Das bildungswissenschaftliche Projekt CERM-ESA bringt Studierende aus afrikanischen Ländern mit Oldenburger Forschenden zusammen. Zwei Teilnehmende berichten von ihren Erfahrungen – und wie die Zeit in Oldenburg ihre Forschung inspiriert.
Es war ein eher ungewöhnlicher Weg, der Obadiah Orang’i nach Oldenburg führte. Der Kenianer arbeitete gerade als Lehrer für Suaheli in den Vereinigten Staaten und plante, seine Kenntnisse durch einen bildungswissenschaftlichen Masterstudiengang zu vertiefen, als er vor drei Jahren erstmals von CERM-ESA hörte. „Ich bin bei meiner Recherche auf die Programme des DAAD gestoßen. Als ich sah, dass eines der Programme einen Studiengang an meiner Heimatuniversität, der Moi University in Eldoret anbietet, habe ich mich sofort beworben.“ Mit Erfolg, heute studiert Orang’i im forschungsorientierten Master of Education-Studiengang des Programms. Dazu gehört auch ein Aufenthalt an der Universität Oldenburg.
Bereits seit 2014 arbeiten deutsche und afrikanische Partner unter Oldenburger Leitung in dem vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderten Programm „East and South African-German Centre of Excellence for Educational Research Methodologies and Management“ (CERM-ESA) zusammen. Ziel ist eine innovative Bildungsforschung, die die spezifischen Herausforderungen in den süd- und ostafrikanischen Ländern berücksichtigt und Weiterentwicklungen vor Ort ermöglicht – ob in den Schulen, in der Hochschule oder in der Politikberatung.
Orang‘i befasst sich aktuell mit der Frage, wie sich neue IT-Anwendungen in kenianischen Junior Schools – diese entsprechen im Wesentlichen den deutschen Sekundarschulen – integrieren lassen. Dazu kombiniert er qualitative mit quantitativen Forschungsmethoden. „Meinen Mixed-Methods-Ansatz konnte ich auch dank meiner Zeit in Oldenburg weiterentwickeln. Das betrifft vor allem die Interpretation meiner in Kenia erhobenen Daten. In den drei Monaten hier habe ich über andere Forschende viele neue Ansätze und Methoden kennengelernt, die mich bei meinem Projekt weiterbringen“, sagt der DAAD-Stipendiat.
Studiengänge, Summer Schools, Weiterbildungen – CERM-ESA bietet viel
Diana Achuch ist schon zum zweiten Mal in Deutschland. Die Pädagogik-Masterstudentin, wie Orang’i aus Kenia, hat bereits im vergangenen Jahr eine Summer School an der Universität Leipzig absolviert. Auch Achuch ist DAAD-Stipendiatin und Masterstudentin im CERM-ESA-Studiengang. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Frage, welche Erfahrungen kenianische Lehramtsstudierende während ihrer Schulpraktika machen und wie sich das auf ihre spätere Identität und Arbeit als Lehrkraft auswirkt. Dass CERM-ESA auch ein Mentoringprogramm vorsieht, hat für Achuch einen besonderen Wert: „Mit meiner Mentorin Malve von Möllendorf, einer erfahrenen Bildungsforscherin, habe ich mich intensiv über mein Projekt ausgetauscht. Außerdem hat sie mich rund um Fragen zum Studienaufbau und zur Methodik beraten.“ Neben den Menschen am Institut für Pädagogik schätzt Achuch vor allem die Forschungsinfrastruktur an der Uni Oldenburg, zum Beispiel die digitale wie analoge Ausstattung der Universitätsbibliothek. Über die digitale Plattform DIGI-FACE, auf der die Universität Oldenburg Weiterbildungsprogramme für DAAD-Stipendiaten aus Sub-Sahara-Afrika anbietet, abrufbare Kurse in Präsentationsfähigkeiten, Karriereentwicklung und ähnlichen Themen seien ebenfalls sehr wertvoll für ihre persönliche Entwicklung gewesen.
CERM-ESA und der Aufenthalt in Oldenburg bieten Orang’i, Achuch und den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten zudem die ausgezeichnete Chance, sich ein internationales Netzwerk aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufzubauen – neben Deutschland und Kenia kommen die Studierenden und Forschenden aus Südafrika, Tansania und Uganda. Daraus ergeben sich verschiedene länderspezifische Perspektiven, was die beiden sehr schätzen. „Das Programm passt perfekt zu meinen Interessen“, resümiert Orang’i.
Nicht nur die afrikanischen Teilnehmenden des Projekts profitieren, auch die Oldenburger Seite. „Der Austausch über die Forschungsprojekte der afrikanischen Stipendiatinnen und Stipendiaten ist für unsere Forschenden inspirierend, und natürlich knüpfen auch sie wertvolle Kontakte“ , sagt Dr. Malve von Möllendorff, die nicht nur Mentorin, sondern auch Projektkoordinatorin von CERM-ESA ist – gemeinsam mit der Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Susan Kurgat von der Moi University (Kenia). „Wir möchten innovative Forschung in den Erziehungswissenschaften vorantreiben, die auch relevant für die Praxis ist und die Situation vor Ort wirklich verändert“, fügt von Möllendorff hinzu.
Bewusstsein für die Nachwirkungen der Kolonialzeit
Dabei sei man sich jedoch auch der kolonialen Vergangenheit mit ihren Nachwirkungen bewusst – Deutschland war einst Kolonialmacht in Tansania und auch die anderen afrikanischen Staaten wurden Ziel und Opfer des europäischen Kolonialismus. Viele der heutigen Ungleichheiten, beispielsweise in der Wissensproduktion und in der Fähigkeit, hochwertige universitäre Bildung und Forschung bereitzustellen, haben ihre Wurzeln in dieser Vergangenheit. Auch die finanziellen und administrativen Strukturen von CERM-ESA sowie die außenpolitische Zielsetzung der Entwicklungszusammenarbeit stünden einer gleichwertigen Partnerschaft oft im Wege. „Wir sehen es als Teil unserer Aufgabe, diese asymmetrischen Strukturen zu benennen und wo möglich abzubauen“, erklärt von Möllendorff. Daher träfen die Vertreterinnen und Vertreter aller Einrichtungen die Entscheidungen innerhalb der Projekte gemeinsam, wodurch eine paritätische Entscheidungsstruktur entstanden ist. Alles in allem sei CERM-ESA ein großer Erfolg und zeige, wie internationale Kooperation in bildungswissenschaftlichen Fragen gelingen kann.
Obadiah Orang’i hofft, dass seine Forschung künftig dazu beiträgt, das Bildungssystem in Kenia in puncto Digitalisierung voranzubringen. Bis dahin genießt er die Zeit in dem Programm und in Oldenburg: „Nach meinen Aufenthalten in Kenia und den USA habe ich davon geträumt, auch Europa und dessen kulturellen Eigenheiten kennenzulernen. Nun habe ich die Gelegenheit dazu.“ Achuch schätzt vor allem die Ruhe, die Oldenburg ausstrahlt. „Gleichzeitig fördert die Atmosphäre in der Stadt und an der Universität meine Kreativität“, sagt sie. Achuch hat den Wunsch entwickelt, im Anschluss an ihr Studium zu promovieren – am liebsten in Oldenburg.