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Hintergrundpapier

Abteilung Organisationsbezogene Versorgungsforschung

Gesundheit gut organisiert

Vita

Prof. Dr. Lena Ansmann ist seit Ende 2017 Hochschullehrerin für Organisationsbezogene Versorgungsforschung an der Universität. Zuvor war sie Juniorprofessorin für Implementations- und Evaluationsmethoden in Heilpädagogik und Versorgungsforschung an der Universität zu Köln und leitete stellvertretend die Abteilung Rehabilitationswissenschaft des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft. In ihrer Forschung beschäftigt sich Ansmann mit den Zusammenhängen zwischen Merkmalen von Versorgungsorganisationen – wie beispielsweise Krankenhäusern und Arztpraxen – und der Versorgungsqualität. Außerdem beschäftigt sie sich mit der Patientenorientierung in der Versorgung, insbesondere in der Onkologie.  

Kontakt

Prof. Dr. Lena Ansmann

Department für Versorgungsforschung

+49 441 798-4165 

  • Ärztin mit Maske untersucht kleinen Jungen, ebenfalls mit Maske, mit dem Stethoskop.

    Viele Früherkennungsuntersuchungen fielen aufgrund der Pandemie aus oder mussten verschoben werden, etwa die U-Untersuchungen beim Kinderarzt. Foto: istock/FamVeld

  • Prof. Dr. Lena Ansmann

    Wie kann gute gesundheitliche Versorgung für alle in der Pandemie aufrecht erhalten werden? „Die beste Maßnahme wäre, das Infektionsgeschehen so weit wie möglich einzudämmen“, sagt die Oldenburger Versorgungsforscherin Lena Ansmann. Foto: Universität Oldenburg/Martin Remmers

Gute Gesundheitsversorgung in der Pandemie

Als die Corona-Infektionen im Frühjahr drastisch anstiegen, nahmen viele Menschen ärztliche Versorgung nicht in Anspruch. Im Interview erläutert Versorgungsforscherin Lena Ansmann die Gründe dafür.

Als die Zahl der Corona-Infizierten im Frühjahr drastisch stieg, nahmen viele Menschen ärztliche Versorgung nicht in Anspruch. Im Interview erläutert Versorgungsforscherin Lena Ansmann die Gründe dafür  und wie Gesundheitskompetenz dazu beitragen kann, dass alle gut versorgt sind.

Frau Prof. Dr. Ansmann, Sie engagieren sich im Kompetenznetzwerk Public Health Covid-19. Worum geht es bei der Arbeit?

Verschiedene Fachgesellschaften haben das Netzwerk bereits zum Beginn der Pandemie gemeinsam gegründet. Unser Ziel ist, den aktuellen Kenntnisstand für bestimmte Fragestellungen, die die Bevölkerung und die Gesundheitspolitik während der Pandemie beschäftigen, zusammenzufassen, zu bewerten und auch Empfehlungen auszusprechen. Letztlich wollen wir Verantwortlichen helfen, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen.

Sie beschäftigen sich konkret mit der Gesundheitskompetenz von Menschen, die nicht von Covid-19 betroffen sind. Warum?

Bereits früh im Verlauf der Pandemie war klar, dass viele Menschen ärztliche Versorgung seltener als sonst in Anspruch genommen haben. Das lag einerseits daran, dass die Krankenhäuser und auch andere Gesundheitseinrichtungen nur eingeschränkt zugänglich waren und es ja teilweise noch sind. Aber selbst da, wo der Zugang zumeist offen war, wie beispielsweise bei Arztpraxen, haben die Menschen auf gesundheitliche Versorgung verzichtet und etwa Vorsorgetermine abgesagt. Wir wollten herausfinden, warum das so ist – und das Thema überhaupt in den Mittelpunkt rücken.

Wie sind Sie das Thema angegangen?

Wir haben uns Studien angeschaut, die in der Frühphase der Pandemie oder bei anderen Pandemien, wie beispielsweise SARS, gemacht wurden. Dafür haben wir in Literaturdatenbanken recherchiert und Stellungnahmen der medizinischen Fachgesellschaften untersucht. Außerdem haben wir Artikel im Deutschen Ärzteblatt, der wichtigsten medizinischen Fachzeitschrift in Deutschland, analysiert. Leider mussten wir feststellen, dass es nur wenige gute Studien gibt. Doch diese weisen darauf hin, dass einer der Hauptgründe, nicht zum Arzt zu gehen, natürlich die Angst ist, sich anzustecken. Einige Menschen nehmen die Versorgung nicht in Anspruch, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Auch Besuchsverbote haben manche davon abgehalten, für einen geplanten Eingriff ins Krankenhaus zu gehen. Denn bevor die Betroffenen möglicherweise isoliert auf einer Station liegen, begeben sie sich lieber ein anderes Mal ins Krankenhaus.

Wie problematisch ist es denn, wenn Betroffene auf gesundheitliche Versorgung bewusst verzichten?

Manche Arztbesuche oder Krankenhausaufenthalte lassen sich sicherlich verschieben oder sind sogar unnötig. Aber kritisch ist, wenn akut schwer erkrankte Personen nicht mehr in die Notfallambulanzen gehen. Es gab im Frühjahr beispielsweise weniger Diagnosen von Herzinfarkten – nicht, weil diese seltener auftraten, sondern weil sie unbemerkt blieben. Auch chronisch Kranke oder Menschen, die an Krebs leiden, müssen abwägen zwischen dem Risiko einer Ansteckung und der Frage, ob sie ihre Therapie unbedingt weiterführen müssen. Die Frage ist: Wie schütze ich mich als vulnerable Person? Das sind keine einfachen Entscheidungen. Damit die Betroffenen dies abwägen können, brauchen sie Informationen, die sie verstehen. Das ist das, was wir unter „Gesundheitskompetenz“ verstehen – wie gut Patienten Informationen finden, verstehen und für gute Entscheidungen anwenden können.

Welche Ideen gibt es, diese Kompetenzen zu fördern?

Früher ging es oft darum, die Kompetenz einzelner Personen zu stärken. Eine Idee ist etwa, Gesundheitskompetenz schon in der Schule zu vermitteln. In einer Pandemiesituation funktioniert das aber nicht auf die Schnelle – hier muss sich das Umfeld nach den Bedürfnissen der Ratsuchenden ausrichten und beispielsweise angemessene Wege finden, um Informationen verständlich bereitzustellen. Zunächst aber haben wir betrachtet, welche Maßnahmen auf organisatorischer Ebene überhaupt getroffen wurden, um mit der Pandemie-Situation umzugehen.

Welches waren denn die wichtigsten Maßnahmen?

Um die Sicherheit von Patienten zu gewährleisten, haben Organisationen wie Krankenhäuser beispielsweise Stationen mit Covid-19-Patienten und das Personal, das diese versorgt, von den anderen getrennt. Das wurde schnell umgesetzt. Diese organisatorischen Änderungen müssen aber auch kommuniziert werden: Denn nur wenn die Menschen diese kennen, schafft dies Vertrauen, so dass sie Versorgung in Anspruch nehmen. Eine gute Kommunikation sollte außerdem klarmachen, dass dieses Vorgehen nur befristet ist. Dies hilft Menschen auch, beispielsweise Entscheidungen darüber zu treffen, wie lange sie eine Therapie aufschieben.

Wie haben andere Versorgungseinrichtungen reagiert, beispielsweise Hausarztpraxen?

Tatsächlich haben Ärzte vermehrt Video- und Telefonsprechstunden statt persönlicher Kontakte angeboten. Das wird zwar schon lange empfohlen und wurde jetzt endlich umgesetzt. Gute Online-Sprechstunden sind schon lange ein Thema der Versorgungsforschung, beispielsweise für Rheumapatienten, die eine individuelle Betreuung benötigen. Praxen waren außerdem aufgerufen, ihre Terminpläne anders als sonst zu gestalten, mit weniger Warte- und realistischeren Pufferzeiten. Die Idee dahinter ist natürlich, dass Patienten weniger Kontakt untereinander haben und so die Ansteckungsgefahr sinkt. Aber auch hier gilt, dass diese Maßnahmen nur greifen, wenn die Betroffenen sie kennen. Am besten sollten die Patienten dies alles auf der Homepage des Arztes nachlesen können. Auch generelle Verpflichtungen, wie etwa das Einhalten der grundsätzlichen Hygienemaßnahmen, sollten bekannt sein. Das schafft Vertrauen, so dass Patienten die nötige Versorgung auch wirklich in Anspruch nehmen.

Wie können denn die verschiedenen Akteure in der Gesundheitsversorgung ihre Kommunikation verbessern?

Wir empfehlen beispielsweise, dass Krankenhäuser telefonische Beratung anbieten. Betroffene könnten in einer Sprechstunde, etwa beim zuständigen Onkologen, anrufen und sich vorab beraten lassen, ob sie zu ihrem Termin ins Krankenhaus kommen sollten oder nicht. Wir haben exemplarisch die Webseiten von Krankenhäusern in Oldenburg, Magdeburg und Freiburg untersucht und festgestellt, dass es nur wenige solche Angebote gibt. Unter anderem ist es schwierig, qualifiziertes Personal dafür vorzuhalten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir auf der Ebene des Gesundheitssystems neue Wege finden müssen, um die breite Bevölkerung mit Informationen zu versorgen. Dabei geht es eben nicht nur darum, generelle Aspekte wie etwa Hygienemaßnahmen zu kommunizieren. Das Gesundheitssystem muss sich auch an die Leute wenden, die andere Anliegen haben, und für diese Informationen und Beratungen anbieten sowie Ansprechpartner zur Verfügung stellen.

Gibt es dafür schon gute Beispiele?

Der Krebsinformationsdienst in Heidelberg praktiziert dies seit langem. Aber für die allgemeine Versorgung gibt es nur wenige Angebote. Zwar gibt es Informationsportale wie die der kassenärztlichen Vereinigung und bundesweite Patientenportale. Seit Anfang September gibt es außerdem ein Nationales Gesundheitsportal – aber wer kennt diese Angebote schon? Und wen erreichen sie? Zwar hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung langjährige Erfahrung mit großen Kampagnen – vor allem über die Massenmedien. Aber selbst das reicht im Falle der Pandemie nicht. Aus vorangegangener Forschung wissen wir auch, dass Gesundheitskompetenz und soziale Schicht zusammenhängen. Deswegen müssen Informationen multimedial aufbereitet werden, um die verschiedenen Zielgruppen zu erreichen. Es gibt auch gute lokale Ansätze, zum Beispiel den sogenannten Gesundheitskiosk. Dort erhalten Ratsuchende niedrigschwellige Informationen von Gesundheitsfachkräften. Ein tolles Projekt für Menschen, die wir ansonsten nur schwer erreichen.

Was müsste denn jetzt konkret geschehen, damit Menschen die nötige gesundheitliche Versorgung trotz der Pandemie in Anspruch nehmen?

Schnell umzusetzen ist, dass die Gesundheitseinrichtungen – also Krankenhäuser oder Arztpraxen – Informationen über ihre Homepage anbieten. Wenn man beispielsweise darüber informiert, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Klinik regelmäßig getestet werden, dann schafft das Vertrauen in der Bevölkerung. Die beste Maßnahme allerdings wäre, das Infektionsgeschehen so weit wie möglich einzudämmen. Dann entsteht gar kein Dilemma. Wir müssten die Versorgung nicht einschränken und die Bevölkerung wäre beruhigt. Das passiert dann von ganz alleine.

Interview: Constanze Böttcher

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(Stand: 12.04.2024)  | 
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