• Woher kommen Stereotype, wie entstehen sie und wie verändern sie sich? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Rima Chahine nicht nur in ihrem Alltag, sondern auch in ihrer Forschung. Foto: Universität Oldenburg/Daniel Schmidt

Plakative Botschaften

Orient und Okzident – vielfältige Stereotype sind mit diesen Begriffen verbunden. Wie diese genau aussehen, untersucht Rima Chahine anhand von Werbeplakaten.

Orient und Okzident – vielfältige Stereotype sind mit diesen Begriffen verbunden. Wie diese genau aussehen, untersucht Dr. Rima Chahine anhand von Werbeplakaten.

An den Tag, an dem Dr. Rima Chahine von Syrien nach Deutschland kam, kann sie sich noch gut erinnern. Es war ein Sonntag, in der Stadt war es ruhig, fast niemand war unterwegs. „Die Deutschen leben isoliert, jeder nur für sich – dieses Klischee in meinem Kopf schien sich sofort zu bestätigen“, sagt sie heute. Auf der anderen Seite wurde sie im Laufe ihrer Zeit in Deutschland mit vielen Stereotypen konfrontiert, wenn sie sich als Syrerin vorstellte. „Die Leute fragten beispielsweise, ob bei uns Kamele auf den Straßen zu sehen sind oder ob ich nicht ein Kopftuch tragen müsste.“

Woher kommen Stereotype, wie entstehen sie und wie verändern sie sich? Mit dieser Frage hat sich Chahine in den 15 Jahren, die sie inzwischen in Deutschland lebt, nicht nur in ihrem Alltag, sondern auch wissenschaftlich beschäftigt. Nachdem sie in Damaskus ein Diplomstudium in Visueller Kommunikation abgeschlossen hatte, promovierte sie in Oldenburg am Institut für Kunst und Visuelle Kultur. Schon damals untersuchte sie Stereotype auf westlichen Werbeplakaten. In ihrem Post-Doc-Projekt an der Arbeitsstelle Historische Stereotypenforschung des Instituts für Geschichte und des Instituts für Kunst und visuelle Kultur nimmt sie nun auch arabische Plakate in den Blick.

Vorurteile mit leidvollen Auswirkungen

„Dass wir uns selbst von anderen abgrenzen und Klischees von ihnen im Kopf haben, ist nichts Ungewöhnliches und hilft uns, uns in der Welt zu orientieren“, erläutert Chahine. Dies geschehe zum Beispiel, wenn Aussagen über „den Orient“ getroffen werden, zu dem viele unterschiedliche Länder und Kulturen gehören. Werden diese Verallgemeinerungen emotional aufgeladen, handelt es sich um Stereotype, so die Wissenschaftlerin weiter. Und dies sei bis heute häufig der Fall, wenn in Europa und Nordamerika von der arabischen Welt die Rede ist.

Wegweisend in diesem Zusammenhang ist das Werk „Orientalism“ des US-amerikanischen Literaturtheoretikers Edward Said. 1978 erschienen, prägt es die wissenschaftliche Forschung bis heute. Europäer hätten, so Said, Araber über Jahrhunderte als mysteriös und exotisch, aber auch als geistig unterlegen dargestellt. Eine Vorstellung mit leidvollen Auswirkungen, denn dieses Bild vom „Orient“ habe erheblich zu Kolonisierung und Ausbeutung beigetragen.

Von Orientteppichen bis zu Ölfördertürmen

Dass Chahine in ihrer Forschung vor allem Plakate untersucht, ist kein Zufall: „Hier tauchen Stereotype besonders häufig auf, weil einfache, emotional aufgeladene Botschaften sich dafür eignen, ein Zielpublikum schnell zu erreichen“, erläutert sie. Bei ihren Recherchen, unter anderem im „Institut du monde arabe“ in Paris und im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, hat sie bereits über hundert Poster aus den Jahren 1945 bis 2001 untersucht. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Werbung für Fluggesellschaften, Kinofilme oder Ausstellungen. In den 1950er und 1960er Jahren, so ihre Beobachtung, finden sich auf vielen europäischen Plakaten Motive wie aus tausendundeiner Nacht: Männer mit Turban, Wüsten mit Kamelen, Orientteppiche und pittoreske Minarette. In dieses märchenhafte Ambiente fügen sich ab den 1970er Jahren auf vielen Plakaten europäischer Reiseunternehmen modernistische Elemente wie Ölfördertürme oder Flugzeuge. Sie versprachen eine Reise in eine romantisierte Welt, die dennoch den Ansprüchen moderner Urlauber gerecht wird.

Bauchtänzerinnen zwischen „Orient“ und „Okzident“

Dabei hätten Illustratoren und Designer im wahrsten Sinne des Wortes ein realistischeres Bild zeichnen können: Chahines Recherchen ergaben, dass die meisten von ihnen entweder im arabischen Raum aufgewachsen waren oder dort längere Zeit gelebt hatten. Wider besseres Wissen reproduzierten sie Klischees, um den Erwartungen des westlichen Publikums zu entsprechen.

Selbst für das arabische Publikum wurden westliche Klischees aufgegriffen: So verglich Chahine die Darstellung von Bauchtänzerinnen auf US-amerikanischen Kinoplakaten mit Originalfotos ägyptischer Bauchtänzerinnen: Aus einem ursprünglich knöchellangen Rock wurde in den USA ein durchsichtiger Schleier, aus einem Oberteil mit Ärmeln ein Bikinitop. Dieses Bild setzte sich schließlich selbst in der arabischen Welt durch – auch dort fand sich auf Kinoplakaten die US-amerikanische erotisierte Darstellung.

Mit dem Aufkommen der politisch-islamischen Bewegungen in den 1970er Jahren begann sich das Bild der „orientalischen“ Frau zu wandeln: Immer häufiger tauchte auf westlichen Plakaten der Schleier als Symbol der Unterdrückung auf. Diese Entwicklung verstärkte sich nach dem 11. September 2001, dessen Auswirkungen Chahine in ihrer Habilitation allerdings nicht in den Blick nimmt. Sie sagt: „Mit 9/11 begann ein neues Kapitel in der gegenseitigen Wahrnehmung der westlichen und arabischen Kultur, über das man ein eigenes Buch schreiben muss.“


 

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