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Damit Wissenschaft glaubwürdig bleibt
Was macht gute wissenschaftliche Praxis aus? Im Interview spricht Christiane Thiel, Vizepräsidentin für Forschung und Transfer, über eine gute Fehlerkultur und die Verantwortung, die Einzelne und Institutionen tragen.
Frau Thiel, seit vergangenem Herbst hat die Universität eine neue „Ordnung über die Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“. Worum geht es?
Die Leitlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Ordnung der Universität sind das Fundament wissenschaftlichen Arbeitens. Sie definieren das richtige und falsche Vorgehen. Es geht um die wissenschaftliche Redlichkeit und darum, dass wir Forschenden nach bestem Wissen und Gewissen ‚lege artis‘ auf dem Stand der Forschung Daten erheben, auswerten und darstellen. Die Leitlinien beschreiben zudem die institutionellen Gegebenheiten, die nötig sind, um die Integrität der Wissenschaft zu fördern und zu gewährleisten.
Die DFG hat erstmals 1998 entsprechende Standards definiert.
Anlass damals waren mehrere hochkarätig publizierte Studien, die zurückgezogen werden mussten, weil Daten nicht nachvollziehbar dokumentiert oder sogar manipuliert worden waren. Seitdem werden die Leitlinien immer wieder aktualisiert und die Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen haben die Auflage, die Standards an ihren Einrichtungen umzusetzen. Das ist eine Voraussetzung dafür, auch künftig Förderung durch die DFG zu erhalten. Letztlich geht es um die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft.
Welche Aspekte der guten wissenschaftlichen Praxis sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
Als Vizepräsidentin für Forschung und Transfer stehen Open Science, der freie Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, und die FAIR-Prinzipien oben auf meiner Agenda. „FAIR“ bedeutet „Findable, Accessible, Interoperable, Re-Usable“ – Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Wiederverwendbarkeit. Hier geht es darum, dass Forschende ihre Daten auffindbar und öffentlich zugänglich machen und sie so dokumentieren, dass andere eine Studie nachvollziehen können – um diese zu wiederholen oder auch, um Fehler finden zu können.
Welche Rahmenbedingungen muss die Universität dafür schaffen?
Als Institution müssen wir etwa eine Infrastruktur für das Management von Daten bereitstellen. Repositorien, digitale Infrastrukturen, ermöglichen es, dass Daten gut auffindbar und dokumentiert langfristig gesichert werden. Die Uni betreibt seit diesem Jahr das Forschungsdaten-Repositorium „dare“. Natürlich gibt es schon seit Jahren viele fachspezifische Repositorien sowie entsprechende nationale und internationale Initiativen. Ein Beispiel sind die Nationalen Dateninfrastrukturen (NFDI). Die Universität Oldenburg ist dieses Jahr Mitglied bei NFDI geworden und im vergangenen Jahr haben Forschende der Universität federführend den Verbund NFDI4Energy eingeworben.
Gemeinsam mit dem Soziologen Prof. Dr. Martin Heidenreich ist die Chemikerin Prof. Dr. Katharina Al-Shamery als Ombudsperson zentrale Ansprechpartnerin für das Thema gute wissenschaftliche Praxis. Welche Aufgaben übernimmt sie in dieser Rolle und warum hat die Anzahl der Konfliktfälle in der Vergangenheit zugenommen?
Welche Verantwortung tragen die Forschenden selbst?
Vor allem die Leitungen wissenschaftlicher Einrichtungen, aber auch die Leitungen von Arbeitseinheiten müssen Strukturen implementieren, die eine gute wissenschaftliche Praxis gewährleisten. Diesen Aspekt thematisieren die neuen Leitlinien noch deutlicher. Als leitende Person habe ich eine Fürsorgepflicht. Ich muss meine Mitarbeitenden darüber informieren, was gutes wissenschaftliches Arbeiten ist, ein Auge darauf haben, dass die Standards umgesetzt werden und etwa Promovierende an diese Verantwortung heranführen. An der Universität gibt es Kurse, die die Grundlagen der guten wissenschaftlichen Praxis vermitteln. In solchen Kursen sollten Promovierende verschiedene Aspekte diskutieren können, denn nicht immer gibt es ein klares Richtig oder Falsch. Im Studium sollte spätestens zum Start der Bachelorarbeit ein entsprechendes Angebot Teil der Ausbildung sein.
Ist wissenschaftliches Fehlverhalten ein nennenswertes Problem?
Ich glaube, das Problem ist graduell. Dass jemand Daten fälscht oder erfindet, ist eher die Ausnahme. Es kommt aber sicher häufiger vor, dass etwa Forschungsdaten schlampig dokumentiert werden oder eine Datenanalyse Fehler aufweist. Das muss nicht unbedingt Fehlverhalten sein. Aber man sollte offen darüber sprechen und kritisch beurteilen, wie und warum es zu den Mängeln gekommen ist.
Was können Institutionen und Forschende noch tun, damit gutes wissenschaftliches Arbeiten stärker ins Bewusstsein rückt?
Einerseits ist eine gute Fehlerkultur wichtig, dass man mit Fehlern offen umgeht und sie anspricht, wenn man sie entdeckt. Dies sollte immer zuerst in den Arbeitseinheiten erfolgen. In letzter Instanz gibt es die Ombudspersonen. Dies sind erfahrene Forschende, die absolut vertraulich arbeiten. Andererseits fordert die DFG-Leitlinie Institutionen und leitende Personen auf, Machtstrukturen nicht zu zementieren und so Missbrauch vorzubeugen. Promovierende und Mitarbeitende sind zwar in gewisser Weise immer von der Leitung der Arbeitsgruppe abhängig, was es erschweren kann, Fehler anzusprechen. Aber Maßnahmen wie eine unabhängigere Begutachtung von Promotionen oder auch eine bessere Vorbereitung auf Führungsaufgaben können helfen, potenziellen Missbrauch vorzubeugen.
Die DFG-Leitlinien und die Ordnung der Uni spiegeln noch einen Aspekt wider – nämlich, dass wissenschaftliche Leistungen deutlich stärker als bisher qualitativ bewertet werden. Gibt es einen Wandel in der akademischen Kultur?
Die DFG setzt bereits seit einiger Zeit darauf, nicht die Anzahl der Veröffentlichungen, sondern die Inhalte der Forschung stärker zu beachten. Denn der Druck, möglichst viel zu publizieren, um wiederum Fördergelder zu erhalten, war einer der Trigger für wissenschaftliches Fehlverhalten. Inzwischen gelten weitere Kriterien – etwa ob die FAIR-Prinzipien eingehalten werden. Das ist ein Hebel, den auch die Universität nutzen kann, etwa bei der Besetzung von Stellen. Auch Engagement in der Lehre oder für den Transfer können laut Leitlinie in die Bewertung einfließen. Vieles ist noch am Anfang, wird aber künftig eine immer größere Rolle spielen.
Interview: Constanze Böttcher
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