiten. Anstatt lediglich auf die religiöse Perspektive des Phänomens einzugehen, wurden wir Experten für verschiedenste interdisziplinäre Blickwinkel, die sich zwischen historischen, religiösen und soziologischen Schwerpunkten aufspannten. Ausgehend von eigenen Erfahrungen mit dem abstrakten Forschungsgegenstand wurde die Forschung an Hintergrundtexten zu einem dynamischen, interaktiven Prozess, bei dem jeder einzelne Seminarteilnehmer ein Spezialgebiet ausloten sollte. So entstanden über das Semester hinweg ein regelmäßiger Austausch und ein sich kontinuierlich erweiterndes Bild des Begriffs „Vertrauen“.
Besonders war an diesem Seminar jedoch nicht nur das Thema, sondern vor allem die Struktur: Ausgehend von Anstößen des Dozenten schufen wir von der ersten Sitzung an den Inhalt des Seminars gemeinsam und wurden so Zeugen der produktiven Verzahnung von Forschung und Lehre, die die Universität mit dem Projekt FLiF anstrebt.
Besonders die überschaubare Teilnehmerzahl, aber auch der kontinuierliche Austausch und das durch Lesewochen strukturierte Lektürepensum haben zum Gelingen des Seminars beigetragen. In diesem Seminar ist es um andere Kompetenzen gegangen, als darum, möglichst viel Input abzuspeichern: Die Vorträge der StudentInnen in der Studierendenkonferenz am Ende des Semesters zielten nicht nur auf die Reproduktion des Gelernten ab, sondern vor allem auf die Verknüpfung und das Einsetzen des eigenen Wissens. Kritische Reflexionsfähigkeit von fremden und eigenen Anschauungen festigten das erworbene Wissen ebenso wie ein Bewusstsein dafür, dass Forschung und wirklicher Wissenserwerb immer Prozesse sind, die Beweglichkeit im Denken erfordern.
Wissenserwerb als Prozess
Die angehenden Pädagoginnen nahmen so nicht nur die inhaltlichen Dimensionen des Themas Vertrauen für ihre späteren Unterrichtsgestaltung mit, sondern vor allem die Erkenntnis, dass der Lehrende sich die Prozesshaftigkeit des Lernens immer wieder bewusst machen muss, um im Sinne von Karl Jaspers ein guter Lehrer zu sein, der „[...] immer ein guter Forscher [ist]“.
„Ein erfolgreiches Seminar lässt unter Umständen mehr Fragen offen als es beantwortet“, resümiert André Munzinger, in dessen Fakultät IV im kommenden Semester ein fächerübergreifender Forschungstag geplant ist. Hier sollen Studierende innovative Ideen für die Lehre vorstellen, die sie in Seminaren zuvor entwickelt haben.
Amrei Ochner studiert im 6. Bachelor-Semester Mathematik, Sport und „Evangelische Theologie und Religionspädagogik"