Menschen in ländlichen Räumen mehr Mobilität ermöglichen: Das war das Ziel des Forschungsprojekts "NEMo". Zentrales Ergebnis ist eine Mobilitätsapp, die die Forscher um den Wirtschaftsinformatiker Jorge Marx Gómez jetzt vorgestellt haben.
Ohne eigenes Auto zur Arbeit, zur Schule oder zum Einkaufen kommen – auch auf dem Land: Das ermöglicht die App „Fahrkreis“, ein digitaler Reiseassistent, den Forscher der Arbeitsgruppe Wirtschaftsinformatik der Universität Oldenburg entwickelt haben. Die Mobilitätsapp ist das zentrale Ergebnis des Forschungsprojekts NEMo („Nachhaltige Erfüllung von Mobilitätsbedürfnissen im ländlichen Raum“) unter Leitung des Oldenburger Wirtschaftsinformatikers Prof. Dr. Jorge Marx Gómez. „Fahrkreis“ funktioniert wie eine klassische Mobilitätsauskunft, hat aber einige Zusatzfunktionen – insbesondere vermittelt sie Mitfahrgelegenheiten. Seit Anfang des Jahres ist die App online für ganz Deutschland verfügbar.
„Die Verbesserung der Mobilität im ländlichen Raum ist im Flächenland Niedersachsen ein besonders wichtiges Thema“, betonte Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler anlässlich der heutigen Abschlussveranstaltung des Projekts an der Universität Oldenburg. Auf dem Land seien immer noch viele Menschen auf das Auto angewiesen, weil öffentliche Verkehrsangebote lückenhaft seien. Das sei angesichts des Klimawandels nicht länger hinnehmbar.
„Die am Projekt NEMo beteiligten Forscherinnen und Forscher haben wichtige Impulse für ein innovatives Mobilitätsmanagement gesetzt, die ganz besonders dazu geeignet sind, in Produkte und Dienstleistungen umgesetzt zu werden“, so der Minister. Der Wissenstransfer in Wirtschaft und Gesellschaft sei der Landesregierung ein wichtiges Anliegen, das besonders gefördert werde. „Ich bin zuversichtlich, dass die Forschungsergebnisse von NEMo dabei helfen, effizientere Mobilitätsangebote in der Fläche zu verankern“, so Thümler.
Haftungsfragen klären
Ziel von NEMo war es, die Mobilität im ländlichen Raum auf nachhaltige Weise zu verbessern. Die Idee: Dort, wo Bus und Bahn selten oder gar nicht verkehren, werden die Bürger selbst zum Mobilitätsanbieter – zum Beispiel, indem sie Nachbarn im Auto mitnehmen oder schwach frequentierte Bushaltestellen bedienen. Dafür untersuchte das Projektteam auch sozialwissenschaftliche und rechtliche Fragen.
In der dünn besiedelten Pilotregion Landkreis Wesermarsch ermittelten die Forscher durch Interviews und Online-Befragungen, welche Bedürfnisse die Menschen dort haben und welche strukturellen Hindernisse ländlichen Fahrgemeinschaften entgegenstehen. Das Team fand heraus, dass das eigene Auto dort für viele nach wie vor unverzichtbar ist. Lediglich während der Ausbildungszeit, im Seniorenalter oder beim beruflichen Pendeln besteht eine gewisse Offenheit, ein Fahrzeug zu teilen. Dafür, dass viele lieber alleine fahren, gibt es unterschiedliche Gründe: So führten die Befragten unter anderem vermeintlich ungeklärte Haftungsfragen und mögliche Zeitverluste an, manche hatten überdies Bedenken, Fremde im eigenen Auto mitzunehmen.
Diese Ergebnisse flossen in die Entwicklung der App ein. Als Resultat enthält „Fahrkreis“ beispielsweise ein Ausweissystem für Fahrer und Mitfahrer, um Vertrauen zwischen den beteiligten Parteien zu schaffen. Überdies probierten rund hundert Testpersonen in der Stadt Oldenburg und den umliegenden Landkreisen die App über mehrere Wochen aus. „Ihr Feedback half den Entwicklern, die App immer weiter zu verbessern“, erläutert Projektleiter Marx Gómez. „Dank der hervorragenden Kooperation mit den Verantwortlichen in der Stadt Oldenburg und den Landkreisen konnten wir unser Vorhaben vorantreiben und in der Region verankern.“
Digitale Bonuspunkte
Kernaufgabe der App ist es, den Koordinationsaufwand für die Bildung von Fahrgemeinschaften zu reduzieren, indem sie die Routenplanung komplett übernimmt und – wenn nötig – noch während der Fahrt eine Umplanung vornimmt. Verzögert sich die Ankunft an einem Zwischenhalt, ermittelt „Fahrkreis“ beispielsweise aktuelle Anschlussmöglichkeiten. Wenn gewünscht, schlägt das Programm einen möglichen Unkostenbeitrag für das Mitfahren vor.
Juristen um Prof. Dr. Jürgen Taeger vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsinformatik klärten unter anderem die Haftungsfrage: Mitfahrer sind über die Haftpflichtversicherung des Fahrers versichert – solange dieser keine Gewinnabsichten hegt, sondern die Mitnahme zum Selbstkostenpreis anbietet. Auch die Anforderungen der im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Europäischen Datenschutzgrundverordnung erfüllt die App.
Um die Zahl der Nutzer möglichst schnell zu steigern, setzt das Projektteam auf die Kooperation mit Firmen, Vereinen, Kommunen und Landkreisen. Angedacht ist, dass die Nutzer digitale Bonus-Punkte erhalten, wenn sie klimafreundliche Verkehrsmittel nutzen. Diese Punkte sollen sie gegen Prämien, Gutscheine oder Rabatte eintauschen können.
Das Projekt NEMo wurde vom Land Niedersachsen und der VolkswagenStiftung im Rahmen des Programms „Wissenschaft für nachhaltige Entwicklung“ mit rund 1,5 Millionen Euro gefördert. Neben der Universität Oldenburg waren Wissenschaftler der Universitäten Vechta und Passau sowie der TU Braunschweig beteiligt. Die Projektpartner kooperierten dabei eng mit der Stadt Oldenburg und dem Landkreis Wesermarsch sowie zahlreichen weiteren assoziierten Partnern wie Kommunen, Vereinen, Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Mehrere Folgeprojekte laufen bereits.