Moore, Wiesen, Wälder: Gut 80 Prozent der Habitate in Europa befinden sich in einem schlechten Zustand. Warum sich das ändern sollte und welche Rolle die EU beim Naturschutz spielt, erklärt Rainer Buchwald im Interview.
Herr Buchwald, das EU-Parlament hat nach zähem Ringen den Weg freigemacht für das neue Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Ist dies eine gute Nachricht für den Naturschutz in Europa und in Deutschland?
Ja, unbedingt. Das ist ein großer Schritt nach vorne – auch wenn die Mitgliedsstaaten und der EU-Rat noch zustimmen müssen. Dies ist die erste größere Naturschutzgesetzgebung auf EU-Ebene seit 1992. Schon damals hat die Einführung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie dafür gesorgt, dass Naturschutzvorhaben in Europa und in Deutschland besser durchgesetzt werden konnten.
Bisher fokussierte der Naturschutz darauf, bestimmte Arten und Biotope zu schützen. Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, bis 2030 für 20 Prozent der Flächen in der EU – im Meer und an Land – Renaturierungsmaßnahmen einzuführen. Was bedeutet das konkret?
Unter Renaturierung verstehen wir das Ziel, ein degradiertes, aber nicht vollständig zerstörtes Ökosystem wiederherzustellen oder zumindest in einen naturnäheren Zustand zu versetzen. Ein Ökosystem ist degradiert, wenn beispielsweise nicht mehr alle Arten vorhanden sind, das Artengefüge insgesamt gestört ist oder die Ökosystemfunktionen eingeschränkt sind. Das neue EU-Gesetz stellt also ganze Ökosysteme in den Mittelpunkt – auch wenn der Arten- und Biotopschutz natürlich relevant bleiben.
Warum ist die Renaturierung von Ökosystemen so wichtig?
Weltweit, aber speziell in Mitteleuropa, haben die hohe Besiedlungsdichte und die intensive Landnutzung der vergangenen Jahrzehnte Landschaften und Lebensräume stark beeinträchtigt. Diese wenigstens teilweise zu renaturieren, bringt nicht nur ihre Lebensgemeinschaften, Struktur und Funktionalität in einen besseren Zustand, sondern stellt auch sogenannte Ökosystem-Dienstleistungen wieder her. Gesunde Böden und Wälder speichern Nährstoffe und sorgen für sauberes Grundwasser. Naturnahe Moore beherbergen spezialisierte Arten und speichern mehr Wasser und klimarelevante Gase als ein degradiertes Moor. Naturnahe Flüsse und Bäche schützen uns mit ihren Auen vor Hochwasser.
Wir brauchen renaturierte, gesunde Ökosysteme also auch, um den Klimawandel und dessen Folgen einzudämmen.
Ja, das hat die EU mit ihrem „Green Deal“ erkannt. Aber die Aufgabe ist gewaltig. Ein Moor oder einen Fluss zu renaturieren ist komplexer, als eine Art zu schützen – und es kostet mehr Geld. Beispielsweise wenn ein Damm zurückverlegt wird, um Flussauen wiederherzustellen. Eine Renaturierung ist wie eine sehr anspruchsvolle Reparatur, bei der Fachleute unterschiedlichster Disziplinen zusammenarbeiten müssen – etwa aus Zoologie, Botanik, Hydrologie, Bodenkunde und Landschaftsökologie. Leider lassen sich nicht alle Lebensräume gleich gut reparieren. Bei Wiesen, zum Beispiel, funktioniert es ganz gut. Niedermoore sind sehr schwierig zu renaturieren und manche Systeme, Quellen etwa, lassen sich überhaupt nicht wiederherstellen.
Wie können wir denn diese Aufgabe bewältigen?
Wir an den Hochschulen sollten vor allem unsere Studierenden, etwa in der Landschaftsökologie, entsprechend ausbilden. Wenn diese später in Planungsbüros oder in Behörden arbeiten, müssen sie in der Lage sein, Vorhaben zur Renaturierung einzuleiten, kritisch zu begleiten und zu bewerten. Dafür müssen sie beispielsweise ein wissenschaftlich fundiertes Monitoring durchführen können. Wir brauchen zudem eine gute Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis, um beurteilen zu können, welche Renaturierungsmaßnahmen überhaupt den gewünschten Erfolg bringen – ob beispielsweise das Aufstauen von Wasser in einem Moor funktioniert oder nicht. Dann ist auch das Geld, das es von EU-Seite geben wird, sinnvoll angelegt. Sonst bleiben wir im Aktionismus stecken.
Interview: Constanze Böttcher