Auch einige Säugetiere können das Magnetfeld wahrnehmen, doch ähnlich wie bei Insekten gibt es zu ihrem Magnetsinn erst wenige Studien. „Die gesamte Forschung zu Orientierung und Navigation bei Säugetieren liegt etwa im Vergleich zur Vogelforschung mindestens 50 Jahre zurück“, sagt Oliver Lindecke. Er hat sich auf Fledermäuse spezialisiert, die aus seiner Sicht besonders gut geeignet sind, um diese Phänomene bei Säugetieren zu ergründen. „Das sind freundliche Tiere, mit denen man sehr gut arbeiten kann“, erklärt der Biologe.
Lindeckes Hauptziel besteht darin herauszufinden, wie der Magnetkompass Fledermäusen bei der Orientierung hilft. Er und seine Kollegen führen dafür Experimente nahe der Ornithologischen Station der Universität von Lettland in Pape durch. „Im August und September wandern dort Zehntausende Fledermäuse entlang der Ostseeküste nach Süden“, berichtet er. Ein fantastisches Schauspiel: „Das ist etwas weltweit Einzigartiges, wirklich umwerfend“, so der Forscher, der in den vergangenen Jahren viel Basisarbeit geleistet hat, um das Verhalten der Tiere zu verstehen und geeignete Versuchsanordnungen zu etablieren.
Was er dabei bereits erreicht hat, kann sich sehen lassen: So wies er zunächst nach, dass Fledermäuse ihren Zug in der gleichen Richtung fortsetzen, wenn man sie einfängt und anderswo wieder freilässt. „Das war der erste Kernpunkt, der zu beweisen war, um überhaupt ein Modell für die Säugetiernavigation zu haben“, betont er. Als zweites entwickelte er eine ausgeklügelte Versuchsanordnung, um die Richtung zu ermitteln, in die eine Fledermaus ziehen will: Er verwendet eine kreisförmige Arena mit eng darüber liegendem Deckel, in deren Mitte die Fledermäuse freigelassen werden. Durch diesen Aufbau muss ein Tier erst zum Rand der Arena krabbeln, bevor es losfliegen kann. Es hat dabei jedoch keinen Blick auf den Himmel und kann auch die Echoortung nur begrenzt zur Orientierung nutzen. Wie Lindecke nachwies, lässt sich die geplante Flugrichtung anhand der Stelle am Rand der Arena ermitteln, an der die Tiere abfliegen. Zudem fand der Forscher heraus, dass Mückenfledermäuse ihren Magnetkompass bei Sonnenuntergang neu justieren. Um ihre Flugroute auch später in der Nacht bestimmen zu können, verwenden sie den Punkt am Horizont, an dem die Sonne untergeht. „Es liegt nahe, dass die Fledermäuse dabei ihren Magnetkompass kalibrieren“, so Lindecke. In einer Ende 2023 veröffentlichten Studie schrieb der Forscher, dass sie empfindlich für zwei unterschiedliche Komponenten des Erdmagnetfelds sind, nämlich die horizontale Richtung und die Neigung des Feldes zur Erdoberfläche, die sogenannte Inklination.
Seine bisherigen Untersuchungen lassen Lindecke vermuten, dass Fledermäuse eher die partikelbasierte Form des Magnetsinns nutzen. Der Ort, an dem er nun gemeinsam mit Winklhofer als erstes nach den Nanoteilchen suchen möchte, ist die Hornhaut des Auges – bei Säugetieren ein besonders dicht mit Nerven versehenes Gewebe. In Verhaltensexperimenten hat der Forscher bereits Hinweise dafür gefunden, dass die Hornhaut an der Magnetwahrnehmung beteiligt sein könnte.
Lindecke ist zuversichtlich, dass sich das Rätsel um den partikelbasierten Magnetsinn in den nächsten Jahren lösen lassen wird. Gute Voraussetzungen für Fortschritte sieht er in Oldenburg, wo sich inzwischen mehrere Forschungsteams mit breit gefächerter Expertise rund um die Magnetwahrnehmung versammelt haben: „Wenn man irgendwo auf der Welt sein will, um herauszufinden, wo sich im Körper der Magnetsinn befindet, dann ist man hier an der richtigen Stelle.“