Wer vom Mensatrakt zu den Seminar- und Vorlesungsräumen des Campus Haarentor läuft, kommt kaum an ihr vorbei: Gemeint ist die Plakatinstallation, die seit Ende Oktober die Brücke zwischen den Gebäuden A 1 und A 14 ziert. Auf beiden Seiten des Geländers hängt je ein dreigeteiltes Banner, das den Schriftzug „Wir (alle) sind das Volk“ zeigt – neben Deutsch in insgesamt elf weiteren Sprachen, darunter Französisch, Türkisch, Arabisch und Polnisch. Die Fläche links und rechts neben den Schriftzügen ist in Regenbogenfarben gehalten.
„Durch die Brücke wirkt der Durchgang zwischen A 1 und A 14 optisch wie ein Tor zum Hauptteil des Campus. Wer ihn an dieser Stelle betritt oder verlässt, wird angeregt, sich mit dem Kunstwerk und seiner Botschaft auseinanderzusetzen“, sagt Timo Merten, Doktorand am Institut für Kunst und visuelle Kultur. Merten hat die Installation gemeinsam mit Prof. Dr. Friederike Nastold, Hochschullehrerin für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Gender Studies, an die Universität geholt. Die Plakatinstallation basiert auf dem gleichnamigen Werk des Konzeptkünstlers Hans Haacke, dessen Kunst schon seit den 1960er Jahren vor allem durch ihre politischen Aspekte viel Aufmerksamkeit erregt. Haacke, der heute in New York lebt, zeigte „Wir (alle) sind das Volk“ erstmals im Jahr 2017 auf der documenta 14 – die zwölf Sprachen waren die damals meistgesprochenen in Deutschland. In den Folgejahren wurden die Banner an verschiedenen Hochschulstandorten und anderen öffentlichen Einrichtungen insbesondere in Ostdeutschland gezeigt. Für die Präsentation in Oldenburg wurde das Plakat an die Fläche des Brückengeländers angepasst.
Mit Werk Debatte um Zugehörigkeit anstoßen
„Das Werk greift den Volksbegriff auf, der ja ziemlich umstritten ist. In der herkömmlichen Bedeutung hat der Begriff ‚Volk‘ eine deutlich exklusivere Bedeutung als der Begriff ‚Bevölkerung‘“, erläutert Merten. So zähle man zum Volk für gewöhnlich nur Menschen mit einem deutschen Pass, während zur Bevölkerung alle Personen zählen, die in Deutschland leben. „Das Werk von Hans Haacke bricht mit dieser Definition und symbolisiert durch den Spruch, aber auch die gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Sprachen, dass alle Menschen zum ‚Volk‘ gehören können“, erklärt Merten. Damit nehme Haacke nicht zuletzt auch Stellung gegen die rechtspopulistische Umdeutung der „Wir sind das Volk“-Parole der DDR-Opposition: Während letztere keinen explizit ausschließenden Charakter gehabt habe, sei seit den Pegida-Protesten in Dresden ab 2014 wieder ein aggressiv-ausschließender, biologischer Volksbegriff auf dem Vormarsch. Dieser schließe nicht nur Ausländer*innen, sondern teils sogar deutsche Staatsbürger*innen mit Migrationsgeschichte aus. „Dagegen ein künstlerisches Zeichen zu setzen, ist Hans Haacke und auch mir ein wichtiges Anliegen“, sagt Merten.
Das Werk „Wir (alle) sind das Volk“ schließt an das Kunstwerk „DER BEVÖLKERUNG“ von Haacke an, zu dem Merten seine Masterarbeit geschrieben hat. „DER BEVÖLKERUNG“ wurde nach einer intensiven Debatte im Jahr 2000 in einem Lichthof des Bundestages errichtet und besteht aus einem 21 mal 7 Meter großen hölzernen Trog, der mit Kies und Erde gefüllt ist. Bundestagsabgeordnete sind eingeladen, etwas Erde aus ihrem Wahlkreis nach Berlin und in den Trog zu bringen. Im Laufe der Jahre sind zahlreiche Sträucher und Pflanzen aus dem Beet gewachsen. Das so entstandene Biotop symbolisiert die deutsche Bevölkerung – und bleibt auch verschont von gärtnerischen Interventionen. Der Titel „DER BEVÖLKERUNG“ ist an den Spruch „Dem deutschen Volke“ angelehnt, der am Haupteingang des Reichstagsgebäudes prangt. Ebenso wie mit „DER BEVÖLKERUNG“ geht es Haacke mit „Wir (alle) sind das Volk“ darum, eine Debatte um Zugehörigkeit anzustoßen.