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Dr. Hilkje Hänel studierte englische Literatur und Philosophie in Göttingen, Sheffield, Berlin und Boston und promovierte an der Humboldt-Universität Berlin. Sie leitet ein DFG-Forschungsnetzwerk zum Thema epistemische Ungerechtigkeiten und ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Theorie der Universität Potsdam. Von September 2022 bis Mai 2023 ist sie Helene-Lange-Gastprofessorin am Institut für Philosophie der Universität.

Über die Helene-Lange-Gastprofessur

Das Helene-Lange-Gastprofessorinnen-Programm wird von Bund und Ländern im Rahmen des Professorinnenprogramms III gefördert und ermöglicht herausragenden Wissenschaftlerinnen einen Aufenthalt an der Universität Oldenburg. Die Kandidatinnen wurden jeweils von einer Professorin oder einem Professor der Universität Oldenburg vorgeschlagen und arbeiten in einem Fachgebiet, in dem Frauen an der Universität Oldenburg stark unterrepräsentiert sind. Zum Aufenthalt in Oldenburg gehört auch ein Konzept, wie die jeweilige Gastprofessorin in Lehre, Forschung und Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses mitarbeiten wird.

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Dr. Hilkje Hänel

  • Portraifoto von Dr. Hilkje Hänel, derzeit Helene-Lange-Gastprofessorin an der universität Oldenburg.

    Eine Fachkultur, die auch marginalisierte Personen einschließt und auf diese Weise mehr Gleichstellung erreicht – das ist Hilkje Hänels Vision für die Philosophie. Foto: privat

„Die Vorbilder fehlen“

Die Philosophin Hilkje Hänel beschäftigt sich mit marginalisierten Gruppen und forscht zu Fragen von Gerechtigkeit. In ihrem Fach sieht die Helene-Lange-Gastprofessorin Nachholbedarf bei der Gleichstellung. Ein Gespräch.

Die Philosophin Hilkje Hänel beschäftigt sich mit marginalisierten Gruppen und forscht zu Fragen von Gerechtigkeit. In ihrem Fach sieht die Helene-Lange-Gastprofessorin Nachholbedarf bei der Gleichstellung. Ein Gespräch.

Frau Hänel, Sie sind derzeit Helene-Lange-Gastprofessorin am Institut für Philosophie. Sind Frauen in Ihrem Fach unterrepräsentiert?

Ja, sehr – und das ist erstaunlich. Denn eigentlich haben die Geisteswissenschaften einen recht hohen Frauenanteil. Aber die Philosophie ist viel schlechter aufgestellt. Das ist auch der Grund, warum ich mich seit Jahren bei der Society for Women in Philosophy engagiere – eine der zwei großen Gesellschaften für Philosophie in Deutschland, die sich explizit um die Belange von Frauen und marginalisierten Personengruppen kümmert.

Warum fällt es der Philosophie so schwer, qualifizierte Frauen zu halten?

Einerseits spielt in der Philosophie, ähnlich wie in der Mathematik, Rationalität eine große Rolle – und die ist gerne an Geschlechterrollen geknüpft. Gleichzeitig gibt es ähnlich wie in anderen Fachkulturen einen Teufelskreis: Je weniger Frauen es in höheren Positionen gibt, desto weniger Frauen bleiben dem Fach erhalten – etwa, weil die Vorbilder fehlen. Da gibt es aus meiner Sicht Nachholbedarf.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit feministischer Philosophie. Worum geht es da?

Ich widme mich Fragen von Gerechtigkeit und Geschlechterrollen. Derzeit beschäftige ich mich mit sogenannten epistemischen Ungerechtigkeiten – also Ungerechtigkeiten, die sich auf das Wissen beziehen. Sie betreffen uns als wissende Personen und führen dazu, dass wir nicht ernst genommen werden. Wir brauchen zum Beispiel bestimmte Begriffe, um unsere Erfahrungen überhaupt artikulieren zu können: Als es den Begriff „sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ noch nicht gab, war es Frauen weder möglich, selbst genau zu verstehen, was da eigentlich passiert, noch konnten sie darauf aufmerksam machen. Unter epistemischen Ungerechtigkeiten versteht man aber auch Prozesse, in denen Frauen oder anderen marginalisierten Personen weniger Wissen zugesprochen oder sogar Fähigkeiten und Wissen abgesprochen wird. Ein Beispiel ist eben diese Vorstellung, Frauen seien weniger rational als Männer.

Woran forschen Sie konkret?

Ich konzentriere mich einerseits auf Migration, etwa auf Erfahrungen von Personen, die gerade Asylverfahren durchlaufen. Wie müssen Institutionen gestaltet sein, damit diese Personen keine epistemischen Ungerechtigkeiten erfahren? Zudem widme ich mich der Frage, inwieweit etwa Wohnheime und Werkstätten aufgrund von Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen strukturiert sind. Welche Annahmen haben wir über die Personen, ohne dass wir sie dazu überhaupt befragen? Zum Beispiel frage ich mich, welches Konzept von Sicherheit wir haben, wenn wir denken, es sei für Personen in betreuten Wohneinrichtungen sicherer, wenn sie ihre Tür nicht abschließen können – und sie so keine Privatsphäre haben.

Sind das vor allem theoretische Überlegungen?

Ja, gerade baue ich das theoretische Fundament: Warum ist es wichtig, das Wissen der betroffenen Menschen anzuerkennen und zu berücksichtigen – etwa um gut funktionierende demokratische Institutionen zu haben? Ein zweiter Schritt wäre, sich mit Fachleuten aus den Politik- und Sozialwissenschaften zusammenzutun, um das Wissen um epistemische Ungerechtigkeiten relevant für unseren demokratischen Alltag zu machen. Gerade in der Philosophie bleiben wir gerne im Türmchen. Ich schreibe außerdem an einem Buch über epistemische Ungerechtigkeiten, denn bisher gibt es kaum deutschsprachige Forschung und Literatur zu dem Thema.

Zurück zu Ihrer Rolle als Helene-Lange-Gastprofessorin: Was möchten Sie erreichen?

Wir müssen uns fragen, was wir in der Philosophie bereithalten müssen, damit Frauen und andere marginalisierte soziale Gruppen dem Fach erhalten bleiben. Aus meiner Sicht erhalten Männer eher Anerkennung dafür, dass sie eine wissenschaftliche Karriere machen. Frauen hingegen müssen sich diese Anerkennung häufig erst erkämpfen. Durch Mentoring, wie es ein Teil der Gastprofessur ist, können wir Frauen unterstützen. In Oldenburg biete ich zudem einmal im Monat ein Kolloquium für FLINTA in der Philosophie an, also für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen. Die Idee ist, einen Freiraum zu schaffen, in dem die Beteiligten ihre Arbeit zeigen, Anerkennung erhalten und sich gegenseitig stützen – so dass ein Netzwerk entsteht. Außerdem biete ich eine Sprechstunde für Studentinnen und Doktorandinnen an. Auch dass ich hier als zweite Professorin überhaupt im Institut anwesend bin, könnte Vorbildcharakter haben.

Hatten Sie denn selbst ein Vorbild – etwa im Studium?

Nein. Als ich im Bachelor Anglistik und Philosophie in Göttingen studierte, gab es auf den Professorenstellen in der Philosophie überhaupt keine Frauen – ganz anders als in der Anglistik. Als ich dann endlich eine Dozentin hatte, kam zum ersten Mal das Gefühl: Man kann als Frau auch in der Philosophie in der Wissenschaft bleiben. Für mich war es außerdem schwierig, dass das Philosophie-Studium mit seiner starken Ausrichtung auf einen sehr männlichen und weißen Kanon kaum Anknüpfungspunkte an das eigene Leben und die eigenen Fragen bot. Dies spiegeln mir auch die Oldenburger Studierenden wider. Für das Masterstudium bin ich dann nach England gegangen und habe ein sehr offenes Department gefunden, das feministisch geprägt war. Das hat mich interessiert.

Was sollte sich aus Ihrer Sicht im Studium ändern?

Wir brauchen ein Umdenken. In einem Grundlagenseminar über Kant kann man sich beispielsweise auch feministischer Kritik an Kant widmen. Wir sollten den Kanon aufbrechen und fragen, warum wir bestimmte Literatur lesen, welche institutionellen Mechanismen dem zugrunde liegen. Und wir sollten diversifizieren. Im Wintersemester habe ich beispielsweise im Masterstudium ein Seminar zu Black Feminist Philosophy angeboten. Das kam großartig an – gerade bei Studentinnen – weil es ein aktuelles Thema ist, das sie wirklich interessiert.

Was wäre ihre Vision für ihr Fach?

Meine grundlegende Vision für die Philosophie ist, dass keine Personen ausgeschlossen werden, weil sie eine marginalisierte soziale Position haben. Dabei geht es mir nicht um Identitätspolitik, sondern eher um die Strukturen und um die Frage, warum bestimmte Personen ausgeschlossen werden. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt für die Gleichstellung.

Interview: Constanze Böttcher

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