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Weiterer Gastbeitrag zu 75 Jahre Grundgesetz: „Die Würde des Menschen in Zeiten multipler Krisen

Zur Person

Dr. Christina-Marie Juen verwaltet die Professur „Politisches System Deutschlands” am Institut für Sozialwissenschaften. Zuvor war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Darmstadt. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit politischen Einstellungen und politischem Verhalten von Wahlberechtigten und Parteieliten auf nationaler wie lokaler Ebene. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einfluss populistischer Einstellungen auf Wahlberechtigte, Parteien und politische Repräsentation.

Kontakt

Dr. Christina-Marie Juen

Arbeitsbereich Politisches System Deutschlands

+49 441 798-4563

  • Das Bild zeigt ein aufgeklapptes Buch. Es ist die letzte Seite des Grundgesetzes mit den drei Unterschriften. Das Lesezeichen ist ein Bändchen in den Farben Schwarz-Rot-Gold.

    Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland trat am 23. Mai 1949 in Kraft. Die Urschrift des Gesetzestextes wurde vom Präsidenten des Parlamentarischen Rats, dem späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), sowie den beiden Vizepräsidenten Adolph Schönfelder (SPD) und Hermann Schäfer (FDP) unterzeichnet. Bundesregierung / Burkhard Peter

  • Das Bild zeigt Christina-Marie Juen. Sie sitzt vor einer Bücherwand und schaut in die Kamera.

    Christina-Marie Juen verwaltet seit Oktober 2023 die Professur „Politisches System Deutschlands“. Universität Oldenburg

Werkzeug zum Schutz der Demokratie

Unsere Demokratie steht unter Druck und muss sich gegen ihre Gegner wehren. Eine zentrale Rolle dabei spielt das Grundgesetz, schreibt die Politologin Christina-Marie Juen in ihrem Gastbeitrag zum 75. Geburtstag der Verfassung.

Unsere Demokratie steht unter Druck und muss sich gegen ihre Gegner wehren. Eine zentrale Rolle dabei spielt das Grundgesetz, schreibt die Politologin Christina-Marie Juen in ihrem Gastbeitrag zum 75. Geburtstag der Verfassung.

Demokratien stehen weltweit unter Druck. Wir sehen innerstaatliche und staatsübergreifende Konflikte, Kriege und stark polarisierte Gesellschaften. Insbesondere der Aufstieg links- und rechtspopulistischer sowie extremistischer Parteien gefährdet auch innerhalb Europas demokratische Normen und Prinzipien. Auffällig ist der steigende Zuspruch für diese Parteien aus der Wählerschaft.

In Deutschland sehen wir mit dem anhaltenden und derzeit immer weiter steigenden Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD), dass rechte und populistische Einstellungen auch hier Fuß gefasst haben. In der politikwissenschaftlichen Forschung können wir zeigen, dass diese nicht nur auf einem reinen Protestverhalten beruhen, sondern tiefgehende Einstellungen zugrunde liegen. Wähler*innen rechtspopulistischer Parteien sind zudem auch eher dazu bereit, illiberale Positionen von Politiker*innen zu akzeptieren und somit auch antidemokratische Politik und Verhalten zu unterstützen.

Dies birgt Gefahren für die Demokratie – vor denen sich die Bundesrepublik Deutschland aber auch zu schützen weiß.

Aus Weimar gelernt

Denn die zweite deutsche Demokratie hat viel aus den Erfahrungen ihres Vorgängerstaats, der Weimarer Republik, gelernt. Parlamentarische Mehrheiten zur Entscheidungsfindung wurden durch die Einführung einer Sperrklausel für den Einzug der Parteien in den Bundestag gesichert, und das konstruktive Misstrauensvotum verhindert Zeiten ohne Regierung. Und auch die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland – das Grundgesetz – beruht in ihren zentralen Bestandteilen auf Lehren aus der Weimarer Republik.

Die Struktur und die Grundprinzipien der BRD sind in Artikel 20 des Grundgesetzes verfasst. Dort wird nicht nur festgelegt, dass Deutschland ein demokratischer Bundestaat ist, sondern auch das essenzielle Recht des Volkes auf Wahlen. Neben diesen Prinzipien der Bundesstaatlichkeit und des Demokratieprinzips ist in Artikel 20 auch die Gewaltenteilung in Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Regierung) und Judikative (Rechtsprechung) verankert.

Dieser Artikel 20 ist nicht nur deshalb so zentral, weil er die staatliche Struktur der Bundesrepublik festschreibt, sondern weil er zusätzlich durch einen weiteren Artikel des Grundgesetzes geschützt wird. Die Ewigkeitsgarantie in Artikel 79 Absatz 3 schützt die Demokratie der Bundesrepublik in besonderem Maße, und macht sie zur wehrhaften Demokratie.

In diesem Artikel ist festgelegt, dass eine Änderung des Grundgesetzes zum einen die Gliederung des Bundes in Länder und deren Mitspracherecht betreffend unzulässig ist. Zum anderen ist es verfassungsrechtlich nicht gestattet, die Artikel 1 sowie Artikel 20 zu verändern. Damit schließt das Grundgesetz es aus, dass eine parlamentarische Mehrheit die Menschenrechte, Bundesstaatlichkeit, Demokratie und Gewaltenteilung abschaffen könnte. Auch hierbei zeigen sich wieder die Lehren aus der Weimarer Republik, denn hier konnte der Reichspräsident in Zeiten der Krise per Notverordnung(en) die Freiheitsrechte von Bürger*innen und grundlegende demokratische Prinzipien aussetzen. Die Aussetzung eben jener Rechte erlaubte schlussendlich den Aufstieg des nationalsozialistischen Regimes.

Große Bedeutung des Bundesverfassungsgerichtes

Auch hier nimmt das Grundgesetz wieder eine wichtige Rolle ein, da es zusätzlich dafür sorgt, dass die Demokratie sich gegen antidemokratische Feinde wehren kann. Parteienverbote ermöglichen es grundsätzlich, anti-demokratische Parteien zu verbieten. Eine Partei kann allerdings nur vor dem Verfassungsgericht verboten werden, was eine hohe Hürde darstellt. Denn was dem Schutz von Parteien – und somit einer freien Demokratie und Meinungsvielfalt – eine besondere Stellung in der Bundesrepublik verleiht, erschwert eben zugleich Verbote antidemokratischer Parteien. Die hohen Hürden für ein Parteiverbot sind somit einerseits wichtig, um Bürger*innen in freien Wahlen die Möglichkeit zu geben, ihre politische Präferenz auszudrücken. Andererseits ermöglichen sie auch potenziellen Feinden der Demokratie den Einzug ins Parlament.

Die große Bedeutung des Bundesverfassungsgerichtes zum Schutz des Grundgesetzes wird derzeit besonders stark im öffentlichen Diskurs hervorgehoben. Die Wahl der Richter*innen liegt beim deutschen Bundestag sowie Bundesrat, was je nach Zusammensetzung der Parlamente auch zu einer potenziell demokratiegefährdenden Besetzung des Gerichtes führen könnte. Zum stärkeren Schutz der Demokratie wird daher angedacht, auch die Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen im Grundgesetz zu verankern, wodurch diese nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit erfolgen könnte. Dies würde die Rechtsprechung als zentrale Säule der Bundesrepublik stärker vor Feinden der Demokratie schützen.

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