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Prof. Dr. Karsten Speck

 Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik

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  • Junge im Grundschulalter sitzt auf einem Schulflur und verbirgt das Gesicht zwischen den Armen,  andere Kinder rennen weg.

    Kinder und Jugendliche, die psychische Schwierigkeiten haben oder sich auffällig verhalten, sollen im Projekt DreiFürEins frühzeitig identifiziert werden. Foto: AdobeStock/RIDO

Gemeinsam helfen

Kinder und Jugendliche mit Auffälligkeiten, Problemen und Belastungen besser zu unterstützen – das ist Ziel eines Pilotprojekts in Hamburg. Oldenburger Forschende übernehmen die Evaluation.

Kinder und Jugendliche mit Auffälligkeiten, Problemen und Belastungen besser zu unterstützen – das ist Ziel eines Pilotprojekts in Hamburg. Oldenburger Forschende übernehmen die Evaluation.

Die neunjährige Benny ist ein Kind mit vielen liebenswerten Eigenschaften – und gleichzeitig eine Zumutung für ihre Umgebung. Immer wieder rastet sie aus, prügelt sich und rennt weg. Niemand wird mit ihr fertig: Die Mutter ist überfordert, von der Schule ist Benny suspendiert. Und wegen ihrer Wutausbrüche ist sie bereits aus mehreren Wohngruppen geflogen. Das ist die Ausgangslage im mehrfach ausgezeichneten Film „Systemsprenger“, der nicht nur die Geschichte eines schwierigen Mädchens schildert, sondern auch die Hilflosigkeit der verschiedenen Institutionen im Umgang mit auffälligen Kindern deutlich macht – trotz bester Absichten aller Beteiligten.

„In Deutschland ist eine angemessene Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die sich herausfordernd verhalten oder psychische Auffälligkeiten zeigen, erschwert – auch aus strukturellen Gründen“, sagt Prof. Dr. Karsten Speck. Der Oldenburger Bildungsforscher ist an einem Pilotprojekt mit neuem Ansatz beteiligt: Im Vorhaben DreiFürEins arbeiten Schule, Jugendhilfe sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie eng zusammen. Diese „multiprofessionelle Kooperation“ soll dazu beitragen, Kinder und Jugendliche, die wie Benny Unterstützung benötigen, frühzeitig zu identifizieren und gezielter zu fördern.

In dem in Hamburg angesiedelten Projekt unter Federführung der Techniker Krankenkasse (TK) ist Speck mit seinem Team für die wissenschaftliche Evaluation zuständig. Gemeinsam mit seinen Mitarbeiterinnen Dr. Anja Schäfer und Nantke Schmidt untersucht er, ob die neuen Ansätze tatsächlich helfen, die Lebensqualität der Kinder zu verbessern und Verhaltensauffälligkeiten zu reduzieren. Ein Team der Universität Erlangen-Nürnberg prüft zudem, ob die neue Versorgung wie erhofft Kosten spart. Weitere Projektpartner sind die Krankenkassen AOK Rheinland/Hamburg, DAK-Gesundheit, IKK classic, KNAPPSCHAFT und BARMER, das Asklepios Klinikum Hamburg-Harburg und das Katholische Kinderkrankenhaus Wilhelmstift. DreiFürEins wird über vier Jahre mit bis zu 5,9 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert.

Auffällige Kinder frühzeitig finden

Ausgangspunkt des im Frühjahr 2021 begonnenen Projekts ist ein frühzeitiges Screening von Kindern und Jugendlichen mit psychischen oder emotionalen Problemen. „Wir gehen davon aus, dass ein beträchtlicher Teil aller Mädchen und Jungen auffällig ist“, sagt Schäfer. Studien zufolge liegt ihr Anteil in Deutschland zwischen sechs und dreißig Prozent. Um besonders problembelastete Kinder zu identifizieren, arbeitet das Oldenburger Team mit den sogenannten Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) zusammen. Insgesamt 13 dieser Einrichtungen gibt es in verschiedenen Hamburger Stadtteilen. Sie sind eine Anlaufstelle für Kinder und Eltern in Schwierigkeiten, bieten aber auch Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an. Vier ReBBZ bilden die Interventionsgruppe, in der neue Versorgungsmethoden erprobt werden, die anderen dienen als Kontrollgruppe.

An dem Screening teilnehmen sollen alle Kinder und Jugendlichen zwischen 4 und 17 Jahren, die in einem ReBBZ eine längere Beratung in Anspruch nehmen. In den Fragen geht es etwa um Lernmotivation, Hilfsbereitschaft, Schulschwänzen, Wutausbrüche oder Hyperaktivität. Zeigt sich, dass ein Kind aus einem der vier Zentren der Interventionsgruppe weitere Hilfe benötigt, arbeiten Fachkräfte aus Schule, Jugendhilfe sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammen.

Sie bearbeiten Fälle gemeinsam und überlegen beispielsweise in Fallkonferenzen, wie es weitergehen soll: Benötigt die Familie Unterstützung bei der Erziehung? Soll das Kind eine sonderpädagogische Förderung erhalten oder benötigt es vielmehr eine Therapie? Die Zusammenarbeit der Fachkräfte wird außerdem durch Supervisionen, fallübergreifende Teams und Fortbildungen gestärkt. „Vielleicht sind es manchmal Kleinigkeiten, die sich durch diese Kooperation ändern, aber meine Hoffnung ist, dass sich das mittel- bis langfristig für die Kinder und Jugendlichen auszahlt“, sagt Speck.

Die Angebote – zum Beispiel Sprechstunden der Kinder- und Jugendpsychiatrie – sollen möglichst niedrigschwellig sein und vor Ort in den ReBBZ stattfinden. Dadurch hofft das Projektteam, auch Kinder und Jugendliche zu erreichen, die bislang durchs Raster fallen. Auch besonders belastete Kinder sollen ambulant versorgt werden und in ihren Familien bleiben können.

Belastete Fachkräfte

Neben einer besseren Versorgung der Kinder hat das Projekt auch die beteiligten Fachkräfte im Blick. Sie sind oft stark belastet und haben ein hohes Burnout-Risiko. Das Oldenburger Team befragt Lehrerinnen, Sozialpädagogen oder Kinderpsychologinnen im Projektverlauf zweimal, um herauszufinden, wie gut es mit der Kooperation klappt und ob sich die Selbstwirksamkeit erhöht.

Eine Zusammenarbeit von Schule, Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie sei bislang nicht selbstverständlich – und keineswegs ohne Hürden, betont Speck: „Die Erwartungen sind oft sehr groß, aber in früheren Projekten hat sich die die konkrete Umsetzung dann doch meist als herausfordernd erwiesen.“ Ursachen dafür seien unterschiedliche Rechtssysteme, Organisationsstrukturen, Fachbegriffe und Menschenbilder. Speck hat in mehreren Studien zur Kooperation von unterschiedlichen Berufskulturen und Institutionen mehrere Faktoren identifiziert, die eine Zusammenarbeit dennoch begünstigen: Das seien etwa die Unterstützung durch Führungskräfte, feste Zeitbudgets für die Kommunikation, passende Räumlichkeiten und ausreichende finanzielle Mittel.

Diese Rahmenbedingungen stimmen bei DreiFürEins: Therapieräume sind vorhanden, genügend Fachpersonal auch, sodass bis zu 550 Mädchen und Jungen bis zum Ende der Erprobungsphase im Frühjahr 2024 therapeutische Angebote erhalten können. Das Screening ist in vollem Gange und die ersten Kinder bekommen bereits die passende Unterstützung. „Wenn sich das Konzept als tragfähig erweist, soll es verstetigt und im günstigsten Fall zum Regelangebot werden“, sagt Speck. „Dann könnte unser Projekt bundesweit Schule machen.“

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(Stand: 12.04.2024)  | 
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