• Lena Ansmann untersucht Organisationen im Gesundheitswesen. Foto: Universität Oldenburg/Martin Remmers

  • Für ihre Forschung führen Lena Ansmann und ihr Team führen Befragungen durch und werten die Ergebnisse aus. Foto: Universität Oldenburg/Martin Remmers

Gesundheit gut organisiert

Das Ergebnis einer medizinischen Behandlung hängt nicht allein vom Können der Ärzte ab, sondern auch davon, wie ihr Arbeitsumfeld organisiert ist. Mit diesem Faktor beschäftigt sich die Oldenburger Versorgungsforscherin Lena Ansmann.

Das Ergebnis einer medizinischen Behandlung hängt nicht allein vom Können der Ärzte ab, sondern auch davon, wie ihr Arbeitsumfeld organisiert ist. Mit diesem Faktor beschäftigt sich die Oldenburger Versorgungsforscherin Lena Ansmann.

Am  13.  Dezember  1973  erschien  eine  Studie  im  Wissenschaftsmagazin Science, die erhebliche Sprengkraft in  sich  trug.  Unter  dem  Titel  „Small  Area Variations in Health Care Delivery“ übersetzt etwa: „Kleinräumige Unterschiede  in  der  Gesundheitsversorgung“) stellten US-Epidemiologen Erstaunliches  fest:  In  einem  Bezirk  im  Bundesstaat  Vermont  im  Osten  der USA wurden 15 Prozent aller Kinder  bis  zum  Alter  von  15  Jahren  die  Mandeln entfernt, im Nachbarbezirk waren es viermal so viele. Auch bei anderen Operationen, bei der Zahl der Krankenhaustage pro Kopf und bei den Kosten  für  Krankenhausaufenthalte  zeigten  sich  auffallende  Unterschiede.  Anscheinend  wurde  umso  mehr  operiert, je mehr Krankenhausbetten es im jeweiligen Bezirk gab.

Dieses Ergebnis warf einige gängige Vorstellungen  über  die  medizinische  Versorgung  über  den  Haufen:  etwa,  dass Ärzte ihre Entscheidungen ausschließlich am Stand des Wissens und am  Wohl  des  Patienten  ausrichten.  Eine  Schlussfolgerung  aus  der  Studie  lautete:  Manche  Unterschiede  in  der  Gesundheitsversorgung  lassen  sich nicht medizinisch erklären, sondern  beruhen  offenbar  auf  anderen  Faktoren.  Zum  Beispiel  darauf,  dass  Krankenhäuser unterschiedlich organisiert sind.

Erst in den letzten Jahren sind  diese  organisationsbedingten  Unterschiede  verstärkt  in  den  Blickpunkt  der  Forschung  gerückt.  Denn  es  gibt  nach  wie  vor  teils  drastische  regionale Variationen bei der Häufigkeit  bestimmter  Operationen  –  und  es bleibt unklar, wodurch solche und ähnliche Besonderheiten verursacht werden. „Auch die Komplikationsrate oder die Sterblichkeit nach einer bestimmten OP können von Krankenhaus zu Krankenhaus variieren“, sagt Prof. Dr. Lena Ansmann vom Department  für  Versorgungsforschung  der  Universität  Oldenburg.  Die  Wissenschaftlerin  zählt  zu  den  wenigen  Forschern  in  Deutschland,  die  systematisch untersuchen, wie sich Unterschiede zwischen Organisationen auf die  Patientenversorgung  auswirken.

 „Wir möchten die Forschungsaktivitäten intensivieren.“

Ansmanns Professur für Organisationsbezogene Versorgungsforschung wurde  im  November  2017  geschaffen  und  ist  bundesweit  die  erste,  die  sich explizit dieser Materie widmet. „Genau  genommen  handelt  es  sich  um  eine  Kombination  aus  Organisationsforschung und Versorgungsforschung“, erklärt die Wissenschaftlerin. Während  Versorgungsforscher  zum  Beispiel  untersuchen,  wie  sich  verschiedene  Behandlungsmethoden  auf  die  Lebensqualität  der  Patienten  auswirken oder welche Ursachen medizinische Fehler haben, blicken Organisationsforscher aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auf Merkmale einer Organisation – etwa Führungskultur, Veränderungsbereitschaft oder auch  den  Spezialisierungsgrad.  „Wir  untersuchen dann, ob es einen Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und dem Ergebnis beim Patienten gibt, also wie gut die Patienten in einer Einrichtung  versorgt  werden“,  erläutert  Ansmann.

Besonders interessiert sich die Expertin für das Miteinander der Menschen innerhalb einer Organisation. Teilweise reichen ihre Forschungsprojekte in die Heilpädagogik und die soziale Arbeit hinein. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die onkologische Versorgung. In der von der Deutschen Krebshilfe  geförderten  Studie  PINTU  (Patient  involvement  in  multidisciplinary  tumor  conferences  in  breast  cancer care) etwa, die Ansmann zusammen  mit  ihrer  Kollegin  Nicole  Ernstmann  von  der  Universitätsklinik  Bonn  leitet,  stehen  sogenannte  Tumorkonferenzen  im  Mittelpunkt.

Das sind Fallbesprechungen, bei denen zumeist Ärzte unterschiedlicher Fachrichtung vor oder nach einer Krebsoperation über die Prognose und die weitere  Behandlung  eines  Patienten  diskutieren  –  etwa,  ob  eine  Bestrahlung  oder  eine  Chemotherapie  nötig  ist. Normalerweise sind die Experten dabei unter sich, doch in einigen wenigen  auf  Brustkrebs  spezialisierten  Krankenhäusern nehmen die Patientinnen  an  den  Tumorkonferenzen  teil. „Wir wissen bislang aber nicht, ob das eine gute Idee ist“, sagt Ansmann. Schließlich unterhielten sich die Ärzte meist in Fachsprache, was die oft sehr nervösen Patientinnen zusätzlich beunruhigen  oder  überfordern  könnte.  Ob es für die Ärzte praktikabel ist, die Patientinnen zu beteiligen, sei ebenfalls unklar. Für eine Beteiligung der Patientinnen spreche, dass sie so genauer über das Für und Wider aller Optionen informiert würden und besser entscheiden könnten, welche Therapie für sie angemessen ist.

Wie geht es Patientinnen, die an Tumorkonferenzen teilnehmen?

Um  offene  Fragen  wie  diese  zu  untersuchen,  haben  Ansmann  und  ihre Kollegen Ärzte in verschiedenen Brustzentren interviewt. Sie wollen herausfinden, welche Vor- und Nachteile die Mediziner sehen und wie sie die Patientinnen konkret in die Gespräche einbinden. „Es gibt Ärzte, die sagen: Das ist eine super Idee, das sollte man  überall  so  machen,  die  Patientinnen sind total zufrieden damit“, berichtet Ansmann. Andere sähen eher die Nachteile – etwa, dass weniger offen diskutiert werden könne oder sich die Tumorkonferenzen unnötig in die Länge zögen. „Wenn wir das mit Klinikern diskutieren, ist das immer recht kontrovers,  was  ich  sehr  spannend  finde“, sagt die Forscherin. Im nächsten Schritt wird Ansmann mit ihrem Team Patientinnen vor und nach den Konferenzen interviewen und Videoaufnahmen auswerten. So wollen sie ermitteln, wie sich die Patientinnen in den Tumorkonferenzen verhalten und wie es ihnen danach geht.

In ihrem neuen Forschungsfeld engagiert sich Ansmann dafür, Wissenschaftler mit ähnlichem Schwerpunkt zusammenzubringen und zu vernetzen. Im Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung  (DNV)  leitet  sie  die  Arbeitsgruppe „Organisationsbezogene Versorgungsforschung“ und hat so in den vergangenen zwei Jahren daran mitgewirkt, Standards für Methoden zu überarbeiten, die für ihr Fachgebiet wichtig  sind.  Ein  Memorandum  mit  den Ergebnissen erscheint demnächst.

„Wir möchten dieses neue Feld weiter etablieren und die Forschungsaktivitäten intensivieren“, sagt Ansmann. Sie ist daher auch am Projekt NWOB („Organisationales Verhalten in Einrichtungen  der  Gesundheitsversorgung  in Deutschland“) beteiligt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird: In einem Buch geben 20 Forscher aus verschiedenen Fachbereichen  –  von  der  Allgemeinmedizin bis zur Volkswirtschaft – einen  systematischen  Überblick  über  den Stand der organisationsbezogenen Versorgungsforschung  in  Deutschland.

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