Über die Helene-Lange-Gastprofessur

Das Helene-Lange-Gastprofessorinnen-Programm wird von Bund und Ländern im Rahmen des Professorinnenprogramms III gefördert und ermöglicht herausragenden Wissenschaftlerinnen einen Aufenthalt an der Universität Oldenburg. Die Kandidatinnen wurden jeweils von einer Professorin oder einem Professor der Universität Oldenburg vorgeschlagen und arbeiten in einem Fachgebiet, in dem Frauen an der Universität Oldenburg stark unterrepräsentiert sind. Zum Aufenthalt in Oldenburg gehört auch ein Konzept, wie die jeweilige Gastprofessorin in Lehre, Forschung und Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses mitarbeiten wird. Im Sommer empfängt die Universität Oldenburg die Physikerin Prof. Talat Shahnaz Rahman von der University of Florida, im Spätsommer die Philosophin Dr. Hilkje C. Hänel von der Universität Potsdam.

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Prof. Dr. Renate Scheidler

Institut für Mathematik

  • Renate Scheidler sitzt in einem Café, erzählt und gestikuliert mit den Händen.

    Mathematikerin Renate Scheidler aus dem kanadischen Calgary verbringt das Jahr 2022 als Gastprofessorin an der Universität Oldenburg. Foto: Universität Oldenburg / Daniel Schmidt

Zwischen den Welten

Als sie für ihre Promotion nach Kanada ging, war Deutschland noch geteilt. Seitdem kam Renate Scheidler nur zu Besuch in ihre Heimat. Für die Helene-Lange-Gastprofessur bleibt die erfahrene Wissenschaftlerin nun ein ganzes Jahr.

Mit einem guten Abitur in der Tasche standen Renate Scheidler Anfang der 1980er-Jahre alle Türen offen. Medizin interessierte die junge Frau aus dem Kölner Raum genauso wie Physik und Biologie. „Als es aber Zeit wurde, an die Uni zu gehen, hatte ich gerade meine Mathephase“, erinnert sich Prof. Dr. Renate Scheidler. Also studierte sie Mathematik auf Diplom an der Universität Köln und promovierte anschließend an der kanadischen University of Manitoba. Ihr Thema: die Anwendung der algebraischen Zahlentheorie in der Kryptographie. Das brachte der Mathematikerin einen Doktortitel ein – und zwar in der Informatik.

Seit den 1990er-Jahren lehrt und forscht die heute 61-Jährige in beiden Fächern als Professorin an US-amerikanischen und kanadischen Universitäten. Bis heute ist es bei einem Spagat geblieben: Die Wissenschaftlerin teilt ihre Zeit an der University of Calgary, die seit inzwischen rund 20 Jahren ihr Arbeitsplatz ist, jeweils zur Hälfte auf die beiden Departments „Mathematics & Statistics“ und „Computer Science“ auf.

Brücke zwischen Mathematik und Informatik

Scheidler ist in beiden Welten zu Hause, denn ihre Heimat als Forscherin, die Kryptographie aus der Perspektive der theoretischen Mathematik, liegt wie eine Brücke zwischen diesen beiden Wissenschaften. Und so speziell ihr Fachgebiet auch sein mag, so leicht fällt es ihr, selbst Fachfremde dafür zu begeistern. „Reine Mathematik hat viel mit Kreativität zu tun“, schwärmt Scheidler. Wer eine Lösung für ein Problem suche, brauche oft zunächst eine gute Idee. Zu beweisen, dass eine solche Idee tatsächlich funktioniert, ist für Renate Scheidler der faszinierende Kern der Mathematik. „Eine mathematische Aussage ist entweder richtig oder falsch, da gibt’s keinen Kompromiss und die Richtigkeit muss rigoros und logisch bewiesen werden“, sagt sie. Ein Beispiel, wie eine kreative Idee dafür sorgte, dass jahrhundertealte Erkenntnisse dabei halfen, aktuelle Probleme zu lösen, sind die Primzahlen: Schon im antiken Griechenland wurden einige ihrer Eigenschaften entdeckt. Mehr als 2.000 Jahre später führte die richtige Idee dazu, dass die sogenannte Primfaktorzerlegung, also die Darstellung natürlicher Zahlen als Multiplikationsaufgabe mit ausschließlich Primzahlen als Faktoren, zum Kern moderner Verschlüsselungstechnologien wurde.

Die Mathematik, die hinter verschlüsselten E-Mails, gesicherten Online-Überweisungen und vor Ausspähung geschützten Kurznachrichten steckt, sorgt für die Sicherheit dieser Methoden – und sie ist Scheidlers Forschungsgebiet. „Verschlüsselungstechnologien basieren meist auf mathematischen Problemen, die schwer zu lösen sind“, erklärt die Wissenschaftlerin. Schwer zu lösen heißt in diesem Fall, dass selbst leistungsstarke Computer viel zu lange brauchen, um sie zu entschlüsseln.

Dilemma oder Win-Win-Situation?

Im Forschungsalltag bewegt sich Scheidler in einem fast schon kuriosen Spannungsfeld. Als Informatikerin ist ihr daran gelegen, auf Basis möglichst komplizierter mathematischer Probleme sichere Verschlüsselungssysteme zu bauen. Als Zahlentheoretikerin hingegen sucht sie Methoden, mit denen sich genau diese mathematischen Probleme leichter lösen lassen. „Eine Situation, in der man nur gewinnen kann. Entweder freut sich die Zahlentheoretikerin oder die Informatikerin“, sagt die Wahlkanadierin lachend. Das könnte sich ändern, sobald Quantencomputer nicht mehr nur in der Theorie existieren, sondern in der Realität zum Einsatz kommen. Ihre erwartete Rechenkapazität dürfte alles Dagewesene übersteigen, so Scheidler, und die Kryptographie vor völlig neue Herausforderungen stellen. Eine Entwicklung, die sie mit Spannung verfolgt.

Dass sich Scheidler für die Kryptographie als Forschungsschwerpunkt entschieden hat, war eher Zufall. Vor allem hatte die frischgebackene Diplom-Mathematikerin nach einer Möglichkeit für einen Auslandsaufenthalt nach dem Studium gesucht. Ein befreundeter Kollege ihres damaligen Diplom-Betreuers stellte Kontakt zu einem Wissenschaftler in Kanada her. Von dessen Kryptographie-Vorlesungen war Scheidler fasziniert. „Natürlich“, sagt sie, „das Thema fasziniert ja viele Leute, weil es ein bisschen was von James Bond hat.“ Drei Anläufe brauchte sie, um ihren Doktorvater zu überzeugen, dass Verschlüsselungsmethoden ihr Promotionsthema werden.

Engagement für junge Wissenschaftlerinnen

Als etablierte Zahlentheoretikerin und Kryptographin unterstützt sie heute junge Kolleginnen, die am Anfang dieses Weges stehen. In Kanada hat sie das Netzwerk „Women in numbers“ mit aufgebaut, das nicht nur regelmäßig die gleichnamige Fachkonferenz durchführt, sondern inzwischen Vorbild für ähnliche Initiativen auf der ganzen Welt geworden ist. Im Sommer findet etwa im niederländischen Utrecht die vierte Konferenz der europäischen Zahlentheoretikerinnen statt.

Das Netzwerk will vor allem junge Frauen erreichen, die am Ende ihrer universitären Ausbildung oder am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere stehen, und ihnen helfen, auf dem akademischen Parkett Fuß zu fassen. Die Konferenzen bieten dabei ein Umfeld, bei dem es nicht um Geschlechterfragen geht, sondern um die Sache selbst, um Zahlentheorie.

Für die Helene-Lange-Gastprofessur ist Scheidler vom Oldenburger Mathematiker Prof. Dr. Andreas Stein und seiner Kollegin Prof. Dr. Anne Frühbis-Krüger vorgeschlagen worden. Die Mathematikerin Frühbis-Krüger hat sich in der Vergangenheit selbst oft für Gleichstellung eingebracht, und war an der Universität Hannover auch als dezentrale Gleichstellungsbeauftragte tätig. Das Helene-Lange-Gastprofessorinnen-Programm hat sie mit initiiert. Stein und Scheidler kennen sich bereits seit vielen Jahren und haben mehrfach miteinander geforscht. Im Sommersemester wird die Wahlkanadierin Lehrveranstaltungen in Oldenburg anbieten, will aber während ihres Aufenthalts in Oldenburg auch junge Forscherinnen in ihrem Fachgebiet unterstützen – unter anderem im Mentoringprogramm der Graduiertenakademie, das ebenfalls den Namen der in Oldenburg geborenen Politikerin, Pädagogin und Frauenrechtlerin Helene Lange trägt.

Wer Renate Scheidler über die Mathematik sprechen hört, kann sich gut vorstellen, dass sie dabei junge Kolleginnen mit ihrer Begeisterung für ihr Fach ansteckt – und dafür sorgt, dass die Mathematik auch für sie am Ende eines garantiert nicht bleibt: nur eine Phase.

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