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Die Erinnerung der Oldenburger

Was haben die Oldenburger Fußgängerzone, der Grünkohl und der Künstler Horst Janssen gemeinsam? Ganz einfach: Sie gelten als charakteristisch für Oldenburg, als sogenannte „Erinnerungsorte“.

Was haben die Oldenburger Fußgängerzone, der Grünkohl und der Künstler Horst Janssen gemeinsam? Ganz einfach: Sie gelten als charakteristisch für Oldenburg, als sogenannte „Erinnerungsorte“.

Studierende des Fachs Geschichte haben  in einem Aufsatzband 17 Oldenburger Erinnerungsorte untersucht. Dazu ein Interview mit der Leiterin des Projekts, der Historikerin Mareike Witkowski.

Frage: Frau Witkowski, wie ist das historische Konzept der Erinnerungsorte entstanden – und was ist überhaupt ein Erinnerungsort?

Witkowski: Den Begriff hat in der Mitte der 1980er Jahre der französische Historiker Pierre Nora entwickelt. Sein Ziel war, zu beschreiben, woran sich die Franzosen kollektiv erinnern. Ein wenig ging es auch darum, nationalen Patriotismus zu transportieren. Daraus sind dann letztlich sieben Bände mit französischen Erinnerungsorten entstanden. Erinnerungsorte können nach Noras Konzept materiell oder immateriell sein – also nicht nur Denkmäler oder Gebäude, sondern zum Beispiel auch die französische Nationalhymne. Mittlerweile gibt es für fast jede europäische Nation Sammelbände zu Erinnerungsorten. Die dreibändigen „Deutschen Erinnerungsorte“, herausgegeben von Étienne François und Hagen Schulze, sind 2001 erschienen.

Frage: Das Konzept der Erinnerungsorte ist außer auf Nationen auch auf Beziehungen zwischen Nationen angewandt worden, außerdem auf ganze historische Epochen wie die Antike. Auch auf die lokale und regionale Geschichte – wie jetzt mit dem Band zu „Oldenburger Erinnerungsorten“?

Witkowski: Erstaunlicherweise kaum – und wenn ja, dann ging es in der Regel nur um Materielles, in erster Linie Denkmäler. Vielleicht liegt das daran, wie viel Arbeit ein solches Projekt macht. Das haben wir auch in dem Seminar festgestellt, aus dem die „Oldenburger Erinnerungsorte“ hervorgegangen sind. Bei der Auswertung der Quellen muss man sehr viel um die Ecke denken: Wo finde ich überhaupt Hinweise auf kollektive Erinnerung? Zu welchen historischen Zeitpunkten könnte es Erinnerung an einen bestimmten Erinnerungsort gegeben haben? Wann sind Denkmalsdebatten geführt worden?

Frage: Für die Auswahl der 17 Oldenburger Erinnerungsorte, die in den Band aufgenommen wurden, haben die Studierenden sowohl Passanten in der Fußgängerzone als auch HistorikerInnen und Museumsfachleute befragt. Wichen die Antworten der Laien von denen der ExpertInnen ab?

Witkowski: Ja, da gab es große Unterschiede. Die meisten Nicht-Fachleute haben Erinnerungsorte angegeben, die auch in Stadtführern vermerkt sind. Häufig wurden auch Sportvereine, Ausgeh-Orte oder solche Erinnerungsorte genannt, die für das eigene Leben eine wichtige Rolle gespielt haben: Ein Befragter nannte zum Beispiel das Prinzenpalais, weil er dort sein erstes „Date“ mit seiner späteren Lebenspartnerin hatte. Die HistorikerInnen und Museumsfachleute dagegen haben eher auf die weniger populären, aber trotzdem wichtigen Erinnerungsorte verwiesen. Dazu gehört die mittelalterliche Schlacht bei Altenesch. In dem Ort in der Wesermarsch kämpften 1234 die Stedinger Bauern gegen ein Heer des Bremer Erzbischofs und der Oldenburger Grafen. Im Nationalsozialismus wurde diese Schlacht sehr stark politisch instrumentalisiert, eine Erinnerung daran gibt es aber bis heute.

Frage: Neben eindeutig oldenburgischen Erinnerungsorten wie die Lambertikirche oder die Trolli- und Pekolbusse haben Sie in den Band auch Stichworte wie „Flucht und Vertreibung“ oder „Fußgängerzone“ aufgenommen. Von Flucht und Vertreibung waren auch viele andere deutsche Städte betroffen, und auch eine Fußgängerzone gibt es ja nicht nur in Oldenburg  …

Witkowski: Dieses Problem haben wir lange diskutiert. Letztlich sind wir aber zum Schluss gekommen, dass auch diese Erinnerungsorte Oldenburger Spezifika aufweisen. Was Flucht und Vertreibung für Oldenburg bedeuteten, hat der Titel eines Buches zu dem Thema sehr gut auf den Punkt gebracht: „Großstadt wider Willen“. Rund 40.000 Neu-OldenburgerInnen wurden in den letzten Wochen des Krieges und nach Kriegsende aufgenommen. Die Erinnerung daran und an die Herkunftsgebiete der Flüchtlinge und Vertriebenen wurde für Oldenburg sehr prägend. Was die Fußgängerzone betrifft: Die OldenburgerInnen hängen wohl stärker an ihr als die Bewohner anderer Städte. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Oldenburger Innenstadt den Krieg relativ unbeschadet überstand und zur ersten autofreien Innenstadt Deutschlands wurde. 
 
Frage: Wie stark ist die lokale und regionale nationalsozialistische Geschichte unter den OldenburgerInnen präsent?

Witkowski: Ich denke, sie ist sehr präsent, aber nicht in allen Aspekten gleichermaßen. Verbreitet ist zum Beispiel die Erinnerung an den 9. November 1938, als die Synagoge in Brand gesetzt wurde und die Oldenburger Juden vom Pferdemarkt zum Gefängnis im Gerichtsviertel getrieben wurden. Das dürfte vor allem Verdienst des Erinnerungsgangs sein, den der Arbeitskreis Erinnerungsgang und Oldenburger Schulen seit 1981 organisieren. So gut wie nicht in der Erinnerung präsent ist jedoch, dass Oldenburg das Land war, das reichsweit als erstes von Nationalsozialisten – und zwar von einer Alleinregierung - regiert wurde. Das war bereits im Juni 1932, rund ein halbes Jahr vor der sog. Machtergreifung in Berlin.   

Frage: Sie haben auch die Universität Oldenburg in Ihren Band aufgenommen. Was war und ist für die Entwicklung des Erinnerungsortes „Uni Oldenburg“ entscheidend?

Witkowski: Spannend ist, wie sich das Verhältnis von Stadt und Universität entwickelt hat. Am Anfang galt die Universität als „rote Kaderschmiede“. Das bürgerliche Oldenburg fürchtete sich vor „Bremer Verhältnissen“ – davor, dass hier ausschließlich Linke lehren und studieren und die schöne, beschauliche Stadt in eine völlig falsche Richtung lenken würden. Als sich diese Ängste im Verlaufe der Jahre als unbegründet herausstellten, entspannte sich das Verhältnis. Eine neue Entwicklung hat sich zuletzt dadurch ergeben, dass Oldenburg sein Image von einer Beamten- und Verwaltungsstadt zu einer Stadt der Wissenschaft weiterentwickelt hat. Damit ist die Universität zu einem wichtigen Imagefaktor geworden.

Frage: Auf dem Buchcover der „Oldenburger Erinnerungsorte“ ist die Figur Graf Anton Günthers abgebildet, um deren mögliche Aufstellung auf dem Schlossplatz ein heftiger Streit entbrannt ist. Für Ihr Buchprojekt muss der Ausbruch dieser Debatte ein Glücksfall gewesen sein …

Witkowski: Das kann man so sagen. Diese Diskussion beweist, dass das, was wir gemacht haben, nicht abgeschlossen ist, sondern eine hohe aktuelle Bedeutung hat. Dabei zeigt der Aufsatz über Graf Anton Günther in den „Oldenburger Erinnerungsorten“ aber auch, dass es im 19. Jahrhundert bereits eine ähnliche Debatte um ein Denkmal für den „Friedensfürsten“ und „Pferdegrafen“ gab. Diese erinnerungspolitischen Grabenkämpfe sind also nicht neu.

Mareike Witkowski (Hg.): Oldenburger Erinnerungsorte. Vom Schloss bis zur Hölle des Nordens, von Graf Anton Günther bis Horst Janssen. Isensee Verlag, Oldenburg 2012, 19,80 Euro

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