Aus Oldenburg nach Harvard: Stefan Raufer, Master-Student der Hörtechnik und Audiologie, wechselt im Herbst in ein renommiertes US-Promotionsprogramm. Im Interview spricht der 25-Jährige über seinen ungewöhnlichen Werdegang, die vielen Facetten der Hörforschung und das Liebenswerte an Oldenburg.
FRAGE: Herr Raufer, Sie nehmen im September ein Graduiertenprogramm der Elitehochschulen Harvard und Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf. Eine wissenschaftliche Karriere war Ihnen ja nicht unbedingt vorgezeichnet?
RAUFER: Mein Werdegang ist generell ein bisschen anders gelaufen, das stimmt. Nach dem Hauptschulabschluss habe ich erst eine Elektroniker-Ausbildung gemacht, bevor ich das Fachabitur nachgeholt habe. In meiner damaligen Abschlussklasse, einer reinen Jungsklasse, wollten quasi alle in Bayern bleiben und Elektrotechnik oder Maschinenbau studieren – außer mir. Ich dachte, das ist nicht das Richtige für mich, da muss es etwas Cooleres geben, was auch ein bisschen interdisziplinär ist. Vielleicht lag die Akustik nahe, weil ich Musiker bin und auch damals schon in einer Band gespielt habe. Und dann recherchiert man und wälzt Studienführer. Aber als ich das Fach Hörtechnik und Audiologie in Oldenburg gefunden habe, war es klar. Da hat’s dann einfach klick gemacht. Weil sich das Studium eben nicht nur auf technische Vorlesungen beschränkt, sondern auch den medizinischen Bereich abdeckt.
FRAGE: Was interessiert Sie besonders in der Hörforschung?
RAUFER: Mein Interessensgebiet hat sich seit Studienbeginn komplett um 180 Grad gedreht. Als ich anfing, dachte ich, nach sieben Semestern gehe ich als Akustikingenieur wieder zu einem Autobauer. Aber im Studium waren eben die Medizin- und Physiologie-Vorlesungen auch sehr interessant. So hat sich meine Ausrichtung in fünf Jahren von der reinen Technik – zum Beispiel Lautsprecherbau – eher zur medizinischen Motivation hin gewandelt. Ich möchte zwar weiterhin technisch arbeiten, aber näher am Menschen, direkter am Hörorgan.
FRAGE: Welche offenen Fragen wollen Sie in Ihrer Masterarbeit beantworten?
RAUFER: In meiner Masterarbeit geht es mir darum, das Hören an sich besser beschreiben zu können. Wir zeichnen mit einem Mikrofon im Gehörgang Töne auf, die vom Innenohr ausgesandt werden. Das Ziel ist es, mit dieser Methode das Schwingungsverhalten des Innenohres zu beschreiben. Vereinfacht kann man sich das so vorstellen, dass wir dort am Eingang die hohen Töne und weiter innen in der Hörschnecke die tiefen Töne wahrnehmen. Wie genau diese Frequenzabstimmung im Innenohr funktioniert, ist aber noch unklar.
FRAGE: Was hat Sie an dem Graduiertenprogramm von Harvard und MIT gereizt?
RAUFER: So wie Oldenburg in Deutschland der Platz der Hörforschung ist, wo ganz viele Disziplinen der Hörforschung zusammenkommen, so ist es Boston in den USA, wo einfach sehr viele Arbeitsgruppen und Universitäten mit dem Programm in Verbindung stehen. Der große Vorteil des Programms aus meiner Sicht: Es ist auf fünf Jahre angelegt, davon sind die letzten drei Jahre die eigentliche Promotion. In den ersten zwei Jahren kann man sich nochmal orientieren, in verschiedenen Laboren arbeiten, nochmal mit diesem Professor auf diesem Themengebiet und mit jenem Professor auf jenem Themengebiet. Und während dieser zwei Jahre kann man sein Thema finden, für das man richtig brennt. Ob’s dann bei mir die Mechanik des Innenohrs bleibt oder die Mechanik des Mittelohrs wird – oder wer weiß, vielleicht verschlägt es mich dann in die Sprachproduktion oder in die Neuropsychologie… man hat nochmal die Möglichkeit, sich ganz ungezwungen in die verschiedenen Bereiche herein zu tasten.
FRAGE: Das Programm SHBT nimmt ja jedes Jahr nur sieben oder acht Doktoranden neu auf. Wie muss man sich das Bewerbungsverfahren vorstellen?
RAUFER: Zunächst als eine ganz normale Online-Bewerbung mit Motivationsschreiben und drei Empfehlungsschreiben von Professoren. Dann folgte die Einladung für Interviews in Boston: den ganzen Tag über jede halbe Stunde mit einem anderen Professor ein Interview. Ich persönlich hatte elf Interviews mit Forschern aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen – Genetik, Sprachproduktion und Sprachpathologien, Neuropsychologie, Hörmechanik… und mein letztes Interview war mit dem Gründer des Labors in Boston, der das Programm in den 90-er Jahren ins Leben gerufen hat. Ein regelrechter Gesprächsmarathon, danach ging auch einfach nichts mehr. Aber es war gut, den Ort gesehen zu haben, Professoren und Studenten kennen zu lernen, um zu wissen, ob man sich den Wechsel dorthin vorstellen kann. Immerhin muss man sich dort einen komplett neuen Freundeskreis und ein neues Leben aufbauen.
FRAGE: Was würden Sie aus Oldenburg gerne mitnehmen, beziehungsweise was nehmen Sie aus der Zeit hier mit?
RAUFER: Unglaublich viel. Ich bin auf jeden Fall wehmütig, habe mich einfach seit dem ersten Tag hier pudelwohl gefühlt. Es ist gut zu wissen, dass die Hörforschung ja auch hier in Oldenburg nicht stehen bleiben wird, dass man auf jeden Fall den Kontakt bewahrt und auch mal wieder zurückkommen kann, sei es für eine Konferenz oder andere Meetings… Also, ich habe Oldenburg und die Menschen hier echt lieben gelernt über die Zeit. Und das Teetrinken werde ich vermissen. Über die fünf Jahre bin ich auf alle Fälle zum Teetrinker geworden.