Soll der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor verschoben oder rückgängig gemacht werden? Ein Strategiepapier unter Beteiligung der Ökonomen Jörn Hoppmann und Hauke Lütkehaus befasst sich mit den Folgen des „Verbrenner-Aus“ für die Automobilindustrie.
Herr Hoppmann, Herr Lütkehaus, verschiedene Parteien haben im Bundestagswahlkampf gefordert, das sogenannte Verbrenner-Aus zurückzunehmen, also eine EU-Verordnung, derzufolge Pkw ab 2035 kein CO2 mehr emittieren dürfen. Die CDU sagte etwa, eine Rücknahme dieser Verordnung würde „gute Jobs und Wohlstand sichern“. Stimmt das mit den Ergebnissen Ihres Strategiepapiers überein?
Hoppmann: Im Gegenteil, das Verbrenner-Aus ist wichtig, um die Transformation der Automobilindustrie zur Elektromobilität zu unterstützen. Wir können zeigen, dass der Effekt dieser Maßnahme deutlich positiver ist, als es gemeinhin vermutet wird. Wenn die Verbrennertechnologie beibehalten wird, könnten zwar einige Automobilkonzerne kurzfristig Investitionen sparen und ihr altes Geschäftsmodell länger fahren. Das ist aus unserer Sicht aber eine sehr kurzfristige Denke. Denn die Frage ist nicht: Kommt die Transformation zur E-Mobilität? Sondern nur: Wie gehen die Unternehmen damit um? Können sie erfolgreich transformieren? Dabei muss man sie bestmöglich unterstützen.
Welche Argumente werden denn dafür angeführt, die Verbrennertechnologie länger beizubehalten?
Hoppmann: Das wichtigste Argument ist, dass die deutsche Industrie eine große Kernkompetenz im Bereich der Verbrennungskraftmotoren hat. Man verkauft Autos mit Verbrennungsmotor momentan noch sehr profitabel. Da kann man natürlich argumentieren: Das alles aufzugeben ist nicht gut, weil man diese Technologie sehr gut beherrscht und eine gute Wettbewerbsposition hat.
In Ihrer Studie ziehen Sie andere Schlüsse. Wie sind Sie vorgegangen?
Hoppmann: Wir haben versucht nachzuvollziehen: Wie sehen die Unternehmen das Verbrenner-Aus, wie kommt es bei denen an? Denn das sind die Akteure, die es am Ende umsetzen müssen. Ein großer Teil der Ergebnisse des Strategiepapiers stammt aus der Dissertation von Hauke Lütkehaus.
Lütkehaus: Wir haben insgesamt dreißig Interviews mit Industrieexperten und Vertretern von zehn verschiedenen Automobilhersteller geführt. Unter den Unternehmensvertretern waren Akteure, die in den Vorstandsetagen sitzen, etwa die Strategiechefs der Automobilhersteller. Wir haben unsere Ergebnisse möglichst breit abgefedert.
Wäre es ihren Erkenntnissen zufolge hilfreich, den Termin für das Verbrenner-Aus nach hinten zu verschieben?
Hoppmann: Das wäre keine gute Idee. Denn es gibt einen enormen Transformationsdruck aus verschiedenen Richtungen. Zum einen aus Klimasicht: Die CO2-Emissionen des Mobilitätssektors müssen runterkommen, da gibt es große Defizite. Aber auch unabhängig davon ist es nicht sinnvoll, beim Status Quo zu bleiben, weil die Transformation zur Elektromobilität trotzdem stattfindet.
Wie schnell geht diese Entwicklung vor sich?
Hoppmann: Weltweit ist ein exponentieller Trend zu beobachten, trotz leichter Rückschläge auf der regionalen Ebene. Wir sehen in den USA und in China eine enorme Dynamik. Die Chinesen haben die deutschen Autohersteller in Bezug auf die Elektroauto-Entwicklung hinter sich gelassen. Zu hoffen, dass das Ganze irgendwann wieder zurück zum Verbrennungsmotor geht, ist komplett unrealistisch. Die Richtung ist ganz klar vorgegeben. Unsere Industrie kann langfristig nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie die Transformation schafft, und das relativ schnell.
Inwiefern kann das Verbrenner-Aus 2035 dabei eine Wirkung entfalten?
Lütkehaus: In unserem Strategiepapier haben wir vier Gründe herausgearbeitet. Einmal lenkt diese Maßnahme die Aufmerksamkeit sehr stark auf die Notwendigkeit der Transformation. Vielen Unternehmen war natürlich schon vor dem EU-Beschluss bewusst, dass eine Transformation stattfindet, einigen tatsächlich aber auch nicht. Die Verordnung hat dafür gesorgt, dass das Management in allen Unternehmen angefangen hat, sich strategisch Gedanken zu machen und die entsprechenden Ressourcen in die Entwicklung der Elektromobilität zu stecken.
Und die weiteren Wirkungen?
Lütkehaus: Der zweite Effekt betrifft die Planungsprozesse. In dem Moment, wo Autohersteller wissen, dass sie 2035 aussteigen müssen, können sie ihre Modellpalette, ihre Produktions- und Personalkapazitäten strategisch auf dieses Datum ausrichten. Das dritte ist, dass der feste Termin hilft, sogenannte Trägheiten in Unternehmen zu überwinden. Da wird aus irrationalen Gründen an alten Technologien festgehalten, etwa aus kurzfristigem Gewinninteresse oder weil man eine große Identifikation mit Verbrennungsmotoren hat. Eine klare Politik hilft, diese Effekte stark zu reduzieren. Dann wird nur noch darüber gesprochen, ‚Wie setzen wir das um?‘ statt: ‚Wollen wir das überhaupt angehen?‘
Hat das feste Datum auch Auswirkungen auf die Autoindustrie als Ganzes?
Hoppmann: Das ist der letzte Punkt, den wir machen: Es ist wichtig, dass alle Unternehmen an einem Strang ziehen und wissen, in welche Richtung es geht. Denn es muss sich ja eine gesamte Industrie transformieren. Da hängen Zulieferunternehmen dran, in allen möglichen Größen, in verschiedenen Regionen. Parallel muss die Ladeinfrastruktur aufgebaut werden und vielleicht Tankstelleninfrastruktur abgebaut werden. Wir haben ein ganzes Bildungssystem, das dahinter hängt – insgesamt also ein riesiges Ökosystem an verschiedenen Akteuren. Natürlich hilft es bei der Koordination, wenn man ein gemeinsames Ziel hat.
Angenommen, der Termin für das endgültige Aus der Verbrennungsmotoren verschiebt sich weiter nach hinten – welche Konsequenzen hätte das?
Lütkehaus: Was wir festgestellt haben in unserer Arbeit ist, dass Glaubwürdigkeit eine große Rolle spielt. In dem Moment, in dem die Politik anfängt, das Ziel zu verschieben oder abzuschwächen, geht ein Teil dieser Glaubwürdigkeit verloren und viele der von uns beschriebenen Mechanismen verlieren an Kraft. Die Planungssicherheit fällt weg. Es fehlt die Klarheit, die Unternehmen hilft, möglichst gezielt den Transformationsweg zu gehen. Die Unternehmen sagen sich dann: Es gibt viele Szenarien, die wir berücksichtigen müssen. Es bestehen also viel mehr Risiken, sich zu verkalkulieren. Was aus unserer Sicht auch sehr wichtig ist: Dass der feste Endpunkt den Unternehmen die Möglichkeit gibt, auch ihren Mitarbeitenden eine klare Perspektive aufzuzeigen. Denn es geht ja nicht nur darum, ob wir den Verbrenner erhalten oder nicht, sondern auch darum, neue Arbeitsplätze in den Unternehmen zu schaffen. Dafür müssen die Mitarbeitenden frühzeitig qualifiziert werden.
Der Benefit, den man durch eine Verschiebung generiert, ist aus unserer Sicht gering. Man erzeugt zwar kurzfristig etwas mehr Gewinne, aber gleichzeitig ist der Schaden groß.
Jörn Hoppmann
Hoppmann: Auch die anderen Effekte ziehen nicht mehr, wenn man das Verbrenner-Aus zurücknimmt. Zum Beispiel werden die internen Trägheiten eher befördert, wenn man anfängt, Zweifel über das Ziel aufkommen zu lassen. Ähnlich ist es bei der Koordination der gesamten Branche oder bei der Aufmerksamkeit, die das Thema bekommt. Insofern ist der Benefit, den man durch ein Verschieben generiert, aus unserer Sicht gering. Man erzeugt zwar kurzfristig etwas mehr Gewinne, aber gleichzeitig ist der Schaden groß. Zudem stehen diejenigen Konzerne im Regen, die strategisch und proaktiv transformieren, etwa große Werke aufbauen für die Elektromobilität.
Oft wird angeführt, dass E-Fuels den Verbrennungsmotor retten könnten. Haben Sie dazu Erkenntnisse?
Lütkehaus: Das Thema E-Fuels wird bei den Automobilherstellern nicht als besonders erfolgsversprechend angesehen. Das hat vor allem damit zu tun, dass von diesen synthetischen, CO2-neutralen Kraftstoffen nur sehr kleine Mengen produziert werden und dass die Kosten dafür sehr hoch sind. Prognosen zufolge wird mittelfristig kein für Kunden akzeptables Preisniveau erreicht. Automobilhersteller haben uns gesagt: Für uns spielen E-Fuels mittelfristig keine Rolle – einfach, weil am Ende niemand für vier Euro pro Liter tanken möchte.
Hoppmann: Man könnte auch sagen: Die Debatte um E-Fuels ist eine Scheindebatte. Aus technologischer und wirtschaftlicher Sicht hat diese Technologie kaum Potenzial. Gleichzeitig sehen wir bei batterieelektrischen Fahrzeugen gerade eine enorme Verbesserung, etwa, was Batterietechnologien angeht, was die Kostenentwicklung angeht.
Was empfehlen Sie der Politik?
Hopmann: Die erste Empfehlung ist, am Verbrenner-Aus und dem Zeithorizont dafür festzuhalten. Alles, was man ändert, richtet mehr Schaden an, als dass es hilft. Trotzdem kann man feststellen, dass es nicht ausreicht, nur dieses Datum festzusetzen. Typischerweise braucht man einen Politikmix, um etwa soziale Härten abzufedern.
Wie sieht dieser Politikmix konkret aus?
Hoppmann: Eine häufig geäußerte Sorge der Unternehmen ist, dass die Nachfrage nicht schnell genug steigt, dass man 2035 womöglich nicht genug Automobile verkauft, um das zu kompensieren, was man durch die Verbrenner verliert. Dem sollte die Politik durch eine aktive Nachfrageförderung begegnen. Die gab es bis Ende 2023 bereits, allerdings wurde sie nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts abrupt eingestellt, wodurch der Absatz in Deutschland 2024 stark gesunken ist. Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, die Nachfrageseite wieder zu stärken. Dadurch kommen wir aus dem Teufelskreis heraus, dass sich Elektroautos nicht gut verkaufen, weil sie zu teuer sind und sie zu teuer sind, weil zu wenig davon verkauft werden.
Wir sind an der Schwelle, an der die Entwicklung auch aus wirtschaftlichen Gründen in Richtung Elektromobilität kippt.
Hauke Lütkehaus
Die Akzeptanz in der Bevölkerung für Elektroautos ist derzeit Umfragen zufolge noch nicht so hoch. Wie kann man das ändern?
Lütkehaus: Zum Glück erledigt sich dieses Problem zu einem gewissen Grad von alleine, und zwar zum einen, weil die Technologie immer besser wird, alleine dadurch, dass sie sich mehr verkauft und günstiger wird. Zum anderen zeigen Studien, dass der allergrößte Anteil derjenigen, die sich mal ein Elektroauto gekauft haben, nicht zurückwechseln würde. Das spricht dafür, dass die Technologie so schlecht nicht sein kann. Um die Akzeptanz weiter zu erhöhen, kann man bestimmte Punkte adressieren, an denen es noch hakt. Möglichkeiten sind, die Ladeinfrastruktur gezielt zu fördern oder eine stärkere soziale Komponente einzuführen. Frankreich etwa fördert die Nachfrage nicht über Kaufpreise, sondern über Leasingangebote. So haben auch Personen, die den Kaufpreis vielleicht nicht aufbringen können, die Möglichkeit, Elektroautos zu fahren.
Sind zehn Jahre ein guter Zeitraum, um das Ziel zu erreichen?
Lütkehaus: Auf jeden Fall. Wir sind schließlich heute nicht mehr an dem Punkt, dass Elektromobilität eine neue und unerprobte Technologie ist. Die Transformation läuft schon rund 15 Jahre. Jetzt geht es darum, noch mal eine Schippe draufzulegen. Wir sind heute an der Schwelle, an der die Entwicklung auch aus wirtschaftlichen Gründen in Richtung Elektromobilität kippt, wir beobachten Effizienzgewinne und Kostensenkungen. Am Ende wird auf einmal alles ganz schnell gehen.
Interview: Ute Kehse