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Projektbeschreibung „Der ‚gezähmte’ Krieg”

Das Folgeprojekt

In der Musealisierung des Krieges zeichnet sich ein neuer Trend ab: der verstärkte Einsatz digitaler immersiver Technologien. Beispielsweise können durch Augmented Reality Apps weiterführende Informationen im Sichtfeld von Besucherinnen und Besuchern eingeblendet werden. Fortschritte im Bereich Künstliche Intelligenz und in der Verarbeitung natürlicher Sprache ermöglichen es Veteranen des Zweiten Weltkriegs, mittels Spracherkennung auf gesprochene Fragen der Besucher Antworten zu geben. Solche Anwendungen erlauben es Museumsgästen, sich mit historischen Szenarien in immersiven virtuellen Welten zu beschäftigen und in vielen Fällen auch mit der Erweiterten Realität (XR) zu interagieren. Dies kann Handlungsspielräume suggerieren, die historischen Akteuren unter den gegebenen Umständen nicht zur Verfügung standen und Geschichtsbilder kontrafaktisch verzerren. Die Studie „Die Fortsetzung des Krieges mit digitalen Mitteln – Die Überformung militärhistorischer Ausstellungen und Wahrnehmungsverschiebung Besuchender durch Extended Reality” möchte die Wirkung von XR-Erfahrungen in neun Museen in Nordamerika und Europa mit Methoden der qualitativen Besucherforschung herausarbeiten. Sie möchte die Frage beantworten, wie Besucherinnen und Besucher immersive Technologien in militärhistorischen Ausstellungen wahrnehmen und welche Wirkung diese auf deren Geschichtsverständnis haben. Zudem erforscht Sommer, welche erinnerungspolitischen Ziele die Museen durch den Einsatz dieser Technologien verfolgen. Die DFG fördert das Projekt mit rund 357.000 Euro.

Kontakt

Dr. Christopher Sommer

Institut für Materielle Kultur

  • Das Bild zeigt ein Modell eines Bombers, das in einer großen Museumshalle steht. Der Schacht des Flugzeugs ist geöffnet, einige Bomben fallen heraus. Im Hintergrund ist das im Text erwähnte Friesfragment zu erkennen. In der Halle stehen einige Besucher und betrachten die Ausstellung.

    Dieses Modell einer Heinkel 111, einem von der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges eingesetzten Bombers, steht im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr Berlin-Gatow. Der Historiker und Museumswissenschaftler Christopher Sommer hat diese und weitere Ausstellungen im Hinblick auf ihre Wirkung auf das Publikum untersucht. Christopher Sommer

  • Das Bild zeigt eine Wachsfigur-Krankenschwester, die in einem Zelt oder einem Haus unter einer Decke liegt. Sie liest etwas. Zudem scheint sie zu weinen und wischt sich mit ihrer rechten Hand offenbar eine Träne aus dem Gesicht. Die Szene ist sehr dunkel gehalten.

    Szenen wie diese lassen Sommer zu dem Schluss kommen, dass in vielen Ausstellungen weiterhin unbewusst Geschlechterstereotype vermittelt werden. In der Ausstellung, in der Sommer diese Figur gesehen hat, war die Krankenschwester die einzige weinende Figur. Christopher Sommer

  • Das Bild zeigt eine Soldaten-Wachsfigur, die ein Maschinengewehr abfeuert. Um die Figur sind weitere Soldaten drapiert, offenbar ist mindestens einer von ihnen tot. Der MG-Schütze schaut grimmig.

    Das National Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa hat in einer Ausstellung diesen Māori-Soldaten gezeigt. Die Figur beruht auf einem realen Teilnehmer der Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg. Christopher Sommer

Zwischen Emotionen und Verstand – Krieg im Museum

Der Museumswissenschaftler Christopher Sommer untersucht, wie Museen Kriege darstellen und wie Besucher dies aufnehmen. Dabei zeigen sich oft große Unterschiede zwischen kuratorischem Anspruch und der tatsächlichen Wirkung aufs Publikum.

Der Museumswissenschaftler Christopher Sommer untersucht, wie Museen Kriege darstellen und wie Besucher dies aufnehmen. Dabei zeigen sich oft große Unterschiede zwischen kuratorischem Anspruch und der tatsächlichen Wirkung aufs Publikum.

 

Das Flugzeug, das über dem Boden schwebt, wirkt übergroß und bedrohlich. Am Rumpf ist ein Schacht geöffnet, mehrere Bomben fallen heraus. Wer das Militärhistorische Museum der Bundeswehr Berlin-Gatow besucht und die Szene betrachtet, soll erkennen: Hier wird gerade ein Vorgang großer Zerstörung simuliert. Das gezeigte Modell ist eine Heinkel 111, ein von der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges eingesetzter Bomber. Mit diesen Maschinen haben deutsche Soldaten viel Leid über andere Länder gebracht, so auch bei der Bombardierung von Rotterdam im Jahr 1940. In der Ausstellung befindet sich gleich neben dem Flugzeugmodell ein Friesfragment eines Waisenhauses der niederländischen Stadt, das durch die Bombardierung stark beschädigt wurde. Die Botschaft der Kuratoren: So faszinierend Kriegstechnik vielleicht auch sein mag, so bringt sie vor allem Zerstörung und Tod. Doch kommt diese Botschaft auch beim Publikum an?

Der Historiker und Museumswissenschaftler Dr. Christopher Sommer befasst sich in seinem DFG-geförderten Projekt „Der ‚gezähmte‘ Krieg – Zu aktuellen Ausstellungsstrategien und Wahrnehmungsmustern von Besucherinnen und Besuchern in militärgeschichtlichen Museen“ mit der Frage, wie Museen Kriege repräsentieren und wie diese Darstellungen auf Besucherinnen und Besucher wirken. „Ich möchte aufzeigen, welche Geschichtsbilder hinter solchen Ausstellungen stehen und wie diese in verschiedenen Erinnerungslandschaften wahrgenommen werden. Mit diesem Wissen ist es möglich, besser zu verstehen, wie bestimmte szenografische Strategien auf Besuchende wirken, was auch bei der Konzeption zukünftiger Ausstellungen von Nutzen sein kann“, sagt Sommer. Dazu hat er bisher 23 militärhistorische Museen in Deutschland, Großbritannien und Neuseeland besucht, die dortigen Ausstellungen analysiert und in elf von ihnen auch mit Museumsbesucherinnen und -besuchern Interviews geführt. Insbesondere untersucht Sommer Großexponate, etwa Kampffahrzeuge oder -flugzeuge, sowie Dioramen – das sind modellhafte Darstellungen, beispielsweise von Schlachten, in einer nachempfundenen Umgebung.

Museen genießen viel Glaubwürdigkeit

„Das Publikum spricht Museen grundsätzlich viel Glaubwürdigkeit und Wissenschaftlichkeit zu“, so Sommer. Die Frage, wie ein Kurator oder eine Kuratorin eine Ausstellung konzipiert oder Besucher diese Ausstellung interpretieren, hänge jedoch stark mit politischen und kulturellen Einstellungen zusammen. So hat Sommer herausgefunden, dass zum Beispiel die beiden Weltkriege in britischen und neuseeländischen Museen oft „heroischer“ dargestellt werden, während in Deutschland eher eine kritisch-distanzierte Sicht zum Kriegsgeschehen vorherrscht. „Dies hat mit einer kritischen Haltung zum Nationalsozialismus sowie zum Militarismus in Deutschland zu tun“, erläutert Sommer. Doch nur weil ein Museum einen bestimmen kuratorischen Ansatz verfolgt, heißt dies noch nicht, dass die Museumsgäste diesen auch entsprechend aufnehmen. So hat Sommer beispielsweise mit einem Besucher der eingangs beschriebenen Ausstellung in Berlin-Gatow gesprochen, der die Inszenierung mit dem beschädigten Waisenhaus gar nicht wahrgenommen und seine Aufmerksamkeit stattdessen auf die Technik und „Authentizität“ des ausgestellten Bombers gerichtet hatte. „Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Museen wie das in Gatow zwar versuchen, die Wirkung von Waffen zu kontextualisieren, manche Besucher diese Versuche jedoch anfänglich ausblenden und sich vielmehr von der Technik der Waffe begeistern lassen“, erklärt Sommer.

Ausstellungen können keine „reale“ Kriegssituationen darstellen

Vor allem mithilfe von Dioramen und Großexponaten möchten Museen ein konkretes Bild der Vergangenheit vermitteln. „Viele Museen verfolgen die Absicht, ihre Besucherinnen und Besucher nicht nur auf der Ebene des Verstandes anzusprechen, sondern auch, sie emotional zu erreichen“, sagt Sommer. Die Exponate vereinen ästhetische Qualitäten – ihre Formsprache – mit einem Gefühl der Ehrfurcht, das oft durch sie hervorgerufen wird. „Diese Mischung aus ‚Thrill‘ und Ästhetik kann dazu führen, dass Museumsgäste eher staunen als reflektieren“, so Sommer. Andererseits böten solche Ausstellungen durch die Kombination aus Exponaten, Videos, Texten und Fotografien eine immersive, also verschiedene Sinne ansprechende Erfahrung, die durch die von ihnen vermittelten Emotionen auch zum Nachdenken anregen könne. Dabei müssten Museen ihren Gästen jedoch stets vermitteln, dass auch die bestmöglich kuratierte Ausstellung nie eine „reale“ Kriegssituation darstellen kann, sondern lediglich eine Simulation. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die traumatischen Erfahrungen, die Krieg für viele Menschen bedeutet, unterschätzt würden. Ausstellungen sollten zudem multiperspektivisch, also mit Quellen von Akteuren verschiedener Kriegsparteien arbeiten sowie ihre Gäste zum kritischen Denken anregen.

Anhand seiner Interviews mit Besucherinnen und Besuchern militärhistorischer Ausstellungen hat Sommer festgestellt, dass vor allem Biografien und Einzelschicksale die Menschen emotional bewegen. Dabei berührt insbesondere die Darstellung verwundeter Soldaten oder auch trauernder Protagonisten die Besucherinnen und Besucher. Darstellungen des Todes finden sich selten und zumeist in Form von Platzhaltern – beispielweise in Form eines Helms mit einem Einschussloch. Dazu gibt es audio-visuelle Angebote, die sich den Thematiken „Verwundung und „Tod“ in steriler, medizinischer Art nähern. So zeigt eine interaktive Station im neuseeländischen Nationalmuseum den Effekt verschiedener Waffen auf den menschlichen Körper – jedoch in einer stilisierten Form, die an ein Röntgenbild erinnert. Deutsche Museen sind hier zurückhaltender und bevorzugen weiterhin Fotografien oder Exponate. Sowohl im deutsch- wie im englischsprachigen Raum räumen viele Besucherinnen und Besucher der Visualisierung der Wirkung von Waffen auf den menschlichen Körper einen hohen Stellenwert ein: Tod und Verwundung sind aus ihrer Sicht untrennbar mit Krieg verbundenen und müssen – wenn auch in entschärfter Form – repräsentiert werden.

Geschlecht und Ethnie spielen eine zunehmend wichtige Rolle – ein Beispiel aus Neuseeland

Sommer beschäftigt sich außerdem mit Fragen von Geschlecht und Ethnie. So sei beispielsweise ein Trend hin zur Darstellung von Frauen im Krieg festzustellen – diese nehme in Militärmuseen zunehmend Raum ein. Dabei sind die Bilder teils sehr klischeehaft: Frauen werden nicht selten emotional und vorrangig in medizinischer Funktion oder als Zivilistinnen dargestellt, oft auch als Opfer von sexualisierter Gewalt. In einer Ausstellung des National Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa zum Ersten Weltkrieg ist beispielsweise die einzige weinende Figur eine Krankenschwester. Auch dafür, dass sich durch Kolonialismus geprägte ethnische Klischees halten, hat Sommer Belege. So zeigt dasselbe Museum eine überlebensgroße Figur eines Māori-Soldaten der neuseeländischen Armee bei der Verteidigung einer Stellung während der Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg. Seine stoische Mimik, ein vertonter Auszug aus seinem Tagebuch, welches die dramatische Szene nüchtern beschreibt, sowie eine den aus sportlichen Kontexten bekannten Haka „Ka Mate“ beinhaltende Musikuntermalung suggerieren „stoische Männlichkeit“ und kämpferischen Willen. Damit reproduziere die Ausstellung, deren Kuratoren eigentlich den Beitrag der Māori zur Gallipoli-Kampagne betonen wollten, unbewusst in der Kolonialzeit geprägte Vorstellungen von „Martial Races“, also vermeintlich „zum Kampf geborener“ Angehöriger indigener Völker. Die Besucherinnen und Besucher wiederum haben in den Gesprächen mit Sommer das Museum unisono dafür gelobt, die Krankenschwester und den Māori-Soldaten einbezogen zu haben. Für Sommer ein Indiz für unhinterfragte Geschlechterrollen sowie einen wenig reflektierten Umgang mit Identifikationsangeboten abseits körperbetonter Betätigungsfelder für Māori, denen auch heute noch eher körperliche als geistige Arbeit zugetraut würde. Letzteres führt der Forscher auf fehlendes Wissen über die Kolonialzeit und insbesondere die New Zealand Land Wars zurück.

Inzwischen setzen militärhistorische Museen vermehrt auch digitale Technologien ein, um ihre Besucherinnen und Besucher in virtuelle historische Szenarien via Headset oder Smartphone eintauchen zu lassen. „Erweiterte Realität“ (XR) erlaubt es zum Teil sogar, selbst an der Handlung teilzunehmen. Wie sich diese neue Art der Vermittlung auf die Wahrnehmung kriegsgeschichtlicher Ausstellungen sowie auf das Geschichtsbild der Öffentlichkeit auswirkt, wird Christopher Sommer in einem Folgeprojekt (siehe grauer Kasten) untersuchen.

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