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Quanteneffekt oder magnetische Partikel?

Die beiden vermuteten Magnetsinne beruhen auf unterschiedlichen physikalischen Prinzipien. Daher lassen sich Verhaltensexperimente konstruieren, um zwischen beiden zu unterscheiden. Der quantenmechanische Radikalpaarmechanismus etwa ist lichtabhängig und kann daher bei absoluter Dunkelheit nicht funktionieren. Zudem wird er durch Elektrosmog gestört.

Der auf magnetischen Teilchen basierende Sinn hingegen sollte weder durch Dunkelheit noch durch elektromagnetische Strahlung beeinträchtigt werden, dafür aber durch sogenannte Magnetpulse – kurze, starke Änderungen des Magnetfeldes. Diese Impulse können die Richtung des Magnetfeldes in magnetischen Mineralien zeitweise umkehren. Tests mit Singvögeln haben ergeben, dass sie Licht benötigen, um den Magnetsinn benutzen zu können, und dass Elektrosmog ihre Orientierung stört. Neben vielen anderen Ergebnissen spricht dies dafür, dass ihr Magnetsinn auf dem Radikalpaarmechanismus beruht.

Magnetische Pulse brachten in Experimenten hingegen die Orientierung von Tauben, jungen Meeresschildkröten und Fledermäusen durcheinander, weshalb bei ihnen der partikelbasierte Sinn vermutet wird. Nicht auszuschließen ist, dass bei manchen Tieren beide Sinne vorhanden sind und für unterschiedliche Aspekte der Navigation verwendet werden.

  • Das Bild zeigt eine Fledermaus, die auf einem Kompass sitzt.

    Mückenfledermäuse stehen unter Naturschutz und ernähren sich überwiegend von kleinen Insekten sowie Wasserinsekten. Die Tiere wiegen nur wenige Gramm und können bis zu 5 Zentimeter groß werden. Christian Giese

Der innere Kompass

Viele Tiere können das Magnetfeld wahrnehmen, doch passende Sinneszellen wurden noch nicht entdeckt. Mehrere Arbeitsgruppen sind der rätselhaften Wahrnehmung auf der Spur – mit ausgeklügelten Experimenten und modernster Technik.

Viele Tiere können das Magnetfeld wahrnehmen, bei einigen beruht dieser Sinn wahrscheinlich auf magnetischen Eisenoxidteilchen. Doch bisher konnte noch niemand passende Sinneszellen identifizieren. Mehrere Forschungsgruppen an der Universität sind der rätselhaften Wahrnehmung auf der Spur – mit ausgeklügelten Experimenten und modernster Technik.

Von Wüstenameisen, Rauhautfledermäusen und Regenbogenforellen

Was haben Wüstenameisen, Rauhautfledermäuse und Regenbogenforellen gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel: Die einen krabbeln, die anderen fliegen und die dritten schwimmen. Und auch sonst lassen sich viele Unterschiede finden: Die Ameisen sind Insekten, wiegen nur ein paar Tausendstel Gramm und leben in Staaten. Die Fledermäuse gehören zu den Säugetieren, sind einige Gramm schwer und haben ein komplexes Sozialleben. Die als Speisefische beliebten Forellen wiederum können einige Kilogramm auf die Waage bringen und führen in freier Wildbahn ein Leben als Einzelgänger.

Doch so verschieden die drei Tierarten sein mögen – sie alle besitzen eine erstaunliche, aber kaum verstandene Fähigkeit: Sie sind in der Lage, das schwache und für Menschen nicht wahrnehmbare magnetische Kraftfeld der Erde zu spüren. Und sie nutzen diese Sinneswahrnehmung, um sich zu orientieren und teils über weite Strecken zu navigieren. Aus diesem Grund werden sie an der Universität genauer erforscht – als mögliche Modellorganismen, um den rätselhaften Magnetsinn besser zu verstehen.

Diese Sinneswahrnehmung gilt nach wie vor als eins der mysteriösesten Phänomene der Biologie. „Der Magnetsinn wird zwar schon seit Jahrzehnten erforscht, ist aber immer noch ein stark debattiertes Feld“, sagt Dr. Oliver Lindecke, Research Fellow im Oldenburger Sonderforschungsbereich (SFB) „Magnetrezeption und Navigation von Vertebraten“ und Experte für die Navigation von Fledermäusen. Eine mögliche Ursache für die anhaltenden Kontroversen: „Vermutlich nutzen Tiere mindestens zwei unterschiedliche Methoden, um das Magnetfeld wahrzunehmen“, so der Forscher.

Recht viele Belege gibt es bereits dafür, dass kleine Singvögel sich auf einen Quanteneffekt verlassen, den sogenannten Radikalpaarmechanismus. Er findet offenbar im Auge statt und wird durch Licht in Gang gebracht. Der vom Oldenburger Biologen Prof. Dr. Henrik Mouritsen koordinierte SFB und ein weiteres vom Europäischen Forschungsrat gefördertes Projekt der Universitäten Oldenburg und Oxford untersuchen diese Hypothese seit längerem intensiv. Die beteiligten Forschenden haben bereits viele Erkenntnisse zusammengetragen, die allmählich ein Gesamtbild davon ergeben, wie der Mechanismus funktionieren könnte.

Der zweite Magnetsinn könnte auf magnetischen Eisenoxid-Partikeln beruhen. Eine naheliegende Idee – schließlich bestehen auch Kompassnadeln, die von der Kraft des Erdmagnetfeldes nach Norden gezogen werden, aus solchen magnetischen Mineralien. Doch die Beweislage ist bislang unübersichtlich: Zwar deuten Verhaltensexperimente darauf hin, dass verschiedene Tiere diesen Mechanismus nutzen, aber ein Nachweis entsprechender magnetischer Strukturen ist bislang noch nicht gelungen.

In Oldenburg untersuchen Forschende das Thema aus mehreren Richtungen. Zum einen erforschen Teams um die Biologin Dr. Pauline Fleischmann, um Oliver Lindecke und den Physiker Prof. Dr. Michael Winklhofer magnetsensible Tiere wie Ameisen, Fledermäuse und Forellen und testen etwa anhand von Verhaltensexperimenten, wie deren Sinneswahrnehmung im Detail funktioniert. Zum anderen arbeitet Winklhofer mit seiner Arbeitsgruppe „Sensorische Biologie der Tiere“ daran, neue Labormethoden und Mikroskopieverfahren zu etablieren.

Ein rätselhafter Sinn

Dabei ist es vorteilhaft, dass bereits Organismen bekannt sind, die magnetische Teilchen zur Orientierung nutzen – sogenannte magnetotaktische Bakterien. Diese Einzeller bilden Ketten aus magnetischen Nanopartikeln aus, die Magnetosome genannt werden. Sie helfen den Mikroben dabei, sich in Gewässern entlang der Linien des Erdmagnetfeldes zielgerichtet nach oben oder unten zu bewegen. „Man kann sich die Magnetosome als mikroskopisch kleine Kompassnadeln vorstellen“, sagt der Physiker. Er und sein Team nutzen die Bakterien als „Positivkontrolle“ – als Möglichkeit, um zu demonstrieren, dass ein Verfahren zum Nachweis von magnetischen Nanopartikeln funktioniert.

Der Theorie zufolge könnten sich in höheren Lebewesen ähnliche Ketten oder Klumpen magnetischer Mineralien in Nervenzellen befinden. Wenn sich diese Mini-Magneten drehen, könnte dies einen mechanischen Reiz erzeugen, den die Nervenzelle in ein Signal umwandelt und weiterleitet. Das Ziel von Winklhofers Team besteht darin, solche wohl nur wenige Milliardstel Meter (Nanometer) großen magnetischen Eisenoxid-Partikel nachzuweisen und gleichzeitig ihre genaue Lage zu bestimmen. Das Problem dabei: Eisen ist sowohl in Lebewesen als auch in der Umwelt allgegenwärtig, weshalb es leicht zu Verunreinigungen oder Verwechselungen kommen kann.

Unter den Mikroskopen, die die Forschenden verwenden, ist eines, das magnetische Teilchen innerhalb von Gewebeproben durch Fluoreszenz sichtbar macht. Seit kurzem steht außerdem ein hochmodernes Rasterelektronenmikroskop zur Verfügung, das selbst empfindliches biologisches Material in höchster Auflösung abbildet. Gleichzeitig ist das Gerät in der Lage, die Position verschiedener Elemente – etwa Eisen – innerhalb einer Probe räumlich sehr genau nachzuweisen. Mit dieser Kombination erhofft sich das Team, die gesuchten Partikel endlich innerhalb von Nervenzellen nachweisen zu können.

Als Modellorganismus dient den Forschenden die Regenbogenforelle. „Studien legen nahe, dass bei ihnen der trigeminale Nerv an der Magnetwahrnehmung beteiligt sein könnte“, sagt die Biologin Dr. Laura Ziegenbalg, Postdoktorandin in Winklhofers Team. Beim Menschen ist dieser Nerv als Gesichtsnerv bekannt, er leitet Schmerz- oder Druckreize aus dem vorderen Bereich des Kopfes ans Gehirn weiter. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1997 deutet darauf hin, dass bei Regenbogenforellen derjenige Ast dieses Nervs eine Rolle spielt, der Reize aus der Umgebung von Auge und Nase weiterleitet, zudem wurden Magnetitteilchen in der Nasengrube der Fische gefunden. Doch ein eindeutiger Beweis dafür, dass die gesuchten Sinneszellen sich tatsächlich dort befinden, steht noch aus. Mit dem neuen Rasterelektronenmikroskop hat Winklhofers Team nun die Möglichkeit, die aufwändigen Untersuchungen wesentlich schneller durchzuführen als bisher.

Ein Navi für Insekten

Der hochmoderne Apparat kommt auch der Forschung von Pauline Fleischmann zugute, die die Orientierung von Wüstenameisen erforscht. Die Biologin ist ebenfalls auf der Suche nach Sinneszellen für Magnetfelder. „Unsere Arbeitshypothese ist, dass der Magnetsinn in den Antennen liegt“, sagt die Forscherin, die als „Research Group Fellow“ dem Oldenburger SFB zur Magnetwahrnehmung angehört. Die feinen Fühler seien Multifunktionsorgane, mit denen die Tiere unter anderem riechen und tasten.

Die Wüstenameisen sind für die Magnetsinnforschung ein interessantes Modell, da sie als Insekten relativ einfache Organismen mit überschaubarem Nervensystem sind, gleichzeitig aber über ein ausgezeichnetes Orientierungsvermögen verfügen. „Ihre Navigationsleistung ist sehr beeindruckend“, sagt die Forscherin. Die Krabbler leben in eintönigen Salzpfannen in der nordafrikanischen Sahara oder in Pinienwäldern in Griechenland. Bei der Futtersuche entfernen sie sich manchmal hunderte von Metern von ihrem Nest, um dann, wenn sie etwas Essbares gefunden haben, auf geradem Weg dorthin zurückzukehren. Schon länger war bekannt, dass sie für die Orientierung unter anderem einen sogenannten Himmelskompass nutzen, der etwa den Stand der Sonne berücksichtigt.

Unerwarteterweise entdeckte Fleischmann 2018 während ihrer Doktorarbeit, dass die Ameisen auch einen Magnetsinn besitzen. Wenn die Tiere das erste Mal das Nest verlassen und sogenannte Lernläufe absolvieren, orientieren sie sich am Erdmagnetfeld, um sich die Richtung des Nesteingangs einzuprägen, so ihre Erkenntnis. Aus Sicht der Forscherin eröffnen die Ameisen einen interessanten Blickwinkel auf den Magnetsinn: „Oft wird angenommen, dass die Magnetwahrnehmung vor allem für migrierende Arten sinnvoll ist, die lange Strecken zurücklegen, aber die Wüstenameisen sind das lebende Gegenbeispiel“, betont sie.

Fleischmann untersucht neben dem potenziellen Sinnesorgan auch das Verhalten der Tiere im Freiland und im Labor sowie die Reizverarbeitung im Gehirn. Ihre Untersuchungen haben zum Beispiel gezeigt, dass die Lernläufe messbare Spuren im Gehirn hinterlassen. Wenn die Wüstenameisen bei ihrem ersten Ausflug aus dem Nest einem manipulierten Magnetfeld ausgesetzt sind, bleiben zwei für die Orientierung wichtige Hirnbereiche kleiner und schwächer vernetzt, berichtete die Forscherin kürzlich gemeinsam mit Kollegen von der Universität Würzburg im Fachjournal PNAS. Offenbar trage der Magnetkompass dazu bei, den visuellen Kompass zu kalibrieren und das räumliche Gedächtnis auszubilden. Weitere Untersuchungen sollen nun klären, wie sich die fehlenden Magnetreize während der Lernphase im späteren Leben der Ameisen auswirken, wenn sie zur Futtersucherin werden.

Die Reise der Fledermäuse

Auch einige Säugetiere können das Magnetfeld wahrnehmen, doch ähnlich wie bei Insekten gibt es zu ihrem Magnetsinn erst wenige Studien. „Die gesamte Forschung zu Orientierung und Navigation bei Säugetieren liegt etwa im Vergleich zur Vogelforschung mindestens 50 Jahre zurück“, sagt Oliver Lindecke. Er hat sich auf Fledermäuse spezialisiert, die aus seiner Sicht besonders gut geeignet sind, um diese Phänomene bei Säugetieren zu ergründen. „Das sind freundliche Tiere, mit denen man sehr gut arbeiten kann“, erklärt der Biologe.

Lindeckes Hauptziel besteht darin herauszufinden, wie der Magnetkompass Fledermäusen bei der Orientierung hilft. Er und seine Kollegen führen dafür Experimente nahe der Ornithologischen Station der Universität von Lettland in Pape durch. „Im August und September wandern dort Zehntausende Fledermäuse entlang der Ostseeküste nach Süden“, berichtet er. Ein fantastisches Schauspiel: „Das ist etwas weltweit Einzigartiges, wirklich umwerfend“, so der Forscher, der in den vergangenen Jahren viel Basisarbeit geleistet hat, um das Verhalten der Tiere zu verstehen und geeignete Versuchsanordnungen zu etablieren.

Was er dabei bereits erreicht hat, kann sich sehen lassen: So wies er zunächst nach, dass Fledermäuse ihren Zug in der gleichen Richtung fortsetzen, wenn man sie einfängt und anderswo wieder freilässt. „Das war der erste Kernpunkt, der zu beweisen war, um überhaupt ein Modell für die Säugetiernavigation zu haben“, betont er. Als zweites entwickelte er eine ausgeklügelte Versuchsanordnung, um die Richtung zu ermitteln, in die eine Fledermaus ziehen will: Er verwendet eine kreisförmige Arena mit eng darüber liegendem Deckel, in deren Mitte die Fledermäuse freigelassen werden. Durch diesen Aufbau muss ein Tier erst zum Rand der Arena krabbeln, bevor es losfliegen kann. Es hat dabei jedoch keinen Blick auf den Himmel und kann auch die Echoortung nur begrenzt zur Orientierung nutzen. Wie Lindecke nachwies, lässt sich die geplante Flugrichtung anhand der Stelle am Rand der Arena ermitteln, an der die Tiere abfliegen. Zudem fand der Forscher heraus, dass Mückenfledermäuse ihren Magnetkompass bei Sonnenuntergang neu justieren. Um ihre Flugroute auch später in der Nacht bestimmen zu können, verwenden sie den Punkt am Horizont, an dem die Sonne untergeht. „Es liegt nahe, dass die Fledermäuse dabei ihren Magnetkompass kalibrieren“, so Lindecke. In einer Ende 2023 veröffentlichten Studie schrieb der Forscher, dass sie empfindlich für zwei unterschiedliche Komponenten des Erdmagnetfelds sind, nämlich die horizontale Richtung und die Neigung des Feldes zur Erdoberfläche, die sogenannte Inklination.

Seine bisherigen Untersuchungen lassen Lindecke vermuten, dass Fledermäuse eher die partikelbasierte Form des Magnetsinns nutzen. Der Ort, an dem er nun gemeinsam mit Winklhofer als erstes nach den Nanoteilchen suchen möchte, ist die Hornhaut des Auges – bei Säugetieren ein besonders dicht mit Nerven versehenes Gewebe. In Verhaltensexperimenten hat der Forscher bereits Hinweise dafür gefunden, dass die Hornhaut an der Magnetwahrnehmung beteiligt sein könnte.

Lindecke ist zuversichtlich, dass sich das Rätsel um den partikelbasierten Magnetsinn in den nächsten Jahren lösen lassen wird. Gute Voraussetzungen für Fortschritte sieht er in Oldenburg, wo sich inzwischen mehrere Forschungsteams mit breit gefächerter Expertise rund um die Magnetwahrnehmung versammelt haben: „Wenn man irgendwo auf der Welt sein will, um herauszufinden, wo sich im Körper der Magnetsinn befindet, dann ist man hier an der richtigen Stelle.“

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