• Dank Augmented-Reality-Brillen sehen die Studierenden nicht nur virtuelle Gelenke, mit denen sie interagieren können, sondern auch die weißen Avatare von Seminarteilnehmenden, die an einem anderen Ort sind.

Lernen mit Kommilitonen auf einem anderen Kontinent

Gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst haben Lehrende aus Oldenburg und Bangkok (Thailand) ein Augmented Reality-Seminar entwickelt, das es Medizinstudierenden aus beiden Ländern ermöglicht, gemeinsam zu lernen.

Gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst haben Lehrende aus Oldenburg und Bangkok (Thailand) ein Augmented Reality (AR)-Seminar entwickelt, das es Medizinstudierenden aus beiden Ländern ermöglicht, gemeinsam zu lernen.

Eine kleine Gruppe Studierender und ihre Dozentinnen und Dozenten steht gemeinsam im Seminarraum an der Universität Oldenburg. Sie alle tragen AR-Brillen. Durch sie sehen sie zwar ihre normale Umgebung und die Menschen um sich herum, aber auch noch viel mehr: Ein virtuelles dreidimensionales Kniegelenk und die dazugehörigen Röntgenbilder schweben im Raum. Außerdem zu sehen: mehrere weiße Avatare ohne Gesicht und Unterkörper. Sie repräsentieren die Studierenden und Dozierenden, die gerade an der Mahidol University in Bangkok (Thailand) stehen und von dort aus auf das gleiche Kniegelenk schauen.

Ein halbes Jahr lang haben die Partner aus Oldenburg und Bangkok im vom Deutschen Akademischen Austauschdienst geförderten Projekt „Virtual Seminar – Anatomy und Orthopedics“ an der gemeinsamen Lehreinheit getüftelt. Dabei mussten sie nahezu bei null anfangen. „Unsere thailändischen Partner haben zunächst eine Schulter- und ein Kniegelenke für dieses Modul selbst modelliert“, erklärt Prof. Dr. Anja Bräuer, die das Projekt auf Oldenburger Seite koordiniert hat.

Die Lehrenden aus der Anatomie und Orthopädie hatten spezielle Anforderungen an die Modelle. Zum einen sollten die Studierenden im ersten Teil des Seminars möglichst detailliert die Anatomie des Gelenks sowie Muskelansätze, Bänder und wichtige Nerven kennenlernen können. Hinzu kam, dass Studierende das Modell im Raum bewegen, in der Größe verändern und einzelne Strukturen entfernen können sollten. Zum anderen mussten die thailändischen Partner nicht nur gesunde Gelenke, sondern auch jeweils ein verletztes Gelenk programmieren. Im zweiten Teil des Seminars sollten die Studierenden wie Ärztinnen und Ärzte vorgehen und in Gemeinschaftsarbeit die Verletzungen der Körperteile diagnostizieren. Dafür hatten die Lehrenden aus der Orthopädie konkrete Fälle konstruiert: Eine Studentin, die beim Streichen von der Leiter gefallen ist, klagt über Schulterschmerzen und ein Fußballspieler hat nach einem Sturz Knieprobleme.

„Das Projekt hat gezeigt, dass AR-Technologien für die Lehre zukunftsträchtig sind“, erklärt Bräuer. Sie kann sich gut vorstellen, dass in Zukunft Studierende dank AR einer Dozentin bei ihrer Arbeit mit echten Patientinnen und Patienten im Krankenhaus über die Schulter schauen können, während gleichzeitig dessen Röntgenbilder im Raum schweben. Auch für die Facharztausbildung könnte es Vorteile bringen, wenn Lehrende und Lernende nicht zwangsläufig am gleichen Ort sein müssen. „Angehende Fachärztinnen und Fachärzte könnten zum Beispiel von Koryphäen aus der ganzen Welt lernen“, schwärmt Bräuer. Und solange in Oldenburg noch keine eigene Nassanatomie gebaut sei, könnte die Technik ein weiteres Angebot für Studierende sein, den Aufbau des menschlichen Körpers dreidimensional zu untersuchen – eine Chance, die sie jetzt nur in den Kursen haben, für die sie in die Anatomie nach Groningen reisen müssen..

Bis ein AR-Seminar aber als reguläres Angebot im Curriculum der Oldenburger Medizinstudierenden auftaucht, sei noch viel Pionierarbeit nötig, sagt Bräuer. Neben technischen Hürden – in diesem Projekt zum Beispiel Probleme dabei, die Teilnehmenden am jeweils anderen Standort gut zu verstehen, wenn diese sich gleichzeitig durch den Raum bewegen – hat das deutsch-thailändische Team auch andere Herausforderungen festgestellt. „Es gibt bei der Anwendung der Technik bisher kaum soziale Konventionen. Ähnlich wie wir uns alle zu Beginn der Pandemie darauf verständigen mussten, wie wir uns in Videokonferenzen verhalten, braucht es solche Verabredungen auch in der AR“, betont sie. Dort seien sie sogar besonders wichtig, weil die Personen, die sich nicht am gleichen Standort befindet, bislang nur als mimikloser Avatar dargestellt würden. „Wir haben gelernt, wie wichtig in der Lehre die Mimik ist, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob sich jemand beteiligen möchte“, erzählt Bräuer. Das erschwere die Kommunikation mit den Personen, die gerade nicht im gleichen Raum sind.

Nach einem halben Jahr der virtuellen Begegnungen war eine Delegation aus Oldenburg – darunter auch die vier Studierende, die als Testpersonen am interkontinentalen Seminar teilgenommen hatten – nun im Dezember zu Gast in Bangkok. Neben dem Kennenlernen im „echten Leben“ stand dabei die Auswertung der auf Distanz gemachten Erfahrungen im Mittelpunkt. Gleichzeitig markierte der Besuch das formelle Ende des Projekts. Die Partner aus beiden Ländern wollen das virtuelle Seminar aber gemeinsam weiterentwickeln. Neben Bräuer waren auf Oldenburger Seite PD Dr.Veysel Ödemis und Dr. Esther Maier aus der Abteilung Anatomie sowie die Orthopädie-Lehrende Dr. Ricarda Stauß beteiligt. Der Kontakt zur Mahidol University kam über Prof. Dr. Peter Haddawy zustande, der nicht nur als Professor an der Bangkoker Universität tätig, sondern auch mehrfach Fellow des Hanse-Wissenschaftskollegs in Delmenhorst war.

Bei einer weiteren Zusammenarbeit soll auch das Team von Prof. Dr. Dirk Weyhe, Direktor der Universitätsklinik für Viszeralchirurgie am Pius-Hospital, eine wichtige Rolle spielen – schließlich forscht auch Weyhe an AR-Technologien. Er untersucht ihre Einsatzmöglichkeiten im Operationssaal.

 

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