Ohne Grammatik keine Sprache – denn es gäbe sonst keine Struktur. Das gilt auch fürs Saterfriesische. Wer es erlernen möchte, kann nun auf ein aktuelles Nachschlagewerk zurückgreifen. Dazu beigetragen hat auch eine Oldenburger Studentin.
Träi Monljude und tjo Wieuwljude – drei Männer und drei Frauen. Saterfriesisch hat ein männliches und ein weibliches Wort für die Zahl Drei. Diese und andere sprachliche Besonderheiten offenbart die neue Grammatik des Saterfriesischen, die ein Team der Fryske Akademy in Leeuwarden (Niederlande) im Dezember vergangenen Jahres veröffentlichte. Dr. Eric Hoekstra und Bouke Slofstra, zwei Sprachwissenschaftler des Forschungszentrums, haben gemeinsam mit der Oldenburger Studentin Tessa Leppers ein umfassendes Nachschlagewerk erstellt, das vor allem für Lernende gedacht ist. „Die Grammatik ist allgemeinverständlich, sodass nicht nur ein wissenschaftliches Publikum, sondern alle Interessierten etwas damit anfangen können“, erklärt Leppers, die ein fünfmonatiges Praktikum an der Friesischen Akademie absolvierte.
Die gebürtige Niederländerin studierte „Europäische Sprachen und Kulturen“ an der Universität Groningen und entschied sich anschließend für den Fachmaster Germanistik in Oldenburg. Schon während ihres Bachelors hatte sie hier ein Auslandssemester verbracht. „Die Uni und die Stadt haben mir so gut gefallen, dass ich unbedingt meinen Master in Oldenburg machen wollte“, erzählt die 27-Jährige. Wegen der Corona-Pandemie war es für Leppers jedoch schwierig, nach Deutschland zu reisen. Sie entschied sich daher, ein Praktikum in ihrem Heimatland zu absolvieren. An der Friesischen Akademie bekam sie schließlich tiefe Einblicke in die Sprache der Saterfriesen – einer anerkannten Minderheit in Deutschland.
Wichtiger Meilenstein für die Minderheitensprache
„Saterfriesisch kommt in der heutigen Samtgemeinde Saterland im Landkreis Cloppenburg vor und wird dort von einer kleineren Sprachgemeinschaft gesprochen“, erklärt Heike Schoormann, die am Oldenburger Institut für Germanistik zum Saterfriesischen forscht. Das Saterfriesische sei ein Überbleibsel des Altostfriesischen, das bis zum Ende des Mittelalters im ehemaligen ostfriesischen Sprachgebiet entlang der Nordseeküste gesprochen wurde. Danach setzte sich Niederdeutsch durch – nur an wenigen damals abgelegenen Orten wie dem Saterland nicht. Zur friesischen Sprachfamilie gehört außerdem Westfriesisch, gesprochen in der niederländischen Provinz Friesland, sowie Nordfriesisch in Schleswig-Holstein.
Das neue Nachschlagewerk fasst auf 117 Seiten nicht nur Grammatikregeln und Beispiele für die Minderheitensprache „Seeltersk” zusammen, sondern berücksichtigt auch die Schreibweise und Aussprache. Eine Besonderheit ist etwa, dass es im Saterfriesischen keinen Genitiv gibt; stattdessen werden Konstruktionen mit „von“ verwendet: do Ponnen fon dät Huus sunt rood – die Dachziegel des Hauses sind rot. Tessa Leppers war vor allem an dem Kapitel über Verben und an der Endkorrektur beteiligt. „Natürlich ist Saterfriesisch ein sehr kleines Gebiet in der Sprachwissenschaft, nur rund 2.250 Menschen sprechen es. Das macht es für mich aber nicht weniger interessant“, sagt Leppers, Tatsächlich ist die Sprache mittlerweile vom Aussterben bedroht – sie wird immer weniger gebraucht. „Die Grammatik leistet hier einen wichtigen Beitrag zum Bewahren der Sprache und ich freue mich, dass ich einen Anteil daran haben darf“, freut sich Leppers. Dass sie selbst kein Saterfriesisch spricht, sei kein Problem, im Gegenteil: „Bestimmte Aspekte nehme ich besser wahr, mir fallen andere Dinge auf als den Muttersprachlern.“
Eine neue Grammatik war längst überfällig, denn die Vorgängerversion „Kute Seelter Sproakleere“ von Pyt Kramer stammt aus dem Jahr 1961 und ist längst vergriffen. Sie diente der neuen Fassung als Grundlage. Die Autoren sichteten zudem sowohl wissenschaftliche Literatur über das Saterfriesische und literarische Werke auf Saterfriesisch als auch Sprachaufnahmen von Kramer aus dem 20. Jahrhundert.
Zweite Ausgabe in Arbeit
Mit der aktuellen Grammatik ist ein Meilenstein erreicht: Zusammen mit dem Wörterbuch von Dr. Marron C. Fort, dem 2019 verstorbenen früheren Leiter der Arbeitsstelle „Niederdeutsch und Saterfriesisch“ an der Universität Oldenburg, gibt es damit eine umfassende Zusammenschau der saterfriesischen Sprache – die für weitere Arbeiten zur Verfügung steht. Und die sind in vollem Gange: Leppers und ihre Kollegen arbeiten bereits an einer zweiten Version, die deutlich ausführlicher werden und sich vor allem an ein wissenschaftliches Publikum richten soll. „Wir wollen noch detaillierter in einzelne Themen, wie unregelmäßige Verben, einsteigen“, erklärt Leppers, die im Rahmen ihres Praktikums auch an der zweiten Fassung beteiligt war. Die Studentin freut sich schon darauf, auch diese demnächst in den Händen halten zu können.