Um die Folgen des Klimawandels abzumildern, sind Anpassungsstrategien nötig. Doch die Politik handelt oft nur zögerlich. Politikwissenschaftler Nicolas Jager über eingefahrene Strukturen und warum die Klimakonferenz in Glasgow auch regional relevant ist.
Herr Jager, Sie beschäftigen sich mit sogenannten Lock-ins in der Klimaanpassungspolitik. Worum geht es?
Wir fragen uns, warum es so wenig konkrete oder oft zögerliche Klimaanpassungspolitik gibt – obwohl klar ist, dass sich das Klima wandelt und Folgen wie Hochwasser oder Dürren bereits spürbar sind. Der Lock-in-Ansatz geht davon aus, dass wir in einem sogenannten pfadabhängigen System stecken. Das bedeutet, dass vormalige Ereignisse oder Entscheidungen sich selbst so verstärken, das bestimmte künftige Handlungsalternativen unwahrscheinlicher werden.
Was bedeutet das konkret?
Ein eindrückliches Beispiel ist etwa die Flutkatastrophe an der Ahr. Hier sind – selbst nach den schlimmen Ereignissen des Sommers – die Beharrungskräfte so groß, dass die große Mehrzahl der zerstörten Häuser wieder an der gleichen Stelle aufgebaut werden soll. Die Politik steckt in solchen Fällen in einem Teufelskreis. Um aus diesen Teufelskreisen ausbrechen zu können, müssen wir überhaupt erstmal wissen, wie sich institutionelle Systeme, gebaute Infrastruktur, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten gegenseitig negativ verstärken. Diese blockierenden Mechanismen und Prozesse identifizieren und analysieren wir im Projekt „Adapt Lock-in“.
Gerade findet im schottischen Glasgow die 26. Weltklimakonferenz statt. Experten haben wenig Hoffnung, dass sich die Teilnehmenden auf wirkungsvolle Maßnahmen zum Klimaschutz einigen. Haben wir es mit einem Lock-in zu tun?
Je verkrusteter die Strukturen sind, desto schwieriger ist es, sie aufzubrechen. Dennoch können auch eingefahrene Lock-ins sogar umgekehrt werden in einen sich positiv verstärkenden Mechanismus. In Paris beispielsweise wurde in den letzten Jahren in kurzer Zeit der Verkehr in der Stadt umgekrempelt: Die Stadt hat neue Radwege errichtet, Radfahren gefördert und zuletzt sogar vielbefahrene Straßen für den Autoverkehr gesperrt – mit positiven Ergebnissen für Radverkehr und Stadtklima. So entsteht eine Dynamik, in der auch weitergehende stadt- und verkehrsplanerische Transformationen, wie etwa die derzeit diskutierte Idee der „15-Minuten-Stadt“, durchaus eher realistisch und umsetzbar erscheinen.
Wenn der erste Schritt erstmal gemacht ist, wird es also leichter…
Ja, allerdings ist in internationalen Verhandlungen die Situation natürlich noch schwieriger. Hier geht es nicht nur darum, eingefahrene Systeme aufzubrechen, sondern auch um die jeweiligen Verhandlungspositionen, politische Logiken und andere Fragen, etwa Verteilungslogiken. Also beispielsweise: Welche Länder übernehmen welche Kosten?
Was bedeutet das für die Politik auf nationaler oder auch regionaler Ebene?
Was in Glasgow passiert, hat in jedem Falle nationale und regionale Auswirkungen. Denn unabhängig von den tatsächlich getroffenen Entscheidungen ist die Konferenz wichtig zum Setzen der Agenda: Wie wird das Thema Klimaschutz und Klimaanpassung dort gesehen? Als eher problematisch oder beispielsweise als Motor für Innovationen? Eine internationale Entscheidung kann also einerseits ein Antrieb und Impuls sein, um eingefahrene Strukturen aufzubrechen, andererseits kann ein Scheitern aber auch nationale und regionale Anstrengungen erschweren.
Womit beschäftigen Sie sich konkret in Ihrem Projekt?
Wir sehen uns Beispiele für vorhandene Anpassungsstrategien in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien an. Dabei untersuchen wir unterschiedliche Bereiche, auf die sich der Klimawandel bereits auswirkt, beispielsweise Biodiversität, Wasserknappheit, psychische Gesundheit, Küstenschutz oder Wälder. Wir wollen verstehen, welche Regeln und Gewohnheiten, aber auch physische Infrastruktur es gibt, die einer Klimaanpassungsstrategie im Weg stehen könnten.
Welche Herausforderungen gibt es beispielsweise im Küstenschutz?
Eine unserer Fallstudien befasst sich mit der Sturmflutvorsorge in Schleswig-Holstein. Hier gibt es, wie auch in Niedersachsen, eine über Jahrhunderte gewachsene und tief verwurzelte Infrastruktur: den Deich. Mit dem „Schimmelreiter“ von Theodor Storm hat sich das ja sogar literarisch manifestiert. Man lebt hinter Deichen, sie gehören zu unserer Kultur. Der Hauptanpassungsschritt im Küstenschutz ist also meist eine Deicherhöhung. Alternative Anpassungsmaßnahmen kommen im Diskurs weniger vor. Es gibt auch institutionelle Aspekte, die einen Wandel hemmen: Für welche Anpassungsmaßnahmen wird überhaupt Geld zur Verfügung gestellt? Welche Fördertöpfe gibt es? Welches Wissen nutzen Küstenschützer? Es hat sich gezeigt, dass vor allem die technische Sicht, die der Ingenieure, im Vordergrund steht. Allerdings verändern sich Ansätze auch. Zum Beispiel hat der Nationalpark Wattenmeer dazu geführt, dass die Beteiligten den Blick auch auf das Vorland und nicht nur den Deich richten. Das ist ein Schritt, der die Zusammensetzung der Interessen verändert hat.
Wie geht es weiter?
Wir versuchen ja zunächst, das System vor Ort zu verstehen, indem wir Strategien oder Gesetze analysieren. Wir sprechen außerdem mit Entscheidungsträgern oder Interessensverbänden, um hinter die Kulissen zu blicken und zu verstehen, warum bestimmte Entscheidungen getroffen werden. Wenn wir die Systeme besser verstehen, lassen sich Ansatzpunkte finden, um besonders verkrustete Strukturen aufbrechen und Impulse für die Zukunft setzen zu können. Diese diagnostischen Fallstudien sind jetzt fast abgeschlossen. Wir vergleichen nun die Fallstudien und untersuchen, ob wir Muster oder ähnliche Ursachen für Lock-ins finden. Auf einer Konferenz im kommenden Frühjahr tauschen wir uns mit unseren Partnern darüber aus – und wollen so auch generelle Schlüsse ziehen und zusammen mit anderen Forschenden und Beteiligten aus der Praxis Empfehlungen für die Politik und weitere Forschung erarbeiten.
Interview: Constanze Böttcher